Die apokalyp­tischen Tendenzen der neuen Umweltbewegung

Wider das Spektakel des Untergangs

Die Angst vor der Apokalypse ist zum Kitt für Herrschaft und Ausbeutung geworden.

Wie hält es die neue Klima­bewegung mit dem Untergang? In der »Jungle World« (47/2020) beschäftigte sich Christian Schmidt mit Fried­rich Engels’ »Dialektik der Natur«,­ ­Bernhard Schmid untersuchte die theoretischen Fundamente der französischen ­Kollapsologen. Klaus Vondung ordnete im Interview die Apokalypse als Deutungs­mittel innerhalb moderner Krisendebatten ein. Peter Bierl berichtete über ein wachsendes Interesse am Marxismus und kritisierte die bürgerliche Ausrichtung einzelner Gruppen.

 

In der Debatte über die neue Klima­bewegung tauchen immer wieder die Begriffe »Untergang«, »Apokalypse« und »Notstand« auf: Der Untergang nahe, die Apokalypse stehe kurz bevor, man fordert den Klimanotstand, wo Parlamente ihn nicht längst ausgerufen haben. Das schockiert und macht Angst, und diese wiederum verdichtet sich in Untergangsbildern, welche oft den Ursprung der Angst selbst verdunkeln.

Die Konstruktion des Schreckens als ein kommendes Unheil verbindet die neue Klimabewegung mit früheren Umweltbewegungen. Die Szenerie, in der sich deren Untergangsangst bewegt, haben wir vor etwa einem Jahr in der ­Broschüre »Mein Freund der Untergang« zu fassen versucht. Darin kritisieren wir, wie sich die Angst der Einzelnen vor dem Untergang in einem apokalyptischen Bewusstsein niederschlägt und im Spektakel des Untergangs zum Kitt der kommenden Gesellschaft wird. Unsere Thesen zur Verquickung von Wahnsinn und Realität sollen kurz angeführt werden.

Die spätmodernen Angstmetaphern des Untergangs entspringen der Realität der kapitalisierten Gesell­schaft, für die der Einzelne nichts, die Akkumulation von Kapital dagegen alles ist.

Bereits in den siebziger Jahren war das Bild einer ausgelöschten Menschheit Antrieb für Massenmobilisierungen sozialer Bewegungen der BRD. Seitdem kehrt diese Vorstellung periodisch wieder. Sie hat eine Vorgeschichte: den religiösen Evergreen der Apoka­lypse. Wo dieser jedoch noch mit Erlösungserwartung verknüpft war, da blieb den Säkularen nur die ultimative Katastrophe ohne Rettung. Günther Anders sprach daran angelehnt von einer möglichen »Apokalypse ohne Reich«: Statt dem Himmelreich durch Rettershand drohte das reine Nichts durch Menschenhand.

Das Bild einer Menschheit, geeint vor dem Untergang, wurde in den Krisendiskursen der sozialen Bewegungen weitergetragen. Vom Irren, der die Erde per Knopfdruck atomar auslöschen kann, hat sich die Angst verschoben zu dem, der seine eigene Zukunft und die der Erde förmlich verbrennt und am CO2 erstickt. In diesen Szenarien verlieren sich die realen Unterschiede zwischen den Menschen, durch Ausbeutung und Herrschaft in einer abstrakten Menschheit. Die verheerenden Auswirkungen dieser Gesellschaft lasten freilich nicht auf dem Rücken des Menschen, sondern auf denen, die bereits jetzt im Dreck leben müssen.

Die spätmodernen Angstmetaphern des Untergangs entspringen der Realität der kapitalisierten Gesellschaft, für die der Einzelne nichts, die Akkumula­tion von Kapital dagegen alles ist. Nicht nur ist jeder Einzelne ersetzbar, sondern darüber hinaus ist ein wachsender Teil der Weltbevölkerung vom Standpunkt der Verwertung aus schlicht überflüssig. Nicht nur führt diese Gesellschaft einen Krieg gegen ihre eigenen Möglichkeiten – sie hat ein Destruktionspotential angehäuft, das alles Lebendige auslöschen könnte. Wo die gesellschaftliche Debatte sich jedoch von der Kritik an Herrschaft und Ausbeutung löst, ebnet sich der Horizont einer radikalen Veränderung ein. So erscheinen die falschen Verhältnisse als ewige Konstante, ihre »Probleme« unumgänglich. Die reale Angst der Menschen vor der Gesellschaft, wie sie ist, und davor, wozu sie fähig ist, verschiebt sich auf den Menschen an sich, der zum Feind, zum Schädling wird.

Die Untergangsbilder der siebziger Jahre wurden durch ökonomische Einbrüche verstärkt. Die Gefahren durch menschengemachte Destruktionsmittel und durch Krisen, die die Gesellschaft durch ihre eigene Dynamik erzeugt, zogen wie dunkle Wolken über der Zukunft auf. Spätestens damals war es auch im Massenbewusstsein mit dem Fortschrittsglauben nicht mehr weit her. Mehr noch als die Hoffnung auf stetige Verbesserung kam die Hoffnung auf die Zukunft selbst ins Stocken.

Die siebziger Jahre waren jedoch auch ein Spielfeld des Krisenmanagements, sie produzierten ideologischen Kitt. Die kommende Krise wurde als Krise der Menschheit deklariert, die nur mit einer nie gekannten Anstrengung abgewendet werden könne: Vereint stünden alle zusammen gegen ein drohendes schreckliches Ende. Die so gezeichneten Untergangsbilder sollen Schrecken erzeugen, mit dem Ziel, eine Bewegung zu mobilisieren, welche den Untergang abwenden soll. Die Bilder selbst sind also reines Mittel zum Zweck. Längst hat sich die um ihre Zukunft bangende Gesellschaft dahin­gehend dynamisiert, dass sie im stets drohenden Untergang ihre eigene Gegenwart samt deren Herrschaftsmechanismen reproduziert.

Der Schrecken vor dem Ende ist zum Schrecken ohne Ende geworden. Der stets drohende Verlust der Zukunft gerinnt zu einer absoluten Gegenwart. Wo die Krise der sechziger Jahre noch eine paralysierende Wirkung hatte und eine Krise der Gesellschaft des Spektakels bewirkte, hat sich die Krise in den Siebzigern selbst in ein Spektakel verwandelt, das zu mobilisieren vermag: das Spektakel des Untergangs. Ein würdiger Nachfolger des Fortschrittsglaubens.

Indem das Negative der drohenden Gefahr zum Positiven der rettenden Gemeinschaft verkehrt wird, verkehrt sich auch die Angst vor der Zukunft zum Kitt der Gemeinschaft. Diese freilich will von Klassen und Herrschaft nichts wissen – kennt dafür aber gute und schlechte Konsumenten und Bürgerbeteiligung.. Und so sammeln sich die linksdrehenden Pfaffen einer Politik der Zukunft im Glauben an ein kommendes Unheil. Selbst die Spitze der Grünen fordert auf deren Parteitag: »Change the system, not the climate«, um die Herrschaft nachhaltig aufzuhübschen.

»Den Slogan ›System change, not climate change‹ stützen solide Argumente«, schrieb Peter Bierl angesichts des Revivals des Begriffs des »Ökosozialismus«. Fraglich dürfte der kritische Gehalt des Slogans sein, wenn sich alle großen Gruppen der neuen Klimabewegung von Fridays for Future, Ende Gelände und Extinction Rebellion (XR) bis hin zu den Grünen auf diesen beziehen können. Die Bedeutung scheint so schwammig wie die Abgrenzung der Gruppen voneinander. Die kryptoreligiöse Performance einzelner Gruppen jedenfalls ist weit mehr als ein makabres Randphänomen, nämlich theatra­lischer Ausdruck davon, dass die Untergangsvision längst zum Stahlbad geworden ist, das durchzustehen Mehrwert erhoffen lässt.

Und doch hat Peter Bierl recht mit seinem Einspruch: Gruppen wie XR wollen nicht den Untergang, sie beschwören nur die Angst vor dem nahen Ende um der »tröstlichen Versicherung willen, die herrschende Ordnung werde bis zum Ende aller Zeiten dauern«, und eher noch werden sie die Welt selbst in »Stücke schlagen, als sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen« (Wolfgang Pohrt). Die Angst vor dem Untergang wird Mittel zum Zweck, sie soll »beleben«, wie Luisa Neubauer von Fridays for Future formulierte. Jem Bendell, der Gründer des Institute for Leadership and Sustainability, rät im Handbuch von XR sogar zur »Tiefenanpassung« an den drohenden Kollaps und zur kollektiven Beschäftigung mit dem Tod, um ganz im Jetzt anzukommen und den Aktivismus effektiver zu machen.

Vor diesen Leuten und der Welt, wie sie ist, kann man sich gar nicht genug fürchten. Zuallererst für diejenigen, die heutzutage schon kaum Luft zum Atmen haben, ist zu hoffen, dass sich zukünftig andere Kräfte werden durchsetzen können. Kräfte, die mit der Angst nicht hantieren, sondern sie abschaffen wollen; die dem Spektakel des Untergangs und allen anderen Formen der Herrschaft des Menschen über den Menschen und die Natur den Garaus machen wollen.