Kein Judenwitz
Die deutsch-amerikanische Journalistin Myriam Halberstam hatte die wunderbare Idee, Cartoons und Witze über Antisemiten in einer Anthologie zu versammeln. Herausgekommen ist der ebenso hübsche wie überfällige Band »Antisemitismus für Anfänger«, der kürzlich im Ariella-Verlag in Berlin erschienen ist. Mit seinen abstrusen Schlussfolgerungen, dem Hang zur Übersexualisierung, der latenten Aggression und wahnhaften Weltwahrnehmung ist der Antisemit als Witzfigur überaus geeignet. Natürlich ist nicht der Antisemit an sich komisch, sondern immer nur ein bestimmter Aspekt seines Denkens, Redens und Handelns.
Die besten Witze in diesem Bandes sind die trockenhumorigen Dialogwitze, die dem akademischen Milieu der Wohlmeinenden abgelauscht sind. Der Cartoonist Till Mette greift den dort gepflegten Betroffenheitsjargon auf und wendet ihn ins Komische, etwa wenn ein Cafébesucher mit Kippa von einem fürsorglichen Gast zu hören bekommt: »Eine Kippa zu tragen, ist doch sehr gefährlich. Mich wundert, dass das noch nicht verboten ist.« Umwerfend komisch ist auch das von Till Mette gezeichnete Männergespräch in einer Sauna, wo ein aufgeschlossener Zeitgenosse seinen Sitznachbarn mit der Frage überrascht: »Ich sehe, Sie sind beschnitten. Was sagen Sie denn als Experte zum Nahost-Konflikt?«
Hübsch böse sind auch jene Cartoons, die sich mit dem Judenhass des deutschen Bildungsbürgertums beschäftigen. Mal schwärmt ein Mann im eleganten Abendanzug in der Theaterpause davon, dass er und seine Gattin erst »über den Antisemitismus zu Wagner gefunden« haben; mal freut sich ein Mann mit kleinem Schnäuzer über das Interesse einer Partyschönheit: »Ihr Führervergleich ehrt mich sehr.« In großen geschichtlichen Dimensionen denkt auch ein betuchtes älteres Ehepaar, das, auf einem Sektempfang von einer neugierigen Dame danach gefragt, warum es zum Judentum konvertieren will, offen und ehrlich antwortet: »Wir wollen auch Teil dieser Weltverschwörung werden.« Lediglich ein Cartoon in diesem Band thematisiert den muslimischen Judenhass. Mit einem riesigen Sombrero über der Kippa läuft ein älterer Jude durch ein migrantisches geprägtes Viertel.
Witze, die sich dem unverhohlenen und gewalttätigen Judenhass im Neonazimilieu widmen, fehlt naturgemäß das Hintergründige, dafür sind sie oftmals belehrend wie klassische Zeitungskarikaturen. Aber es geht auch anders, wie die Zeichnerin Katharina Greve beweist. Sie zeigt Neonazis, die den Politjargon beherrschen und gegenüber der Presse erklären, dass sie nicht auf ihren »Antisemitismus reduziert« werden möchten. Eine weitere Ausnahme stellt der Cartoon von Tim Oliver Freicke dar, der einen Herrn mittleren Alters im Military-Look subtil vorführt. Der Lektor eines offenbar jüdischen Verlagshauses muss dem literarisch wenig versierten Mann erklären, warum er dessen eingereichtes Manuskript ablehnen muss: »Nein, tut mir leid, Judenwitze und jüdischer Humor sind nicht das Gleiche.«
Myriam Halberstam: Antisemitismus für Anfänger. Eine Anthologie. Ariella-Verlag, Berlin 2020, 96 Seiten, 18 Euro