Gewerkschaften fordern eine ­Mindesthöhe beim Kurzarbeitergeld

Das Mindeste für Kurzarbeiter

Einkommensausfälle durch die pandemiebedingte Kurzarbeit machen vor allem Beschäftigten mit niedrigen Löhnen das Leben schwer. Gewerkschaften dringen darauf, ein Mindestkurzarbeitergeld einzuführen. Doch die Kräfteverhältnisse sind einer solchen Verbesserung nicht günstig.

Läden schließen, Läden öffnen – seit über einem Jahr wird darüber immer wieder heftig diskutiert. Denn im Kampf gegen die andauernde Covid-19-­Pandemie gilt als zentral, den Publikumsverkehr in Handel, Gastronomie, Dienstleistungs- und Unterhaltungsgewerbe zu beschränken. Die Existenzsicherung der von den Schließungen betroffenen Beschäftigten erfolgt dabei in großem Umfang über das sogenannte Kurzarbeitergeld.

Über das gesamte Jahr 2020 befanden sich Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit zufolge durchschnittlich 2,9 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kurzarbeit, das sind 8,7 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Zu Spitzenzeiten im April betrug die Quote sogar 18 Prozent. Im November, dem letzten Monat, für den bislang bundesweite Zahlen vorliegen, befanden sich etwa 2,3 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, regionale Berichte deuten seither auf einen weiteren ­Anstieg hin. Zum Vergleich: Während der sogenannten Ölkrise 1973/1974 ­waren 3,4 Prozent der Beschäftigten in Kurzarbeit, nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 7,2 Prozent und im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 5,2 Prozent.

Nach Angaben des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München waren im Januar bundesweit 56 Prozent aller Beschäftigten des Gastgewerbes in Kurzarbeit.

Das Kurzarbeitergeld gilt als wichtigstes Instrument, um die sozialen Folgen der Pandemie in Deutschland abzufedern. Es bietet jedoch vor allem Vorteile für Unternehmen. Diese können nach konjunkturellen Einbrüchen ihr qualifiziertes, aufeinander eingespieltes Personal einfach weiter beschäftigen, sparen sich so also die Personalsuche, die Einarbeitung und Kosten für Entlassungen wie etwa Abfindungen. Kinderlose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten im Fall eines auf »einem unabwendbaren Ereignis« beruhenden, nicht vermeidbaren temporären Lohnausfalls aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung 60 Prozent des entgangenen Nettolohns, Eltern 67 Prozent. In Arbeits- und Tarifverträgen können zudem Zusatzleistungen der Arbeitgeber vereinbart werden, die in Zeiten der Kurzarbeit das Einkommen der Beschäftigten erhöhen.

Von den bisherigen sogenannten Lockdowns sind maßgeblich Beschäftigte im Niedriglohnsektor betroffen, wo unter den Beschäftigten ein hoher Frauen- und Migrantenanteil sowie ein geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad vorherrschen. Beispielsweise in der Gastronomie: Nach Angaben des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München waren im ­Januar bundesweit 56 Prozent aller Beschäftigten des Gastgewerbes in Kurzarbeit. In vielen Betrieben gibt es keine Zusatzleistungen der Arbeitgeber, die Beschäftigten verfügen meist nicht über ausreichende Ersparnisse, die es ihnen ermöglichten, einen Lohnausfall von 40 Prozent zu kompensieren. Angesichts des Ausmaßes der pandemiebedingten Einschränkungen im April 2020 wurde das Kurzarbeitergeld vorübergehend erhöht; Beschäftigte erhalten nach vier Monaten in Kurzarbeit 70 beziehungsweise 77 Prozent des entfallenen Lohns und nach sieben Monaten 80 beziehungsweise 87 Prozent. Diese Regelung gilt nach derzeitigem Stand bis März.

Doch auch mit dieser Erhöhung bleibt die Lage der Betroffenen prekär. Darauf weist eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) von November hin. Demnach erhält etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Kurzarbeit keine Zulagen von ihrem Arbeitgeber. Diese Gruppe empfindet die derzeitige Situation der Studie zufolge als besonders belastend und äußert nach der Gruppe der Arbeitslosen die geringste Zufriedenheit mit den Pandemiemaßnahmen der Bundesregierung.

Die besonders belastende Lage für kurzarbeitende Beschäftigte in Handel, Gastronomie und im Dienstleistungssektor veranlasste die Vorsitzenden der Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) dazu, sich am 21. Januar in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den Arbeits- und den Finanzminister sowie die Partei- und Fraktionsvorstände der beiden Regierungsparteien CDU und SPD zu wenden. Darin forderten sie unter Verweis auf den gesetzlichen Mindestlohn die Einführung eines Mindestkurzarbeitergelds von 1 200 Euro. Zudem initiierten die beiden Gewerkschaften eine entsprechende Online-Petition, die bislang etwa 80 000 Menschen unterzeichnet haben.

Die Wahl dieser Mittel zeigt die schlechte Ausgangslage für gewerkschaftliches Handeln in der derzeiti­gen Situation und den besonders betroffenen Bereichen. Selbst wenn sehr viel mehr betroffene Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert wären – in geschlossenen Unternehmen lässt sich schlecht streiken. Zudem ist der Adressat der Forderung, das Kurzarbeitergeld zu erhöhen, eben nicht die Arbeitgeberseite, sondern die Agentur für Arbeit. Großdemonstrationen, durchaus ein klassisches gewerkschaftliches Mittel, versprechen angesichts des geringen Organisationsgrads der Beschäftigten und der allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen gegen die Pandemie ebenfalls wenig Erfolg.

Die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, und der Linkspartei, Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, sowie Bernd Riexinger als einer der beiden Parteivorsitzenden von »Die Linke« gehörten zu den Erstunterzeichnern des offenen Briefs der beiden Gewerkschaften. Auch die Landesvorsitzende der Thüringer Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow, die gute Chancen hat, beim Parteitag im Februar zu einer der beiden Bundesvorsitzenden gewählt zu werden, unterstützt die Forderung nach einem Mindestkurzarbeitergeld.

In der vergangenen Woche brachte die Fraktion der Linkspartei zudem einen Antrag in den Bundestag ein, in dem sie die Bundesregierung auffordert, »einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die sofortige Einführung eines branchenunabhängigen Mindestkurzarbeitergeldes von 1 200 Euro zu gewährleisten«. Die Vorlage wurde am Donnerstag vergangener Woche im Bundestag beraten und anschließend zur weiteren Prüfung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Dass am Ende der Beratungen ein Ergebnis stehen wird, das den Intentionen der Antragssteller entspricht, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die immer deutlicher werdenden ökonomischen Folgen der Pandemie verschärfen Verteilungskonflikte um staatliche Mittel und Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten um Lohnhöhe und Arbeitszeiten. Auch weil die meisten der betroffenen Beschäftigten ihr Schicksal ohne große Proteste zu erdulden scheinen, sind die Aussichten auf die Einführung einer Untergrenze beim Kurzarbeitergeld derzeit nicht allzu gut.