Der Ton in den Debatten über Identitätspolitik und Cancel Culture wird immer konservativer. Linke haben sich vor lauter Angst aus der Debatte verabschiedet

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Je mehr die innerlinken Debatten über Identitätspolitik in die Feuilletons der großen Zeitungen schwappen, desto betulicher wird der Ton. Dort macht man sich vorrangig Sorgen um den »gesellschaftlichen Zusammenhalt«, fürchtet »Spaltung«, beschwört die »offene Gesellschaft« und predigt den »sozialen Frieden«.

Nun kann man es sich natürlich leicht machen und sich jemanden wie den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) vornehmen, in dessen Text »Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft?« aus der FAZ vom 22. Februar schon im Vorspann das grässliche Wort »Gemeinsinn« zu lesen ist, der Thierse zufolge zerstört werde. Später erfährt man, worauf er eigentlich hinaus will, nämlich dass »wir« Dinge wie »Heimat«, »Patriotismus« und ­»Nationalkultur« nicht »den Rechten überlassen dürfen«.

Die Empörung über Thierse war groß, dennoch hat er nicht für die Unverschämtheiten sein Fett wegbekommen, die tatsächlich in seinem Text steckten. Empört hat man sich vor allem über ein verunglücktes Interview mit dem Deutschlandfunk, in dem Thierse wirr über Blackfa­cing sprach, und über ein anschließen­des Interview mit der Zeit, in dem er sich zum »Symbol« der »normalen Menschen« stilisierte. Dass ausgerechnet Thierse sich in seinem FAZ-Artikel darüber beschwert, dass »Themen kultureller Zugehörigkeit« mehr »spalten als verteilungspolitische Gerechtigkeitsthemen«, ist ein Hohn, war er doch einer der maßgeblichen Unterstützer der »Agenda 2010« und der Hartz-Reformen.

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