Der nahe Osten -Trotz neuer Skandale bleibt der sächsische Innenminister im Amt

Munitionshilfe für Nazis

Eine Spezialeinheit des sächsischen LKA hat offenbar rechts­extremen Preppern Munition besorgt. Die Einheit wurde aufgelöst, aber Landesinnen­minister Roland Wöller ist immer noch im Amt.
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»Sie haben mich ins Gesicht gefilmt! Das dürfen Sie nicht!« Viele werden sich noch an das freilaufende Klischee des sächsischen Wutbürgers erinnern, das sich im Sommer 2018 mit seinem deutschlandfarbenen Anglerhut lautstark über Journalisten des ZDF-Magazins »Frontal 21« empörte, als diese ihn am Rande einer Pegida-Kundgebung in Dresden filmten. Kurz darauf kam heraus, dass der »Hutbürger« beim sächsischen Landeskriminalamt (LKA) arbeitete. Aber man wäre nicht in Sachsen, wenn es nicht immer noch eine Stufe schlimmer kommen könnte. Angesichts der Meldung, dass andere Beamte der Behörde Tausende Schuss gestohlener Munition einem extrem rechten Waffenhändler aus dem Umfeld eines Preppernetzwerks zukommen ließen, wünscht man sich beinahe den kauzig wirkenden Pöbler ins sächsische LKA zurück, der auf einen Posten außerhalb der Polizei versetzt wurde.

Ende März war bekannt geworden, dass gegen 17 Beamte eines Mobilen Einsatzkommandos des sächsischen LKA, inklusive des Leiters der Spezialeinheit, wegen Diebstahls, Verstößen gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit ermittelt wird. Sie hatten mutmaßlich an einem privaten Schießtreffen auf dem Gelände der Firma »Baltic Shooters« bei Güstrow teilgenommen. Als Bezahlung sollen sie dem Besitzer der Anlage 7 00 Schuss Munition übergeben haben, mutmaßlich geklaut aus Beständen des LKA. Frank T., der Empfänger der staatlichen Munitionshilfe und Betreiber des Schießplatzes in Mecklenburg-Vorpommern, war den Behörden 2017 bei Ermittlungen gegen das rechte Preppernetzwerk »Nordkreuz« aufgefallen. In der Gruppe »Nordkreuz« hatten sich vor allem extrem rechte Bundeswehrangehörige und Polizisten zusammengeschlossen, in großen Mengen Munition und Waffen gehortet und sich in Schießübungen und Chatgruppen auf den »Tag X«, den gewaltsamen Umsturz, vorbereitet. Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), musste im November zurücktreten, als durch Recherchen der Taz herausgekommen war, dass er von T. eine Waffe gekauft hatte. Nun steht eine ganze Spezialeinheit des sächsischen LKA unter Verdacht, eine Verbindung zu den rechten Umstürzlern zu haben.

Innenminister Roland Wöller (CDU) verurteilte die Vorfälle sofort und versprach einen Neuanfang, »um das Vertrauen in die Behörde und ihre Führung wiederherzustellen«. Die komplette Einheit wurde aufgelöst, Petric Kleine, der Präsident des LKA Sachsen, sowie der für Spezialeinheiten zuständige Abteilungsleiter Sven Mewes mussten ihre Posten räumen. Jedoch stellten sich die personellen Konsequenzen schon bald anders dar, als man erwartet hätte: Der entlassene Präsident übernimmt eine Leitungsfunktion im Landespolizeipräsidium, der vormalige Abteilungsleiter wurde zum Leiter des Führungsstabs der Polizeidirektion Görlitz ernannt. Was andernorts ein Skandal wäre, ist in Sachsen ein Grund zu Beförderung. Der Leipziger Volkszeitung zufolge erhält Kleine damit die Fachaufsicht über das LKA.

So fragt man sich derzeit ein weiteres Mal, wie der Landesinnenminister seit mittlerweile über drei Jahren mit seinem Führungsstil durchkommt. Allein die Bilanz der vergangenen zwölf Monate fällt vernichtend aus: Im vorigen Sommer wurde bekannt, dass bis zu 120 Beamte der Polizeidirektion Leipzig einen privaten Hehlerring mit sichergestellten Fahrrädern betrieben haben sollen. Wöller wusste davon, behielt es aber lieber für sich.

Im November vergangenen Jahres brachten dann in Leipzig selbsternannte Coronarebellen zusammen mit Hunderten Nazis das Zentrum der größten Stadt Sachsens für einen Tag unter ihre Kon­trolle. Es waren die größten rechten Riots im Freistaat, seit im Sommer 2018 ein faschistischer Mob in Chemnitz randaliert hatte, der erste große Skandal des damals noch neuen Innenministers. Ebenfalls in Wöllers Verantwortung fällt die Tatsache, dass seine Behörden es nicht geschafft haben, im Oktober einen Mord in der Dresdner Innenstadt durch einen der wahrlich wenigen islamistischen Gefährder im Freistaat zu verhindern, obwohl der Täter nach seiner Entlassung aus der Haft überwacht wurde.

Im März konnten sich in Dresden erneut »Querdenker« und Hooligans über das Verbot ihrer Demonstration hinwegsetzen und Polizeiketten überrennen. Auch hier wies Wöller jede Kritik von sich und nahm seine Ordnungskräfte in Schutz. Dabei scheint er manche von ihnen selbst nicht unter Kontrolle zu haben, wie nicht nur der Skandal um den mutmaßlichen Munitionsklau zeigt: Im August hat die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen sechs Beamte der JVA Dresden erhoben, weil sie ausländische Häftlinge aus rassistischen Motiven misshandelt und gefoltert haben sollen.

Wöller hat in den vergangenen Monaten womöglich manche Landtagsabgeordnete öfter in Sondersitzungen des Innenausschusses gesehen als im Parlament. Doch die nach jedem neuen Skandal fast schon routinemäßig erhobenen Rücktrittsforderungen verhallen auch bei den Koalitionspartnern von SPD und Grünen im Nichts, und so bleibt am Ende nur Zynismus: Istwoellernochimamt.de ­lautet die Adresse einer Homepage, ins Leben gerufen von dem Leipziger Ableger der Satirepartei »Die Partei«. Wer drauf klickt, bekommt wohl noch lange die Antwort: Ja.