Das Theater Emprós in Athen wurde geräumt und wiederbesetzt

Ein Hauch von Freiheit

Zehn Jahre selbstverwaltete Kultur, zehn Jahre kontroverse politische Diskussion, zehn Jahre Solidarität mit emanzipatorischen Kämpfen: Seit der Besetzung 2011 im Rahmen der Kämpfe gegen die von der sogenannten Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission oktroyierten Spardiktate sind Hunderte Künstlerinnen und Künstler im Athener Theater Emprós aufgetreten. Über 400 verschiedene Theaterstücke in mehr als 2 000 Vorstellungen wurden aufgeführt. Mehr als 450 Konzerte, mindestens 300 Vorträge und unzählige Veranstaltungen zur Unterstützung selbstorganisierter Projekte, von Geflüchteten, Hungerstreiks, Kunstgruppen und Filminiativen fanden statt, zudem Hunderte von Versammlungen, Plena, Ausstellungen, Gedichtabende, Literaturfestivals und Workshops.

All das und noch mehr war und ist für viele Menschen das »freie selbstverwaltete Theater Emprós im zentral gelegenen Stadtteil Psyrí, das im Morgengrauen des 19. Mai von starken Polizeikräften geräumt und zugemauert wurde.

Das 1933 erbaute, seit 1989 als Beispiel der Architektur der Zwischenkriegs­zeit unter Denkmalschutz stehende schlichte Industriegebäude diente zunächst als Druckerei für die gleichnamige Zeitung, in der bekannte griechische Schriftsteller wie Emanouíl Roí­dis, Aléxandros Papadiamántis und Gregórios Xenópoulos veröffentlichten. Von 1988 bis 2007 diente es als Sitz des Theaterensembles Morfes mit Tássos Bandís und Ránia Oikonomídou und anschließend als Sitz des Theaters Emprós. Nach fast fünf Jahren Leerstand besetzte im November 2011 die Künstler- und Künstlerinnen-Initiative Mavíli das Gebäude mit Unterstützung der Bürgerinitiative Psyrí und erfüllte es mit neuem Leben.

Nach etwa einem Jahr vielfältiger künstlerischer, politischer und sozialer Aktivitäten übernahm 2012 die wöchentlich stattfindende offene Vollversammlung die Verantwortung für den Betrieb und die Verwaltung des Theaters. Polizeiliche Räumungsversuche in den Jahren 2013 und 2016 konnten mit Massenmobilisierungen abgewehrt werden. Im Zuge der nationalistischen Kampagnen zum inzwischen beigelegten Namensstreit mit der Nachbarrepublik Nordmazedonien verübten Nazis 2018 einen Brandanschlag auf das Theater. Bei einer ähnlichen Demonstration in Thessaloníki wurde das besetzte anarchistische Zentrum Libertatia bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Es wird inzwischen von den Besetzerinnen und Besetzern wiederaufgebaut.

Der Plan der Regierung unter dem neoliberalen Ministerpräsidenten Kyriákos Mitsotákis von der rechten Partei Néa Dimokratía (ND) und namentlich ihres parteilosen Bürgerschutzministers Michális Chrysochoídis, das in der Covid-19-Pandemie geschlossene Emprós ohne Widerstand zu räumen, ging nicht auf. Nach dem deutlichen Anstieg der Kriminalitätsrate im vergangenen Jahr, Mafiaschießereien mitten in der Hauptstadt und dem bislang unaufgeklärten Mord am Investigativjournalisten Giorgos Karaivaz, der am 9. April auf offener Straße in Athen erschossen worden war, sollte das angekratzte law and order-Image von Chrysochoídis offenbar aufpoliert werden. Zudem galt es, nach zuletzt oft peinlichen Auftritten von Kabinettsmitgliedern und Mitsotákis sowie einer insgesamt katastrophalen Pandemiepolitik mit der Räumung des besetzten Theaters entschiedenes Regierungshandeln zu demonstrieren.

Nach einem ersten allgemeinen Aufschrei der Empörung, Solidaritätskundgebungen in anderen Städten und kritischen Äußerungen vieler Kulturschaffender aus ganz Griechenland versammelten sich am Nachmittag des 22. Mai mehrere Tausend Menschen zur Protestdemonstration, um mit Musikbegleitung zum zugemauerten Emprós zu ziehen. Unter großem Jubel, kämpferischen Parolen und der Musik der 150 Musiker und Musikerinnen der »Support Art Workers« wurden mit Vorschlaghämmern die zugemauerten Eingänge geöffnet; das Gebäude wurde mit einer Riesenparty erneut besetzt. Tags darauf fanden Konzerte, Diskussionen, Proben und Aufführungen statt. Die Vollversammlung gab die dauerhafte Wiederbesetzung des Emprós und die Fortführung des Kampfs bekannt. Und es werden jetzt auch Unstimmigkeiten innerhalb der Regierungspartei ND und im Familienclan des Ministerpräsidenten deutlich.

Ein erneuter Räumungsversuch der Polizei am 24. Mai scheiterte an der Intervention der linken Stadtverordnetenfraktion Anoichtí Póli/Antarsía. Wie schon bei der Räumung am 19. Mai verfügten die Polizeikräfte nicht über die nötige Veränderungsgenehmigung der zuständigen Behörde für zeitgenössische Baudenkmäler. Deshalb musste der Versuch, das Gebäude diesmal mit Eisengittern abzusperren, nach einer Strafanzeige von Anoichtí Póli/Antarsía abgebrochen werden. Die landesweite Künstlervereinigung Potha verurteilte »dieses unmögliche Unternehmen des erneuten Räumungsversuchs« und forderte ein »entschiedenes Eingreifen des Kulturministeriums und der Stadt Athen«. Daraufhin meldete sich der Bürgermeister von Athen und Neffe des Ministerpräsidenten, Kóstas Bakogiánnis (ND), zu Wort. Er schlug der Eigentümerin des Emprós, der staatlichen Gesellschaft zur Verwaltung öffentlicher Gebäude (Etad), vor, es der Stadt Athen zu überlassen. Damit wolle Athen »den künstlerischen Ausdruck und die Künstler der Stadt unterstützen«.

Die Vollversammlung des Emprós zeigt sich von der wohl eher taktisch motivierten Distanzierung des Athener Bürgermeisters vom bisherigen ausschließlich repressiven Vorgehen unbeeindruckt: »Ob uns eine staatliche oder eine städtische Behörde zumauern will, ist uns egal. Wir werden das Emprós in jedem Fall selbstverwaltet und kämpferisch weiterbetreiben.«