Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte im Gespräch über die Krise der Linkspartei

»Dann gehe ich angeln«

Die Coronakrise, Identitätspolitik, Sahra Wagenknecht und ein Plan für den Fall, dass die Linkspartei im September nicht in den Bundestag gewählt wird.
Interview Von

Umfragen zufolge sieht es für die Linkspartei derzeit nicht gut aus. Befindet sich die Partei in einer ernsthaften Krise?
Es sah in der Tat nicht gut aus. Wir hatten Niederlagen, das muss besser werden. Nach dem Parteitag habe ich aber das Gefühl, dass das viele endlich gepeilt haben. Es geht voran.

 

»Wenn ich meiner Mutter, die Krankenschwester war, zeige, was wir als Linkspartei so publizieren, dann sagt die bei einigen Sachen nur: Wovon redet ihr eigentlich, mein Sohn?«

 

In der Coronakrise wächst die soziale Ungleichheit. Warum nützt das der Linkspartei bislang nicht?
Das ist die zentrale Frage. Eines ist ja sicher: Angesichts des Desasters im ­Gesundheitswesen und der wachsenden Akzeptanz der Idee eines starken Sozialstaats müsste das jetzt eigentlich die Stunde der Linkspartei sein.

 

Warum ist das nicht der Fall?
Das hat eine ganze Reihe von Ursachen, darunter die übliche Selbstzerfleischungsmentalität sowie Auseinandersetzungen über Identitäts- und Klassenpolitik.

 

Welche noch?
Nach der Bundestagswahl 2009, bei der die Linkspartei mit 11,9 Prozent ihr ­bislang bestes Wahlergebnis erzielt hat, haben wir genauso weitergemacht wie zuvor. Damals hätten wir aber schauen müssen, wo wir uns erneuern sollten, und stärker überlegen müssen, worin unsere gemeinsame Identität als Partei besteht.

 

Sehen Sie weitere Fehler bei der Partei?
Die Sprache, die insbesondere einige Funktionärinnen und Funktionäre sprechen, ist für viele Leute nicht immer verständlich. Wenn ich meiner Mutter, die Krankenschwester war, zeige, was wir so publizieren, dann sagt die bei einigen Sachen nur: Wovon redet ihr eigentlich, mein Sohn?

 

 

Jan Korte
Jan Korte ist seit 2005 Mitglied des Bundestags für die Linkspartei und seit 2017 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion seiner Partei. 2020 veröffentlichte er das Buch »Die Verantwortung der Linken« im Verbrecher-Verlag.

 

 

Dass die Sprache der Linkspartei für viele kaum verständlich sei, kritisiert auch Sahra Wagenknecht. Kürzlich haben Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen einen Ausschlussantrag gegen Wagenknecht gestellt, Sie haben dies scharf kritisiert. Weshalb?
Weil das schlicht Sektierertum ist. Angesichts unserer Geschichte sollten Parteiausschlüsse das letzte Mittel sein. Teile der gesellschaftlichen Linken ­reagieren völlig überzogen auf Äußerungen Wagenknechts. Vieles teile ich auch nicht. Aber wenn man sich nüchtern mit damit befasst, muss man feststellen, dass sie wichtige Fragen stellt: Weshalb haben sich Teile ins­besondere der unteren Mittelschicht, die panische Angst vor dem sozialen Abstieg haben, von der Politik abgewendet, wählen gar nicht mehr oder wählen die AfD?

 

Wagenknecht hat die sogenannte Sammlungsbewegung »Aufstehen« gegründet. Könnte man ihr nicht auch Sektierertum vorwerfen?
»Aufstehen« ist aus vielen Gründen gescheitert. Dass viele es – begründet oder nicht – als Parallelstruktur verstanden haben statt als Sammlungs­bewegung, ist sicher einer davon.

 

Weshalb stellen Sie sich vor eine Politikerin, die mit ihren Aussagen, zum Beispiel über Migration, immer wieder provoziert und von der Mehrheitsmeinung der Partei abweicht?
Ich stelle mich nicht vor irgendjemanden, sondern vor meine Partei, denn es ist immerhin eine einzigartige Leistung, in einer antikommunistisch verseuchten Bundesrepublik neben der SPD eine sozialistische Partei etabliert zu haben. Was Wagenknecht über Mi­gration sagt, teile ich nicht, aber wir haben eben einen breiten Meinungskor­ridor in unserer Partei.

 

Wagenknecht schreibt in ihrem Buch »Die Selbstgerechten«, Identitätspolitik laufe darauf hinaus, »das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein«. Sehen Sie das auch so?
Nein, denn links ist da, wo Kämpfe gegen die Diskriminierung, Verächtlichmachung und Ausbeutung von Leuten stattfinden. Im Film »Pride« wird nacherzählt, wie Homosexuelle und Kohle­arbeiter sich miteinander gegen Margaret Thatcher solidarisiert haben. Auch heute müssen wir das gemeinsame nach vorne stellen: Gegen die, die schuld sind an den Verhältnissen.

 

Was kritisieren Sie an Identitätspolitik?
Ich kritisiere Identitätspolitik nicht grundsätzlich. Antirassismus zum Beispiel ist keine Marotte. Es gibt Antirassismus, weil es Rassismus gibt, so einfach ist das, und gegen Rassismus müssen wir kämpfen. Bei manchen, die Identitätspolitik betreiben, sehe ich ­allerdings die Gefahr, dass sie andere, die zum Beispiel ausgebeutet werden, nicht mehr sehen.

 

In Ihrem Buch »Die Verantwortung der Linken« schreiben Sie, dass »alle Akteure in einem Mitte-links-Lager sich darüber verständigen sollten, wer welche Rolle hat und wer welche Milieus, Schichten und Klassen gewinnen soll und kann«. Wen soll die Linkspartei für sich gewinnen?
Wir müssen um die kämpfen, die die Linkspartei bereits gewählt haben, ­inzwischen aber ins Lager der Nichtwähler gewechselt sind. Zudem müssen wir uns um ein großstädtisches Milieu kümmern, dessen Mitglieder zwar tendenziell ein relativ hohes Einkommen haben, aber nicht in einem Land ­leben wollen, in dem es einen so perversen Reichtum und so perverse Armut gibt wie in Deutschland. Außerdem müssen wir die klassischen Arbeiterinnen und Arbeiter wieder stärker für uns gewinnen.

 

Wen meinen Sie damit genau?
Ich war gestern im Achslagerwerk in Staßfurt, das in meinem Wahlkreis in Sachsen-Anhalt liegt. Dort kämpfen die Beschäftigten für einen Tarifvertrag. Da muss man hingehen und eine Sprache sprechen, die den Kopf und den Bauch erreicht.

 

Sollte die Linkspartei sich mehr als parlamentarischer Arm sozialer Bewegungen verstehen?
Wenn es nicht gut läuft, heißt es in linken Organisationen häufig, man solle den Anschluss an Bewegungen suchen. Ich finde es richtig, zum Beispiel »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« zu unterstützen, denn das ist eine reale Bewegung, keine halluzinierte, wie es sonst oft in der gesellschaftlichen Linken der Fall ist. Aber es gibt eben große Landstriche, in denen eher die Kleingarten-, die Angler- oder die Feuerwehrbewegung wichtig sind.

 

Inwiefern sind Kleingarten- und Anglervereine für die Linkspartei ­politisch relevant?
Für mich ist relevant, wo ich Leute treffe, die in die Gesellschaft hineinwirken. Im ländlichen Raum sind das vor allem Leute, die in Vereinen aktiv sind. Wenn ich dort zum Beispiel antifaschistische Bündnisarbeit machen will, brauche ich diese Leute. Was das angeht, waren wir als Partei schon einmal besser aufgestellt. Bruno Kreisky (ehemaliger sozialdemokratischer österreichischer Bundeskanzler, Anm. d. Red.) hat einmal gesagt, man müsse die Leute mögen, wenn man linke Politik machen will. Dazu gehört, dass man nicht nur zum Sommerfest, sondern auch einfach so mal in die Kleingartenanlage geht und sich mit den Leuten dort zwei, drei Bier reinschiebt.

 

Sie haben kürzlich gefordert, jeder Grundrechtseingriff während der Pandemie müsse im Hinblick auf künftige Pandemien überprüft werden. Steht die Linkspartei auch deshalb schlecht da, weil sie zu wenig Kritik an der Einschränkung von Grundrechten in der Pandemie äußert?
Wir sind in der schwierigen Lage, eingeklemmt zu sein zwischen einer staatstragenden Oppositionspartei, also den Grünen, sowie der AfD und einer irrlichternden FDP, die faktische eine Art AfD-light-Politik macht. Die Linkspartei muss natürlich jede Grundrechtseinschränkung prüfen und, wenn nötig, auch kritisieren. Andererseits sind die Grundrechtseinschränkungen natürlich in weiten Teilen schlicht notwendig, um zu verhindern, dass noch mehr Leute sterben.

 

Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hat kürzlich gesagt, die Linkspartei müsse in besonderem Maße ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen, was ein Bekenntnis zur Nato einschließe. Würden Sie sich zur Nato bekennen, um mit den Grünen und der SPD regieren zu können?
Ich weiß nicht, weshalb ich als Linker ein Bekenntnis zur Nato ablegen sollte. Anstatt uns Bedingungen zu stellen, sollten die Grünen den Leuten eher erklären, wie ihre Versprechungen damit zusammenpassen, dass sie bereits jetzt eine Koalition mit den korrupten Unionsparteien vorbereiten.

 

Unter welchen Bedingungen wären Sie zu einer Koalition mit den Grünen und der SPD bereit?
Ich habe in dieser Frage eine pragmatische Haltung. Wenn man eine Vermögensteuer einführen, die Löhne in Ost- und Westdeutschland angleichen, Leiharbeit abschaffen und für vernünftige Löhne sorgen kann, sollte man natürlich in eine Regierung gehen. In meinem Wahlkreis habe ich hingegen noch von keinem Arbeiter gehört, der sich morgens auf dem Weg zur Schicht fragt: Wie komme ich denn nun aus der Nato raus? Gleichzeitig will niemand diese schwachsinnige Aufrüstung oder einen neuen kalten Krieg mit Russland oder China.

 

Was machen Sie eigentlich, wenn die Linkspartei im September nicht wieder in den Bundestag gewählt wird?
Dann gehe ich angeln. Aber dazu wird es nicht kommen: Die Linkspartei ist mittlerweile zu fest verankert, um nicht wieder in den Bundestag gewählt zu werden. Wir haben einen Job zu erledigen, den sonst keiner macht: uns mit den Mächtigen anzulegen.