Der Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank legt seinen ersten Comic vor

Henne oder Ei

Arne Zank, der Schlagzeuger von Tocotronic, hat sich für seinen ersten Comic in die Welt der Vögel begeben. Er ist im deutschen Pop nicht der Einzige, der sich in den vergangenen ­Jahrzehnten von den gefiederten Freunden fasziniert zeigte.

»Ich werd’ nicht Amsel, Drossel oder Fink – ich bleib’ Star!« So rappte es Denyo 1998 im Beginner-Hit »Füchse«. Schon klar, »ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss«, aber so grundlegend schließen sich Vogelsein und Starsein dann doch nicht aus. Das ist allerspätestens seit einem Kurzcomic klar, den der Toco­tronic-Schlagzeuger Arne Zank 2020 als Zugabe in der Anthologie »Sie wollen uns erzählen« veröffentlicht hat. Der Band versammelt Inter­pretationen verschiedener Tocotronic-Songs von diversen Zeichnerinnen und Zeichnern. Zank, der Illustration in den Neunzigern zumindest nebenbei studiert hatte und über die Jahre unter anderem an verschie­denen Trickfilmen mitwirkte, steuerte eine gezeichnete Erzählung da­rüber bei, wie sich die Band kennenlernte. Er und seine Bandkollegen Dirk von Lowtzow, Jan Müller und Rick McPhail schlüpfen hier zwar nicht aus dem Ei, dafür aber in gelbes Gefieder.

Mit seinem Comic-Debüt tritt Arne Zank nicht nur zwangsläufig in die Reihenfolge von Carl Barks – er knüpft auch an eine allgemeine Vogelmanie in den nuller Jahren an, die bis in die Gegenwart fortwirkt.

Eine gewisse Affinität zum Federvieh hatte die Band im Jahr 2013 bewiesen, als sie ihr plüschiges Maskottchen Daphne vorstellte, das auf Knopfdruck Fangesänge zwitscherte. Das bunte Kuscheltier mit den Duck’schen Plattfüßen – nur echt mit Tocotronic-Knopf im Ohr – ist längst zum begehrten Sammelobjekt geworden. Im Entenhausener Universum sehen Tocotronic übrigens eher wie Punk-Versionen von Goofy aus. Das zeigte die Hommage mit dem Titel »Die neue Monotronic« in einer Ausgabe von »Micky Maus« aus dem Jahr 2010 – noch so ein Sammlerstück.

Die Figuren in Zanks Comic haben zwar ähnliche Plattfüße, sehen aber sonst ganz anders aus. Sie erinnern eher an Gloster-Kanarienvögel. Das sind diese ultrasüßen kleinen Wesen, die aussehen wie eine Kreuzung aus einem Küken und wahlweise John, Paul, George oder Ringo zu allerbesten Pilzkopfzeiten.

Füchse und Vögel bevölkerten ­bereits im Jahr 2007 die Texte von Toco­tronic: »Die Vögel im Baum, sie kapitulieren / Die Füchse im Bau, sie kapitulieren«, hieß es bei ihnen auf dem Lieblingsalbum aller Musik­redaktionen, betitelt mit »dem schönsten Wort in deutscher Sprache« – »Kapitulation«. 14 Jahre später ist das ornithologische Experiment längst weiter fortgeschritten, denn Zank hat die Vögel vom Baum geholt. Wider Tocotronics Aufforderung tun die Protagonisten in dessen erstem Comicband »Die Vögel – fliegen hoch!« genau das nicht: ­kapitulieren. Überflieger im von Leistungsimperativen geprägten Spät­kapitalismus sind sie aber auch nicht ganz. Sie drehen eher krumme Dinger. Nach einem Bankraub, den eine Nebenfigur gekonnt kapitalismuskritisch einordnet (Brecht-Style), sind die beiden Protagonisten auf der Flucht (Bonnie-and-Clyde-Style).

Einzelne Panels erschienen zunächst bei Instagram. Alle paar Tage veröffentlichte Zank drei, vier recht einfach gezeichnete Bilder, die ihr Publikum dank Cliffhanger (Koma! Ungeklärte Vaterschaft! Vogelgrippe! Gefängnis!) fast schon wie eine ­Seifenoper bei der Stange zu halten wussten. Jetzt ist die ganze Geschichte überarbeitet und in Farbe erschienen.

Fans von Liebesgeschichten mögen enttäuscht sein, dass die Vogelhochzeit ausbleibt. Das bürgerliche Leben verträgt sich einfach nicht mit dem aufregenden Lebensweise der beiden love birds, die auch schon mal wie die Warriors in New York City im gleichnamigen Film von 1979 mit der U-Bahn vor der Polizei fliehen müssen. »Fideralala« wird trotzdem gesungen und überhaupt baut Zank so gut wie jeden Vogelkalauer in seine Interpretation einer road novel ein, der so in den Sinn kommt, vom Henne-Ei-Problem – Spoiler: Es bleibt ein Mysterium – bis zum Vogel­park Walsrode. Und auch die Gruppe Tocotronic hat noch mal ihren Auftritt als »in die Jahre gekommene Indie-Rock-Band«, die »noch tolle Haare« hat. Spaßvogel! Das ist vielleicht ein bisschen albern, aber warum auch nicht? Das hier ist schließlich Ornithologiepop und muss kein Diskurs­pop sein.

Wobei Zanks Vögel durchaus Haltung haben. Hier kann zum Beispiel niemand einfach so die Smiths ­zitieren, ohne dass es den obligatorischen Rüffel wegen des irgendwie nach rechts entgleisten Morrissey gibt. Über Fluchthilfe und Seenotrettung muss nicht groß diskutiert werden. Das sind Selbstverständlichkeiten: »Na klar, wir Vögel müssen zusammenhalten.« Der Schwarm steht der Meute an dieser Stelle in nichts nach – Anthropomorphismus at it’s best!

Mit seinem Comic-Debüt tritt Zank fast zwangsläufig in die Nachfolge von Carl Barks – wer von Vogelcomics schreibt, darf von Donald Duck nicht schweigen. Darüber hinaus knüpft er auch an eine allgemeine Vogelmanie der nuller Jahre an, die sich bis in die Gegenwart fortwirkt. So hat sich auch die hiesige Twitteria – ja, auch das Logo von Twitter ist ein Vogel – in beeindruckender Weise in die Wahl des Nabu zum Vogel des Jahres 2021 eingemischt. Der Schriftsteller Saša Stanišić rief kurzerhand die »Gold­regenpfeifer-Ultras« aus. Während der Goldregenpfeifer in Deutschland knapp gegen das Rotkehlchen verlor, konnte er das Rennen in Island für sich entscheiden. Grenzen interessieren ihn aber ohnehin nicht – er zieht dorthin, wo es ihn eben hinzieht.

Auch im Pop-Underground gibt es ernstzunehmende Hobbyornitho­logen. Der »geniale Dilletant« Wolfgang Müller ist seit seinem ersten ­Besuch in Island 1990 zwar nicht vom Goldregenpfeifer, aber vom 1844 endgültig ausgerotteten Riesenalk so fasziniert gewesen, dass er sich immer wieder mit ausgestorbenem Vogelvieh beschäftigt. Er ließ beispielsweise 2008 in seinem Hörspiel »Séance Vocibus Avium« im Bayerischen Rundfunk die Stimmen (fast) ausgestorbener Vögel wieder oder überhaupt erstmals erklingen. Das Stück erinnert formal dank seiner Wiederholungen und Satzvariationen an avantgardistische Arbeiten wie die von Oulipo.

Inhaltlich reklamiert es aber für sich, durchaus Hand und Fuß (und Schnabel) zu haben. Es hieß: »Wolfgang Müller bat befreundete Musiker, eine möglichst naturalistische Rekonstruktion des verstummten Vogelgesanges nach den existierenden wissenschaftlichen Angaben vorzunehmen.« Die Vögel, die nun nur noch als Vogel­gespenster umgehen, haben so schöne Namen wie Mauritiusfruchttaube oder Präriehuhn und wurden unter anderem von Annette Humpe, Françoise Cactus und Brezel Göring vertont.

Statt auszurotten, rief die Gruppe Ja, Panik einen ganz eigenen Vogel ins Leben. Sie zeichnete, stempelte und nähte gegen Ende der nuller Jahre den Wurstvogel, der genauso aussieht, wie man ihn sich vorstellt: Eine Wurst mit Schnabel und Füßen. Das Rezept für einen Deep Fried Turkey lieferten sie im »Großen bunten Kochbuch der Gruppe Ja, Panik« gleich mit.

Und auch in weniger ausgefeilter Form gilt immer wieder: »Bird, bird, bird, bird is the word!« (»Surfin’ Bird« von The Trashmen, 1963) Die Einstürzenden Neubauten fragten 2002, »was der seltene Vogel nach seiner Rückkehr im Schnabel trägt«. 2006 sangen Tomte vom »großen gelben Vogel«, als sie »den Traurigen die Welt erklärten«. ­Apropos großer gelber Vogel: 2008 machte auch Olli Schulz im gleich­namigen Song den Bibo, den durch und durch fiktiven Vogel aus der »­Sesamstraße«.

Die Playlist ließe sich fortsetzen – wie übrigens auch Zanks »Die Vögel – fliegen hoch!«. Einige Fragen sind nämlich durchaus offenge­blieben: Werden jemals alle Hühnerbeine heilen? Wer ist denn nun der Vater vom frechen Küken? Und vor allem: Herr Zank, was war denn nun zuerst da – Henne oder Ei?

Arne Zank: Die Vögel – fliegen hoch! ­Ventil-Verlag, Mainz 2021, 128 Seiten, 20 Euro