Missionierter Rückschritt
Seine Arbeit erledigt Nathanael Liminski möglichst ohne Aufmerksamkeit zu erregen oder inhaltlich Stellung zu beziehen. Trotz dieser Bemühungen berichten Medien wie die Taz bereits seit längerem ausführlich über den Chef der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen und Vertrauten des Ministerpräsidenten und CDU-Kanzlerkandidaten, Armin Laschet. Der Grund für dieses Interesse sind Liminskis erzkatholische Überzeugungen und seine Verbindungen in reaktionäre, christlich-fundamentalistische Kreise.
Jüngst erregte ein mittlerweile zurückgezogener Wahlwerbespot der SPD die Gemüter. In dem Video beschreibt ein Sprecher aus dem Off, was man wähle, wenn man »Armin Laschet und die CDU wählt«. Zu sehen sind Matrjoschka-Figuren mit den Gesichtern von CDU-Politikern. Beim Bild von Friedrich Merz heißt es, man »wählt eine Politik, die Reiche reicher und Arme ärmer macht«; die Figur des ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wird symbolisch an die rechte Tischkante gestellt. Bei Nathanael Liminski wird gesagt, man wähle »erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist«.
Es ist der missionarische Charakter, also der Anspruch, religiöse Wertvorstellungen in der Gesellschaft zu verbreiten, der aus Liminskis religiösen Überzeugungen eine politische Frage macht.
Mehrere Medien warfen der SPD daraufhin einen Tabubruch vor. Der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Landesgruppe der CDU im Bundestag, Günter Krings, kritisierte im Kölner Stadt-Anzeiger, »dass höchstpersönliche Themen und religiöse Überzeugungen zum Gegenstand politischer Angriffe gemacht« würden. Das habe »es in der Nachkriegszeit so noch nicht gegeben«. Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier bezeichnete den Spot im Tagesspiegel als »eine ziemlich drastische Form des negative campaigning, die an amerikanische Vorbilder erinnert«.
Annika Brockschmidt, Autorin und Expertin für die katholische Rechte in den USA, kritisierte den Vergleich mit den USA als »absurdes Framing« und verteidigte die Kritik an Liminski. Sie schrieb auf Twitter: »Zu behaupten, dass hier religiöse Überzeugungen ›politisiert‹ würden, ist abstrus. Wenn religiöse Überzeugungen Politik beeinflussen, ist es im öffentlichen Interesse, darüber zu informieren – und keine Privatsache.«
Wann Nathanael Liminski den richtige Moment für Geschlechtsverkehr gekommen sieht, welchem Glauben er anhängt und wie oft er in die Kirche geht, sind seine Privatangelegenheiten. Seine religiös fundierte politische Haltung hingegen ist es nicht, denn Liminski könnte Armin Laschets Kanzleramtschef werden und seine streng konservativen Positionen könnten das Leben vieler Menschen hierzulande beeinflussen.
Geboren in Bonn, wuchs Liminski in einer ultrakatholischen Großfamilie als achtes von zehn Kindern auf. Beide Eltern gehören Opus Dei an, einem international agierenden christlich-fundamentalistischen Orden, den der katholische Priester Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás 1928 gegründet hatte. Die ultrakonservative Laienvereinigung strebt nicht weniger an als die (Re-)Christianisierung aller Menschen und Institutionen.
Nathanaels Vater, der im Juni diesen Jahres verstorbene Jürgen Liminski, war Journalist und pflegte enge Kontakte zur sogenannten Neuen Rechten und rechtsklerikalen Organisationen wie dem »Forum Deutscher Katholiken«. Noch 2019 referierte er auf deren Kongress »Freude am Glauben« in Ingolstadt. In seinem Vortrag über die »letzte Schlacht« um Ehe und Familie beklagte er der Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt zufolge die zu diesem Thema verbreiteten »verwirrten Ansichten«. So warf er den Grünen vor, Promiskuität und Polyamorie zum Normalfall machen zu wollen.
Nathanael Liminski hat sich nie von den religiös-politischen Ansichten seiner Eltern distanziert. 2005 war er Mitgründer und mindestens bis 2010 Sprecher des innerkirchlichen Netzwerks »Generation Benedikt«, das den konservativen deutschen Papst Benedikt XVI. unterstützen wollte. In dieser Funktion nahm er an mehreren Talkshows teil. Die 2013 in »Initiative Pontifex« umbenannte Gruppierung ist ein internationales Netzwerk papsttreuer Katholiken und Katholikinnen, die unter anderem Schwangerschaftsabbrüche verbieten und Deutschland »rekatholisieren« will. Ihr Ziel ist die »Durchdringung jedes Lebensbereiches und jeder Lebenssituation durch das Evangelium«. Es ist dieser missionarische Charakter, also der Anspruch, religiöse Wertvorstellungen in der Gesellschaft zu verbreiten, der aus Liminskis religiösen Überzeugungen eine politische Frage macht.
Der Wahlwerbespot der SPD bezieht sich auf ältere Aussagen von Liminski. In einem Gespräch mit dem Spiegel bekannte er sich 2007 zur Keuschheit vor der Ehe, bezeichnete Abtreibungen als »ethisch nicht vertretbar« und wandte sich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, da »der Staat schon aus reiner Selbsterhaltung die natürliche Form der Ehe und Familie fördern« müsse. Seither hat sich Liminskis zumindest rhetorisch gemäßigt. Mittlerweile sieht er auch »in homosexuellen Partnerschaften Werte gelebt, die wichtig sind für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt«, wie er anlässlich der diesjährigen Mitgliederversammlung der Lesben und Schwule in der Union des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen sagte.
Bis 2020 war Liminski allerdings stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung für Familienwerte, die sich »für ein selbstbestimmtes und gelingendes Familienleben auf der Grundlage christlicher Werte, als Alternative zur zunehmend staatlich vereinnahmten Familie« einsetzt. Die Stiftung ist Bündnispartner der homofeindlichen »Demo für alle«, als weitere Partner benennt die Website der Stiftung Birgit Kelles Verein »Frau 2000plus«, ein Institut für natürliche Empfängnisregelung und Teenstar, ein »ganzheitliches« Programm der »Lebensschutz«-Organisation Kaleb für Kinder und Jugendliche zur Sexualerziehung in ihrem Sinne.
Wenn Personen wie Liminski aus dem Kanzleramt heraus Einfluss auf die Politik nehmen, ist nicht davon auszugehen, dass sie sich für Liberalität und Selbstbestimmung einsetzen werden.