Die Autobiographie »Randale, Raves und Ruhm« des britischen Musikmanagers Alan McGee

Größenwahn und Drogen­wahnsinn

In seiner Autobiographie zeichnet der britische Musikmanager Alan McGee ein eindrückliches und schonungsloses Bild des Musikgeschäfts der Indie-Szene seit den achtziger Jahren. Dass er sich dabei an den Konventionen des Künstler-Biopics orientiert, trübt die mitunter auch amüsante Lektüre des Buches.

Wie erzählt man gewissenhaft die Geschichte eines Rockstars, dessen Leben sich insbesondere auf großen Bühnen, legendären Konzerten und ausschweifenden Partys abspielt? Ein Leben, das sich durch Höhen und Tiefen auszeichnet, die ein Durchschnittsbürger kaum selbst erleben wird? Bei Biographien über Musikerinnen und Musikern hat sich in den vergan­genen Jahren eine immer wieder­kehrende Formel breitgemacht, die vor allem auf dem Filmmarkt vorherrscht. Sie ist so simpel und erfolgreich, dass wir sie in Filmbiographien wie »Walk the Line« (Johnny Cash), »Bohemian Rhapsody« (Queen) und »Rocketman« (Elton John) wieder und wieder sehen durften – oder mussten.

Am Anfang dieser Biopics steht meist eine Krise oder, um genau zu sein, meist der Moment, bevor die Krise überwunden wird: vor dem großem Konzert von Queen im Wembley-Stadion 1986 oder dem von Johnny Cash im berüchtigten Folsom State Prison 1968. Diesem Moment folgt dann stets der Rückblick in die Anfangstage der Band oder der Musiker. Diese Inszenierung der ersten Szenen und Momente sind wir auch als Zuschauer derart gewöhnt, dass einem kaum mehr eine alternative Erzählweise einfällt. Sie ist ein solcher Verkaufsschlager, dass sogar schon Bücher nach dieser Formel geschrieben werden.

Während die Drogenexzesse, also jene Übertritte, die man sonst höchstens hinter vorgehaltener Hand ausplaudert, ausgewalzt werden, bricht McGees Erzählung immer wieder ab, wenn es politisch heikel wird.

Die Autobiographie von Alan McGee, die bereits 2013 veröffentlicht wurde und dieses Jahr in deutscher Übersetzung als »Randale, Raves und Ruhm« erschienen ist, ist dafür ein schlagendes Beispiel. McGee war Mitgründer und Kopf des 1986 gegründeten einflussreichen Labels Creation Records. Er entdeckte, förderte und veröffentlichte Alben ein paar der wichtigsten Bands der jüngeren Musikgeschichte: The Jesus and Mary Chain, My Bloody Valentine, Primal Scream, Oasis, The Libertines – um nur wenige zu nennen. McGee hat seinen Platz im Pop- und Rock-Olymp sicher, nun legt er seine Biographie vor. Dafür unterwirft er sein Leben der Formel des Biopics und braucht auch nicht lange, um eine Krise zu finden.

Es ist das Jahr 1994 und eine Linie Kokain (»so lang wie ein Arm. Und auch fast so dick«) wird in Kombination mit einem schier endlosen Flug von London nach Los Angeles zur verhängnisvollen Affäre. Statt ­einem spaßigen Urlaub mit seiner Schwester, die ihn begleitet, landet McGee in einer Klinik. Nach diesem Intro folgen Bilder aus den Kinder­tagen. Gemäß der standardisierten Erzählweise des Biopics geht es weiter: McGee setzt sich gegen Widerstände durch, beweist sein Genie, lässt sich nicht von vermeintlichen Experten reinreden, sondern findet seinen ­eigenen Sound und wird von Tag zu Tag erfolgreicher – bis es zum Absturz kommt. Aber dann schnellt er nach Klinikaufenthalt und Zwangspause doch wieder an die Spitze.

Der Plot dieses Buchs kann also nicht überraschen. Dennoch weiß »Randale, Raves und Ruhm« streckenweise wirklich zu überzeugen, nämlich immer dann, wenn statt durchgetakteter (Heiligen-)Erzählung im Plauderton der real existierende (Drogen-)Wahnsinn des Musikgeschäfts schonungslos thematisiert wird. Es geht dann um raushängende Aug­äpfel, um tagelange Rave-Abenteuer in Manchester, aber auch um den ­sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch den 2011 verstorbenen DJ und Moderator der BBC, Jimmy Savile, der vom damaligen ­Premierminister Tony Blair umgarnt wurde.

Das Leben des 1960 geborenen McGees ist durchaus interessant. Es ist, wenn man so will, eine Vorzeige-Aufstiegsgeschichte. Denn man sollte bei aller Formelhaftigkeit nicht vergessen: Der bleichgesichtige, rothaarige Schotte, der in Glasgow aufwuchs, als die Stadt noch eine der größten »Schandflecken« des Vereinigten Königreichs war und eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten Europas aufwies, darf sich ein Gewinner des Godlike Genius Award nennen. Diese Trophäe des englischen Musikmagazins New Musical Express, die – typisch britisch – ein vergoldeter Mittelfinger ist, ehrt nur die ganz Großen des Geschäfts: den Radio-DJ John Peel, The Cure, die Pet Shop Boys. Und dazwischen halt der wie ein Rohrspatz schimpfende Musikmanager, dessen schottischer Akzent eine wirkliche Verständigungshürde darstellen kann. Ein Glück, dass wir hier schriftlich unterhalten werden.

Überhaupt war und ist das Unterhaltsame an Alan McGee, dass er fast nie ein Blatt vor den Mund genommen hat. Dementsprechend handelt es sich um ein Enthüllungsbuch, auch mit Blick für soziale Themen wie häusliche Gewalt, die in dem Buch immer wieder vorkommt. Fast schon flapsig erzählt McGee von den dreckigen, gefährlichen Straßen Glasgows, vom Schmutz und vom Schlamm, von den Fabrikgebäuden und den Arbeitern. Und wie diese Arbeiter, wenn sie ein Bier über den Durst getrunken haben, nach Hause gingen und ihre Frauen und Kinder geschlagen, bisweilen sogar zu Tode geprügelt haben. Was man an Gewalt im eigenen Elternhaus erfuhr, lebte man im gleichen Maß auf dem Schulhof aus. Da flog dann auch mal ein Handbeil, wie McGee glaubhaft erzählt.

Der einzige Kumpel, der heil durch seine Pubertät kam, ist Bobby Gillespie. Er wird McGees erster richtiger Freund; zusammen erschließen sie sich die Musikwelt: David Bowie ist ihre erste wahre musikalische Liebe, was im sumpfigen Glasgow natürlich nicht sonderlich gut ankommt. ­Musik erscheint als der einzige Ausweg aus der tristen Existenz. Bald bilden sich die ersten Bands, auch Gillespie und McGee versuchen es – das ist jedoch schnell Geschichte. McGee wird zwar noch sehr lange an seinen Ambitionen als Musiker festhalten, erkennt aber schließlich sein Talent fürs Geschäft, für Ideen, für frechen Wahnsinn. Gillespie gründet derweil zusammen mit ­einem anderen Jugendfreund namens Robert Young eine Band, die Anfang der Neunziger durch die Decke geht: Primal Scream. Young, genannt »Throb«, wird im Übrigen Jahre später auch die verhängnisvolle Linie Kokain legen.

Bewundernswert ist, dass McGee in seiner Offenheit auch nicht vergisst, seine eigenen Fehler und (kleineren) Katastrophen zu thematisieren. Man liest von gescheiterten Ehen und Interviews sowie von seinem Größenwahn, der ihm immer wieder im Weg steht. Aber die Biopic-Formel rückt auch hier das Leben so zurecht, dass es dem Erfolg des Produkts nicht abträglich ist. Während bei »Bohemian Rhapsody« und ­»Rocketman« die Homosexualität von Freddie Mercury und Elton John nur wenig Erwähnung findet, damit die Filme auch in China, ­Russland und arabischen Ländern vermarktet werden können, glättet McGee seine teils schwierigen Freundschaften. Wir erfahren zwar von der zeitweilig angespannten ­Beziehung zu Gillespie, davon, dass dessen Drogensucht später kaum noch mit dem Leben des nicht mehr drogenabhängigen McGees vereinbar war; dass Gillespie aber bis heute antisemitische Parolen und Theorien von sich gibt und Israel das Existenzrecht abspricht, verschweigt das Buch geflissentlich.

Das ist womöglich auch ein Zugeständnis an das Publikum: Während nämlich die Drogenexzesse, also jene Übertritte, die man sonst höchstens hinter vorgehaltener Hand ausplaudert, ausgewalzt werden, bricht McGees Erzählung immer wieder ab, wenn es politisch heikel wird. Das betrifft außer antisemitischen Äußerungen auch die in der englischen Indie-Szene bekanntermaßen weitverbreitete Homophobie.

Trotz aller Unzulänglichkeiten bietet »Randale, Raves und Ruhm« ein zuweilen amüsantes und anziehendes Lesevergnügen. Alan McGee ist und bleibt ein Großmaul; in seiner Selbstdarstellung wusste er immer schon alles und hatte sowieso stets den besten Geschmack der Welt. Die Mega­lomanie, die aus jedem dritten Absatz spricht, wirkt jedoch eher reizvoll als abschreckend in dieser Autobiographie, die ganz nebenbei auch davon erzählt, wie die Musikwelt funktionierte, als es noch große Indie-Persönlichkeiten gab und man im Musikgeschäft tatsächlich Erfolg haben konnte, ohne sich an Major-Labels wie Universal oder Warner zu verkaufen.

Alan McGee: Randale, Raves und Ruhm. Storys eines Labelmachers. Aus dem Englischen von Michael Kellner. Matthes & Seitz, Berlin 2021, 358 Seiten, 24 Euro