Malaysia hat den dritten Premier­minister in einer Legislaturperiode

Kurze Haltbarkeit

Malaysia hat den dritten Premierminister in einer Legislaturperiode. Mit Ismail Sabri Yaakob kehren die restaurativen Kräfte an die Macht zurück.

Während im Land die Infektionszahlen rasant ansteigen, sind in Malaysia die restaurativen Kräfte in Gestalt des neu ernannten Premierminister Ismail Sabri Yaakob an die Macht zurückgekehrt. Am Freitag voriger Woche hatte ihn Sultan Abdullah Shah, Staatsoberhaupt der südostasiatischen Wahlmonarchie, zum neunten Regierungschef seit der Staatsgründung Malaysias ernannt, tags darauf wurde er vereidigt. Am Sonntag wandte sich Ismail Sabri Yaakob erstmals in dieser neuen Funktion an seine Landsleute. Dabei klang er ausgesprochen versöhnlich. Vor allem beim Kampf gegen die im Land grassierende Covid-19-Pandemie mit ihren gesundheitlichen und ökonomischen Auswirkungen bot er der Oppo­sition explizit eine Zusammenarbeit in den entsprechenden Sondergremien zur Koordination von Maßnahmen an.

Vor seiner Ernennung zum Premier­minister sprachen sich in einer Online-Petition rund 350 000 Menschen gegen Ismail Sabri wegen seiner verfehlten Coronapolitik aus.

Sein Amtsvorgänger Muhyiddin Yassin hatte am 16. August seinen Rücktritt erklärt. Er war erst 17 Monate zuvor durch eine wesentlich von ihm angeführte Intrige, die zum Bruch der damaligen Regierungskoalition führte, ins Amt gelangt. Mit Ismail Sabri als neuem Premierminister fand das Projekt eines größeren politischen Neuanfangs nunmehr sein vorläufiges Ende.

Bei den Wahlen 2018 hatte das Oppositionsbündnis um die moderat-säku­lare Volksgerechtigkeitspartei (PKR) und die liberale Demokratische Aktionspartei (DAP) der bisher dominierenden Vereinigten Nationalorganisation der Malaien (Umno) eine historische Niederlage bereitet. Deren stellvertretender Vorsitzender wiederum ist Ismail Sabri. Seit der Unabhängigkeit der ehemals britischen Kolonie 1957 hatte die konservative Umno ununterbrochen die Macht ausgeübt – die von ihr dominierte Barisan Nasional (Nationale Front/BN), in die mehrere kleine und Regionalparteien integriert waren, holte bei Wahlen verlässlich rund zwei Drittel der Stimmen.

Doch das alte Regime hatte bereits vor dieser Niederlage abgewirtschaftet: Ein milliardenschwerer Korruptions­skandal zu Lasten des staatlichen Investitionsfonds 1MDB hatte der Umno, die die NZZ als »Partei der Kleptomanen« bezeichnet, die Macht gekostet. 2015 war der damalige Premierminister Najib Razak angeklagt worden, etwa 700 Millionen US-Dollar aus dem Fond abgezweigt zu haben. Zugute kam den etablierten Oppositionsparteien außerdem, dass sich Najibs wortgewaltigster Kritiker förmlich mit ihnen verbündete: der greise Mahathir Mohamad, der selbst von 1983 bis 2001 Premierminister gewesen war. Zunächst noch in der Umno, dann in seiner eigenen Partei Bersatu agierend, hatte er an Najib Razak kein gutes Haar gelassen. Mahathir wurde zum Spitzenkandidaten der neuen Allianz und nach dem Wahlsieg 2018 folgerichtig Premierminister.

Die – etwas ungenauen – Absprachen besagten, dass Anwar Ibrahim (PKR) ihn etwa in der Mitte der Legislaturperiode im Amt ablösen sollte. Anwar, der unter mutmaßlich falschen Anschuldigungen mehrere Jahre im Gefängnis gesessen hatte, konnte zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht selbst kandidieren und rückte erst etwas später ins Parlament nach. Als im Februar 2020 die Amtsübergabe an ihn bevorstand, revoltierten einige Abgeordnete aus Mahathirs Bersatu-Partei, die de facto zerbrach.

Muhyiddin, seit 2016 Mitglied der Malaysian United Indigenous Party und davor von 1978 bis 2016 Mitglied der Umno, nutzte die Situation und ließ sich eben mit Hilfe der zuvor entmachteten Umno am 1. März 2020 zum neuen Premierminister küren. Die restaurativen Kräfte saßen damit wieder mit am Kabinettstisch. Etliche in der Umno, darunter der zuletzt schon zum stellvertretenden Premierminister ernannte Sabri, hätten Muhyiddin durchaus an der kurzen Leine weiterregieren lassen. Doch es war eine Minderheit um den Parteivorsitzenden Ahmad Zahid Hamidi, die schon seit Juli immer offener versucht hatte, ihn zu stürzen – und dies schließlich auch durchsetzte.

Mit dem 61jährigen Sabri übernimmt nun einer der einflussreichsten Umno-Politiker die Regierungsmacht. Vor seiner Ernennung sprachen sich in einer Online-Petition rund 350 000 Menschen gegen ihn aus. Sie trauen ihm nicht zu, der Coronakrise Einhalt zu gebieten, hätte doch genau dies doch schon als Minister und zuletzt stellvertretender Premierminister wesentlich zu seinen Aufgaben gehört. Sein Amtsantritt biete wenig Hoffnung auf einen Ausweg aus der desolaten Lage, sagte die Politikwissenschaftlerin Serina Abdul Rahman dem britischen Guardian zufolge. Malaysia registrierte am Freitag voriger Woche 23 000 Neuinfektionen – eine der höchsten Tagesraten weltweit. In den sieben Tagen zuvor waren täglich durchschnittlich 256 Tote verzeichnet worden. Trotz eines seit Juni geltenden Lockdown war die Zahl der Infektions- und Todesfälle kontinuierlich angestiegen.

Muhyiddin appellierte vorige Woche nach seinem Rücktritt, woraufhin er zunächst noch geschäftsführend im Amt blieb, man dürfe insbesondere bei der Impfkampagne nicht nachlassen. Malaysia hat für ein Schwellenland eine recht hohe Quote von knapp 55 Prozent doppelt Geimpften; sie sorgt dafür, dass das Gesundheitssystem noch nicht völlig überlastet ist. Sechs Millionen zusätzliche Dosen seien bestellt, verkündete Sabri; die Lieferung wird Anfang September ­erwartet.

Hatte Malysias Wirtschaft im vorigen Jahr pandemiebedingt den schwersten Einbruch seit über zwei Jahrzehnten zu verzeichnen, zeigen die jüngsten Daten von vergangener Woche einen gewissen Aufschwung, getragen vor allem durch den produktiven Sektor, hohe Exporte und eine erstarkte Binnennachfrage. Doch ist das Niveau vom letzten Quartal 2019, also vor der Pandemie, längst noch nicht erreicht. Der Zentralbank zufolge werde das Plus im Gesamtjahr wohl nur bei drei bis vier Prozentpunkten liegen statt der im Frühjahr prognostizierten sechs bis siebeneinhalb Prozent Wirtschaftswachstum liegen. Viele Unsicherheiten bleiben. Nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für Sabri, der lediglich 114 von 222 Abgeordneten hinter sich hat.