Tschechien nach der Parlamentswahl

Tschechien wählt rechts

Nach der Wahl in Tschechien will der populistische Ministerpräsident Andrej Babiš nicht erneut eine Regierung bilden. Von der wahrscheinlichsten Koalition sind Einschnitte bei Sozialleistungen zu erwarten.

Viele in Tschechien und anderen europäischen Ländern feiern. Am Freitag voriger Woche sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš dem Radiosender Frekvence 1, er werde in die Opposition gehen. Viele interpretieren das als Zeichen eines Sieges der Demokratie über den Populisten Babiš.

Am 8. und 9. Oktober wurde das ­Abgeordnetenhaus, das Unterhaus des tschechischen Parlaments, gewählt. Babiš nationalistisch-populistische Partei Ano 2011 (Ano, Tschechisch für »ja«, steht hier für »Aktion unzufriedener Bürger«) wurde mit 27,1 Prozent der Stimmen zwar nur zweitstärkste Kraft, erhielt aufgrund des komplexen Systems der Mandatsvergabe aber einen Sitz mehr als das wirtschaftsliberal-konservative Wahlbündnis Spolu (Gemeinsam), das auf 27,8 Prozent der Stimmen kam. Spolu besteht aus der wirtschaftsliberal-konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der christlich-konservativen Partei Christliche und Demokratische Union – Tschechoslowakische Volkspartei (KDU-ČSL) und der wirtschaftsliberalen Partei Top 09.

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš kündigte an, er werde von jetzt an auch die Wähler der aus dem Abgeordnetenhaus ausgeschiedenen Sozialdemokraten und Kommunisten vertreten.

Das Wahlbündnis aus der tschechischen Piratenpartei und der parteiähnlichen Bewegung der Bürgermeister und Unabhängigen (Stan) kam auf 15,6 Prozent der Stimmen, die rechtsextreme Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) erhielt 9,6 Prozent. Der bisherige Koalitionspartner von Ano, die Sozialdemokratische Partei (ČSSD), und die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM), die die Minderheitsregierung aus Ano und ČSSD toleriert hatte, scheiterten an der Fünfprozenthürde.

Künftig wird daher die Piratenpartei die fortschrittlichste Kraft im Abgeordnetenhaus sein. Sie erhielt allerdings nur vier Mandate, zuvor hatte sie 22; an ihren Bündnispartner Stan gingen dagegen 33 Sitze. Die wirtschaftsliberale Piratenpartei besetzt in Tschechien auch sozialliberale Themen, steht für Klimaschutz und gilt als EU-freundlich. Wie Stan auftreten wird, bleibt offen: Je nach Region vertreten die Mitglieder der Bewegung unterschiedliche Positionen.

Für Babiš war das Wahlergebnis ein Schock. In Umfragen war Ano bis zuletzt stärkste Kraft gewesen (Jungle World 39/2021); in Anbetracht der in Umfragen schwachen bisherigen Koalitionspartner war vor der Wahl offen über eine Koalition mit der SPD diskutiert worden. Babiš hatte vielen als unantastbar gegolten, kein Skandal schien ihm schaden zu können. Davon gab es einige: Zahlreiche seiner Minister mussten zurücktreten, und noch immer wird gegen Babiš ermittelt, weil er EU-Gelder für sein Firmenimperium erschlichen haben soll, was er bestreitet.

In der Woche vor der Wahl hatte er für negative Schlagzeilen gesorgt, indem er den wegen seiner rechtspopulistischen Politik vielfach kritisierten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Prag empfing. Zudem berichteten zahlreiche Medien, aus den sogenannten Pandora Papers gehe hervor, dass Babiš 2009 über Briefkastenfirmen für 15 Millionen Euro ein Schloss in Südfrankreich erwarb. Experten zufolge legt das den Verdacht der Geldwäsche nahe. Babiš bestreitet die Berichte. Bei den kürzlich Pandora Papers handelt es sich um eine Sammlung vertraulicher Unterlagen, die unter anderem Aufschluss über Steuerhinterziehung durch Politiker und Prominente gibt und die von über 600 Journalisten ausgewertet wurde.

Spolu und das Bündnis aus Piratenpartei und Stan unterzeichneten unmittelbar nach der Veröffentlichung des Wahlergebnisses eine gemeinsame ­Erklärung. Man wolle zusammen regieren, der Spitzenkandidat der ODS, Petr Fiala, werde der nächste Ministerpräsident der Tschechischen Repu­blik. Diese Koalition käme auf 108 von 200 Mandaten, bis zum 8. November will sie einen Koalitionsvertrag unterzeichnet haben.

Bislang erging allerdings kein Auftrag, eine Regierung zu bilden. Der tschechische Präsident Miloš Zeman, der dafür zuständig wäre, befindet sich noch immer auf der Intensivstation des Militärkrankenhauses in Prag, auf die er kurz nach der Wahl gebracht worden war; seine Diagnose ist unbekannt. Zeman hatte vor der Wahl angekündigt, er werde kein Wahlbündnis, sondern die stärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragen. Das wäre Ano.

Die Politikwissenschaftlerin Kateřina Smejkalová sagte im Gespräch mit der Jungle World, sie gehe davon aus, dass Babiš jetzt auf das Präsidentenamt spekuliert: »Er hätte natürlich die allerbesten Chancen, wenn die Wahl nicht turnusmäßig in eineinhalb Jahren, sondern bereits in drei oder vier Monaten stattfände. Er wäre dann der mit Abstand bekannteste Kandidat.«

Sollte eine Regierung unter Fiala gebildet werden, gäbe es die größten Veränderungen wohl in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Tschechien ist hochverschuldet, dennoch möchte Fiala Steuern senken, vor allem für Wohlhabende. Gespart werden soll bei den Ausgaben. Das würde wahrscheinlich Entlassungen im öffentlichen Dienst und die Privatisierung von Staatsbetrieben wie Post und Bahn bedeuten. Fiala sprach sich bereits gegen die von Babiš geplanten Entlastungen zur Kompensation der gestiegenen Energiepreise aus, von denen 4,3 Millionen Haushalte profitiert hätten.

In anderen politischen Fragen, etwa in der Asylpolitik, würde sich wenig ändern, davon geht zumindest Smejkalová aus. »Fiala ist dadurch berühmt geworden, dass er sich vor Orbáns Zaun (zur Abwehr von Flüchtlingen an der Grenze zu Serbien, Anm. d. Red.) hat ablichten lassen.« Wie sich das Verhältnis Tschechiens zur EU unter Fiala entwickeln würde, sei kaum absehbar. »Teile der ODS hegen schon länger eine Bewunderung für Orbáns Politik, sind traditionell EU-skeptisch und lästern gerne mal über den ökologischen Fanatismus aus Brüssel. Das könnte für Spannungen in der Koalition mit der proeuropäischen Top 09 sorgen.«

Die zu erwartenden Einschnitte bei Sozialleistungen würde eine Opposition aus Ano und SPD wohl deutlich kritisieren, davon könnten beide Parteien langfristig profitieren. In Anbetracht dessen wirkt die Annahme manche Linker, die absehbare Verelendung unter einer von Fiala geführten Regierung könnte ihnen helfen, gestärkt ins Abgeordnetenhaus zurückzukehren, zwei­felhaft. Babiš kündigte bereits an, er werde dort von jetzt an auch die Wähler der Sozialdemokraten und Kommunisten vertreten.