Die ultimative Wahrheitsplattform
An den Börsen hat sich die Aufregung über Truth Social etwas gelegt. Der Kurs der Digital World Acquisition Corporation (DWAC), deren Wert im Oktober blitzschnell um fast 800 Prozent gestiegen war, liegt Anfang Januar immer noch über 50 US-Dollar. Am 20. Oktober war bekannt geworden, dass über das Unternehmen in das neue soziale Medium des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump investiert werden könne: Truth Social. Trump ist seit fast einem Jahr auf Facebook, Twitter und Youtube gesperrt; da soll Truth Social eine alternative Plattform bieten, auf der rechte Beiträge nicht gelöscht werden können. Derzeit sind die Aktien von DWAC immer noch knapp zwei Milliarden US-Dollar wert. Doch das dürfte überbewertet sein – oder einfach dem Willen der Anhänger Trumps geschuldet, diesem Geld zuzuschieben.
Es sei »eine massive Marktchance«, um eine »globale Community« aufzubauen, »die nicht cancelbar ist«.
Bei Digital World Acquisition handelte es sich um eine sogenannte special-purpose acquisition company (SPAC), eine Firmenhülle, die bereits an der Börse gelistet ist und es ermöglicht, langwierige Prüf- und Registrierungsprozesse zu umgehen. Donald Trump nutzt sie, um Geld für seine Ende Oktober gegründete Firma Trump Media & Technology Group (TMTG) zu sammeln, die Truth Social betreiben soll. Über eine Milliarde US-Dollar soll TMTG auf diesem Weg erhalten, obwohl Truth Social bisher nur eine spärliche Website hat. Im App-Store wird eine »offene, freie« Plattform angekündigt, die »eine ehrliche globale Unterhaltung« ermöglichen soll. Das machte die US-Börsenaufsicht hellhörig, die im Dezember genauere Informationen über die TMTG-Investoren anforderte.
Einer 22seitigen TMTG-Investorenpräsentation zufolge, die arm an Zahlen, aber reich an bunten Grafiken ist, soll Truth Social auch Streaming-Diensten wie Netflix Konkurrenz machen und »nicht-wokes Entertainment« anbieten. Mitte Dezember verkündete TMTG eine Partnerschaft mit der überwiegend von Konservativen genutzten kanadischen Videoplattform Rumble. Geschäftsführer von TMTG soll der republikanische Politiker Devin Nunes werden, der am Montag sein Mandat im Repräsentantenhaus niederlegte.
Nach Angaben von TMTG soll Truth Social noch in diesem Quartal online gehen. Es sei »eine massive Marktchance«, um eine »globale Community« aufzubauen, »die nicht cancelbar ist«, heißt es in der Investorenpräsentation, die dazu nur einen im All schwebenden Planeten zeigt. Gegen die »Tyrannei von Big Tech« wolle man das bis jetzt »fragmentierte Non-Big-Tech-Universum vereinen«, verspricht eine weitere Folie.
Die Börsenanalysten des Wirtschaftsnachrichtendiensts Bloomberg weisen darauf hin, das TMTG bisher weder Geschäftspläne noch Projektionen oder andere Kennzahlen vorgelegt habe. Vom Entwicklerteam, dessen Zusammensetzung sich noch »ändern könnte«, sind bisher nicht einmal die vollständigen Namen bekannt – beispielsweise soll ein »Vlad N.« als IT-Chef fungieren. Angesichts dessen vermuten einige Beobachter, das es sich bei TMTG nur um eine weitere Masche Trumps handele, seinen Unterstützern Geld aus der Tasche zu ziehen, auch weil Trump vermutlich über 200 Millionen US-Dollar Gewinn einstreichen kann, selbst wenn das Projekt scheitern sollte. »Seien wir ehrlich, alles, was Trump und Nunes anfassen, geht bankrott oder endet mit Ermittlungen durch die Behörden«, sagte Starr Hopkins, ein Berater der Demokratischen Partei, in einer Sendung des Online-Senders Hill TV.
Doch selbst wenn Truth Social online gehen sollte, bleibt die Frage, ob sich auf der Plattform mehr als nur eingeschworene Trump-Fans und Neonazis anmelden werden. Denn eine Plattform braucht eine kritische Masse an Nutzern, um interessant zu sein. Daran ist bereits die Mitte 2018 gegründete Online-Community Parler gescheitert, die Trump-Unterstützer als Alternative zu Twitter und Facebook propagiert hatten (Jungle World 36/2020). Nur etwas mehr als zehn Millionen Nutzer waren zu Spitzenzeiten insgesamt registriert, nur wenige Millionen tatsächlich aktiv – viele von ihnen standen politisch rechtsaußen, Durchschnittsamerikaner waren kaum darunter. Auch die Nutzungsbedingungen von Truth Social sind potentiell abschreckend für Nicht-Trump-Fans: Man dürfe die Macher der Seite nicht beleidigen, heißt es beispielsweise.
Truth Social ist nicht der erste Versuch von Donald Trump, eine eigene Social-Media-Präsenz aufzubauen, um die Löschung auf den großen Plattformen zu kompensieren. Im Sommer 2021 veröffentlichte er rund einen Monat lang Mitteilungen auf einem blogähnlichen Teil seiner Homepage unter dem Titel »From the Desk of Donald Trump«.