Anwar R., der für das syrische Regime gefoltert hat, wurde dafür in Koblenz ver­urteilt

Verurteilung wegen Staatsfolter

Anwar R., ein ehemaliger Oberst des syrischen Geheimdiensts, wurde in Koblenz wegen Mittäterschaft bei Folter in Tausenden Fällen verurteilt.

Schläge, Tritte, Elektroschocks und sexuelle Demütigung: Das Verfahren gegen den syrischen Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. machte die Ausmaße der Gewalt deutlich, mit der das syrische Regime Oppositionelle verfolgt. Am Donnerstag vergangener Woche endete der Prozess am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit einem Schuldspruch.

R., der den Rang eines Oberst trug, leitete eine Vernehmungsabteilung des syrischen Geheimdiensts, die von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 im berüchtigten Gefängnis al-Khatib in Damaskus Tausende Menschen gefoltert hat, von denen mindestens 27 in der Haft gestorben sind. Die Folter beschränkte sich nicht auf schwere körperliche Misshandlung, sondern umfasste auch sexualisierte Gewalt. Hinzu kamen unmenschliche Haftbedingungen: Zellen, die zu klein oder zu überfüllt zum Schlafen sind, unzureichende medizinische Versorgung, das ständige Mitanhören der Schreie der gefolterten Mithäftlinge, zu wenig und oft ungenießbares Essen.

Die Verfahren in Deutschland sind weltweit die ersten, bei denen Angehörige des syrischen Regimes nach Völkerrecht wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« angeklagt wurden.

Im Dezember 2012 war R. selbst desertiert, hatte sich nach eigenen Angaben der syrischen Opposition angeschlossen und war schließlich nach Deutschland geflohen. In den Augen des Gerichts war das zu spät. Es folgte nicht der Argumentation der Verteidigung, R. sei nur aus Angst vor der Rache des Regimes nicht schon früher geflohen oder von seinem Posten zurückgetreten. Eine Flucht sei zwar nicht ohne Risiko gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung, aber angesichts der Schwere der in al-Khatib unter R. begangenen Verbrechen erscheine dieses Risiko zumutbar. Das Gericht verurteilte R. deshalb zu lebenslanger Haft als Mittäter bei »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« (wie die falsche, aber offizielle Übersetzung von »crimes against humanity« – Verbrechen an der Menschheit – lautet) in Verbindung mit 27fachem Mord und diversen anderen schweren Gewaltdelikten. Nach 15 Jahren Haft müsste gemäß dem Gesetz geprüft werden, ob der Verurteilte auf Bewährung freigelassen werden kann. R.s Anwalt hat jedoch bereits angekündigt, Revision einzulegen.

Das Verfahren war bereits das zweite, das am OLG Koblenz gegen ehemalige Angehörige des syrischen Geheimdiensts geführt wurde. Am 24. Februar vorigen Jahres war Eyad A. wegen der Beihilfe zu »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« in Form von Folter und schwerer Freiheitsberaubung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Grund für die vergleichsweise geringe Strafe war unter anderem seine Mithilfe bei den Ermittlungen gegen Anwar R. Anders als dieser hatte A. zudem keine herausgehobene Stellung im Geheimdienstapparat inne und sei deshalb stärker als dieser den Befehlshierarchien unterworfen gewesen.

Es wird nicht der letzte Prozess gegen Helfer des syrischen Regimes sein. Mitte voriger Woche begann am OLG Frankfurt ein Verfahren gegen den Arzt Alaa M. Ihm werden 18 Fälle von Folter in Militärkrankenhäusern und einem Gefängnis in Homs und Damaskus vorgeworfen. Eines seiner Opfer soll er am Ende von dessen Martyrium durch eine Injektion getötet haben, einem Jugendlichen soll er die Genitalien mit Alkohol übergossen und dann angezündet haben.

Dass sexuelle Gewalt für die Repression durch das syrische Regime eine zen­trale Rolle spielt, hat sich nicht erst an den Fällen von Alaa M. und Anwar R. gezeigt. Bereits 2019 war das in Washington, D.C., ansässige Syria Justice and Accountability Centre in einer Untersuchung zu dem Schluss gekommen, sie werde systematisch eingesetzt, um Oppositionelle zu verletzen, zu entwürdigen und sie zu stigmatisieren.

Dass die Verfahren gegen Mittäter des syrischen Regimes in Deutschland geführt werden können, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip. Es besagt, dass schwere Verbrechen gegen das internationale Recht weltweit verfolgt werden können – auch wenn die Taten keinen Bezug zu den Ländern haben, in denen sie vor Gericht kommen. Der Grundsatz beruht auf der Annahme, dass eine Verfolgung solcher Taten der Verteidigung allgemein geteilter Werte der ganzen Menschheit dient. Die Verfahren in Deutschland sind weltweit die ersten, bei denen Angehörige des syrischen Regimes wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« angeklagt wurden. Entsprechende Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof waren am Veto von China und Russland gescheitert.

Die Beweisführung bei solchen Verfahren ist jedoch schwierig, denn die Strafverfolgungsbehörden müssen Beweise für die individuelle Tatbeteiligung der Angeklagten finden, ohne Zugang zu den Tatorten zu haben oder mit den Behörden an Ort und Stelle kooperieren zu können. Gerade in Hinblick auf das syrische Regime stellen sich in solchen Prozessen schwierige Zeugenschutzprobleme, weil Angehörige in Syrien nicht geschützt und vom Regime als Druckmittel gegen Zeugen benutzt werden können. Dass das Verfahren gegen Anwar R. dennoch zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden konnte, verdankt sich vor allem dem Mut der Nebenklägerinnen und Nebenkläger, die Opfer der Folter waren und über die an ihnen begangenen Verbrechen ausgesagt haben.

Auch die sogenannten Caesar-Dateien spielten als Beweismittel eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von über 50 000 Fotos, von denen etwa 28 000 Folter- und Todesopfer zeigten. Ein desertierter Militärfotograf mit dem Decknamen »Caesar« hatte sie 2013 aus Syrien hinausgeschmuggelt. Sie dienten dem Gericht als Beleg für einen systematischen Angriff des Regimes auf die Zivilbevölkerung, was eine Voraussetzung für ein Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip war.

Diese Dateien sind auch einer der Gründe, warum in Zukunft weitere Prozesse zu erwarten sind. Sie bilden die Grundlage für ein Strukturermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft, in dem sie versucht, weitere Tatkomplexe zu erschließen und die Verbrechen des syrischen Regimes möglichst umfassend juristisch aufzuarbeiten. Diese Arbeit dürfte noch viele Jahre andauern.

Dabei wird wohl geklärt werden müssen, ob die zukünftigen Prozesse wegen ihrer historischen Bedeutung aufgezeichnet und archiviert werden. Das OLG Koblenz hatte erst nach einer Intervention des Bundesverfassungsgerichts die Tonspur mit der arabischen Simultanübersetzung für die internationale Presse freigegeben. Es hatte sich jedoch dagegen entschieden, das Verfahren zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken aufzuzeichnen und zu archivieren, weil es befürchtete, dies könne sich negative auf die Aussagebereitschaft von Zeugen auswirken. Einen entsprechenden Antrag hatten Wissenschaftler, wissenschaftliche Institutionen und Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gestellt.