Wirtschaftsminister Robert ­Habeck will die Energiewende »ökologisch patriotisch« vorantreiben

Ökopatriotische Wende

Der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck will den Ausbau der erneuerbaren Energien und die grüne Transformation der Industrie vorantreiben.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat große Pläne, muss aber auch Widerstand überwinden. Mehr »ökologischen Patriotismus« brauche man »zum Ausbau von schwierigen Techniken wie der Windkraft«, mahnte Robert Habeck am Donnerstag vergangener Woche nach einem Treffen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). An diesen war Habecks implizite Kritik gerichtet: In Bayern gibt es besonders strenge Auflagen für den Ausbau der Windenergie, etwa hinsichtlich des Mindestabstands zu Wohngebieten. Das muss sich wohl dringend ändern, wenn die Bundesregierung ihr Ziel erreichen will, bis 2030 rund 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen.

Politik ist auch eine Frage des Stils. Als Robert Habeck, begleitet von seinem Staatssekretär Patrick Graichen, am 11. Januar vor der Bundespressekonferenz auftrat und die »Eröffnungsbilanz Klimaschutz« vorstellte, war das eine Lektion in Sachen Coolness. Er verzog keine Miene, modulierte die Stimme kaum, gab ganz den fleißigen Statistik- und Aktenfresser und verzichtete auf jede große Geste – bis auf das notorische Hölderlin-Zitat: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

Habeck tritt als Staatsdirigist auf, aber als einer, der nicht der Gegenspieler des privaten Unternehmers ist, sondern sein Gegenstück.

Durch dieses Pathos der Sachlichkeit, den Gestus der Demut, sollten die Zahlen und die daraus abgeleiteten ökonomischen Strategien wohl besonders eindringlich wirken. »Wir müssen dreimal schneller sein«, sagte Habeck und meinte die Senkung der CO2-Emissionen. Denn an der hapert es. Zwar wurde 2020 das Ziel erreicht, die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Doch lag das nur an den außergewöhnlichen Umständen im ersten Pandemiejahr 2020. Schon 2021 ging es wieder in die andere Richtung, Habeck rechnete sogar mit einem Anstieg der Emissionen um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Geht das so weiter, wird das Klimaziel 2030 deutlich verfehlt. Die Emissionen würden dann Habeck zufolge im Vergleich zu 1990 nur um 50 Prozent sinken – dem im Juni 2021 erlassene Bundes-Klimaschutzgesetz zufolge müssten es 65 Prozent sein. Bisher sanken die Emissionen im Durchschnitt um 15 Millionen Tonnen jährlich, in der Zukunft erforderlich seien etwa 40 Millionen, so Habeck.

Habecks nüchterner Stil ist keine Nebensächlichkeit. Er betont nichts anderes als die altbekannte Sachzwanglogik, jene Alternativlosigkeit, von der Angela Merkel (CDU) so gerne sprach, um Debatten abzuwürgen. Was für viele jedoch überraschend ist – und vielen sogar als links erscheint: Diese Sachzwanglogik wird zum ersten Mal seit Jahrzehnten nicht zugunsten eines neoliberalen Politikregimes bemüht. Durch Deregulierung und Steuersenkungen Unternehmen mehr oder weniger wahllos Gelegenheiten für schnelle Profite liefern? Rückzug der Politik aus aktiver Wirtschaftslenkung? Nicht mit diesem Minister!

Habeck wies vor der Bundespressekonferenz darauf hin, dass in den vergangenen 30 Jahren der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf 42 Prozent gestiegen ist. Nun blieben noch acht Jahre, um den geplanten Anteil von 80 Prozent zu erreichen. Ermöglichen sollen das ein gigantisches Investitionsprogramm und ein tiefgreifender Umbau der industriellen Infrastruktur – und das geht nur mit konsequenter politischer Steuerung. Vor fünf Jahren wäre das in der Öffentlichkeit noch als radikal linker, staatssozialistischer Dirigismus zerpflückt worden (und auch im jüngsten Wahlkampf sprachen die Grünen kaum über die Dimensionen dieses anstehenden Umbaus).

Und tatsächlich: In der Grundsatzdebatte über Wirtschafts- und Klimapolitik, die zwei Tage später auf die Vorstellung der Klimabilanz folgte, fiel Klaus Ernst von der Linkspartei, dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie, eigentlich keine richtige Kritik an Habeck ein. Gemütlich onkelig mahnte er lediglich die Sozialverträglichkeit der Energiewende an und empfahl als Zwischenlösung, vermehrt Gas zu nutzen – wohl eine Mahnung, die Pipeline Nord Stream 2 doch noch in Betrieb zu nehmen.

Überhaupt war die Bundestagsdebatte ein Erfolg für Habeck: Die Kritik fiel zaghaft aus, kein weiterer Politiker zeigte sich auf der Höhe seiner Sachzwanglogik. Der AfD forderte skurrilerweise, die Pandemiemaßnahmen in Betrieben aufzuheben. Und Julia Klöckner (CDU) fiel nur ein, schnellere Digitalisierung zu fordern und zu warnen, »grüne Planwirtschaft« werde nicht funktionieren.

Auf Nachfragen in der Bundespressekonferenz hatte Habeck auf das Risiko hingewiesen, das sein Ministerium und die ganze Regierung eingehen würden – das Risiko zu scheitern, sich in Bürokratie und Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern zu verheddern. Das implizierte auch eine Warnung. Habeck vertritt den Standpunkt des modernen Kapitals: Scheitert er, dann scheitert keine »grüne Planwirtschaft«, dann scheitert Deutschland als moderne Industrienation.

Wegen der angestrebten Energiewende wird der Strombedarf deutlich zunehmen. Derzeit hat Deutschland einen Energieverbrauch von 560 Terawattstunden jährlich, Habeck erwartet eine Steigerung auf 715 Terawattstunden. Die deutsche Stahlindustrie zum Beispiel nutzt immer noch zu einem großen Teil Kohle als Energiequelle. In Zukunft soll sie stattdessen unter anderem mit Wasserstoff betrieben werden, der mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden kann. Für diese Umstellung braucht es nicht nur staatlich geförderte Milliardeninvestitionen in den Stahlwerken, sondern auch die entsprechende Infrastruktur im Umland, wie etwa Wasserstoffproduktionsstellen und Pipelines für den Import. Und natürlich ausreichend Strom zu niedrigen Preisen. Die Energiewende ist, rein von der Bilanz her, eine zu mehr Energieverbrauch. Der Wachstumszwang des Kapitals wird nicht problematisiert, er soll sogar forciert werden. Die Eigentumsstruktur der Ökonomie bleibt unangetastet.

Zentral ist dabei der Ausbau der Windkraftanlagen – zwei Prozent der bundesdeutschen Fläche sollen dafür in Frage kommen (derzeit stehen 0,5 Prozent zur Verfügung), die Genehmigungsverfahren sollen stark vereinfacht werden. Dass Habeck bei alldem nicht von Naturschutz redet, nicht von versiegelten Böden oder der voranschreitenden Bedrohung der Artenvielfalt, verwundert nicht – er ist ja nicht der Umweltminister. Er trägt sein Programm so selbstgewiss, »alternativlos«, vor, dass deutlich wird: Der Naturschutz muss hintanstehen.

Habeck will sich in die Reihe der großen Visionäre des Kapitals stellen, wie etwa den zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkenden Schriftsteller, Politiker und Großindustriellen Walter Rathenau. Bereits dieser wollte die Wirtschaft nicht durch die Kräfte des freien Markts, den er für eine Fiktion hielt, umstrukturiert sehen, sondern durch staatliche Eingriffe und eine permanente technologische Revolution. Politisch ging es damals darum, das Deutsche Reich in der imperialistischen Staatenkonkurrenz zu stärken.

Daran hat sich nicht viel geändert, nur die Rhetorik ist nicht mehr so martialisch. Habeck spricht davon, Deutschland müsse unabhängig von den schwankenden Märkten für fossile Energien werden und seine Rolle als Exportnation erneuern – diesmal auch als Exporteur von klimafreundlicher Technologie.

Habeck geht davon aus, dass das Land vor einer großen sozialen Debatte ­stehe, die das Verhältnis von Stadt und Land, Ost und West, Nord und Süd umkrempeln werde. Diese sozialen Konflikte bringt der technologische Wandel hervor – also eine Produktivkraftrevolution im Dienste einer revitalisierten Mehrwertschöpfung. Bestimmte Schichten der arbeitenden Bevölkerung haben gar nicht so schlechte Chancen, Lohnforderungen und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Der sogenannte Fachkräftemangel stärkt ihre Verhandlungsposition. Noch stärker dürften allerdings Unternehmer sein, die sich von der Bundesregierung und der sich konstruktiv gebenden Oppo­sition erhoffen dürfen, dass ihnen keine Steine in den Weg gelegt werden. Julia Klöckner forderte im Bundestag von Habeck, mehr über die Flexibilisierung von Arbeitszeiten nachzudenken, und in diesem Moment wirkte sie gar nicht so weltfremd.

Die implizite Botschaft der Politik: Arbeitskämpfe – die auch im Zusammenhang mit Kämpfen um bezahlbaren Wohnraum und Zugang zur Infrastruktur verstanden werden müssen – sind unerwünscht, insoweit sie dem technologisch-industriellen Umbau im Wege stehen. Habeck tritt als Staatsdi­rigist auf, aber als einer, der nicht der Gegenspieler des privaten Unternehmers ist, sondern sein Gegenstück: Gilt es doch, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass ein neuer Akkumulationszyklus in Gang kommen kann, eine gigantische Anspannung der Produktivkräfte, die kein Unternehmen aus sich heraus leisten könnte. Habeck nennt das »die notwendigen Investitionen öffentlich begleiten«.