Imprint: Zwei Geschichten zum 100. Geburtstag des Autors

Endlich ehrlich werden

Am 5. Februar wäre der Schriftsteller und Journalist Rudolf Lorenzen 100 Jahre alt geworden. Walter Kempowski und Jörg Fauser bezeichneten ihn als Vorbild, Friedmar Apel nannte ihn einen Erzähler »von europäischem Rang« und Florian Felix Weyh schrieb 2002, man solle dem Autor »die Gerechtigkeit widerfahren lassen, die ihm so lange vorenthalten blieb: ihn als großen zeitgenössischen Autor zu rühmen«. Die beiden folgenden Erzählungen Lorenzens erschienen zuerst 1970 beziehungsweise 1969.
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Am Ende ein schlappes Handtuch

Mit dieser Tochter ist kein Staat zu machen.

Nein. Vielleicht hätte man ihr als Kind die Zähne richten sollen. Immer wieder aufgeschoben, war es eines Tages zu spät. Da sitzt nun das Geschöpf am Tisch, sechzehn Jahre, sitzt über einem Buch, den Kopf aufgestützt, die Lippen leicht geöffnet, dahinter die Raffzähne. Da sitzt es – ein Kaninchen.

Horst Prietzel wälzt sich auf dem Sofa herum. Es ist Sonntag, die Zeit des Mittagsschlafs. Er hat an diesem Wochenende keinen Dienst, genehmigte Demonstrationen waren nicht gemeldet, spontane nicht zu befürchten. Die Bereitschaft kann bleiben, wo sie will. In den Kneipen, in den Betten …

Was, Horst Prietzel, willst du mehr? Du schläfst nicht mehr mit ihr, aber welcher Mann, der vierzig ist, bespringt noch seine Alte, die vierzig ist? Acht Jahre kein Verkehr. Nun, sie fragt nicht, sie verlangt nichts, sie beschwert sich nicht. Sicher ist sie zufrieden.

Polizei-Obermeister Prietzel hatte keinem seiner Männer den Urlaub verweigert. Die Kerle hatten sich im Verlauf der Woche gut geführt, niemand war aufgefallen, nur beim Handgranatenwerfen hatte sich der eine oder andere wieder einmal blamiert. Es waren immer dieselben!

Aber die Handgranate ist nun mal nicht jedermanns Freund. Sie verlangt nicht allein den starken Arm, den weiten Schwung, sie erzwingt den totalen Charakter.

Prietzel, ja, du bist ein guter Ausbilder. Du machst dir Gedanken.

Warum will heute der Schlaf nicht kommen? Alles ringsum befindet sich an seinem Platz in dem Bild, das er zum Einschlummern braucht: im Sessel seine Frau Gerda, am Tisch seine Tochter Monika, dort der leere Stuhl für seinen Sohn Udo, an der Wand gerahmt das Foto seines Vaters in der Uniform eines Oberfeldwebels der Wehrmacht, daneben die Landschaft aus Italien – Capri-Fischer ­ziehen ihren Fang an Land.

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