Deutsche Rechtsextreme haben Verbindungen in die Ukraine

Deutsche Kriegstouristen

Deutsche Nazis pflegen schon länger Kontakt zu ukrainischen Rechtsextremen. Nun sollen einige in die Ukraine gereist sein, um gegen Russland zu kämpfen. Doch ihre Zahl ist bislang gering.

Matze will in den Krieg ziehen. In einer Telegram-Gruppe für einen Neonazi-Versand fragt der durchtrainierte junge Mann – auf seinen Profilbildern posiert er mit T-Shirts von der Rechtsrock-Band Oidoxie oder mit dem Schriftzug »Sonnenstudio 88« –, wer Kontakt zum »Regiment Asow« habe: »Bitte melden, ich möchte für Europa kämpfen«. In einer weiteren Telegram-Gruppe fragen deutsche Neonazis, wer mit ihnen in die Ukraine reisen wolle. »Suche Fahrgemeinschaft Raum Duisburg«, schreibt einer. Der russische Neonazi und Kampfsportler Denis Nikitin, der in Köln aufwuchs, aber seit einigen Jahren in der Ukraine lebt, vermittelt Kontakte vor Ort.

Die deutschen Rechtsextremen sind uneins über den Krieg. Insbesondere in der AfD sympathisieren viele mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die NPD veröffentlichte als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine einen Aufruf gegen die »Kriegs­hetze der Nato« mit der Forderung »Ami go home«. Doch einige deutsche Nazis sympathisieren mit ukrainischen Rechtsextremen und ihrem Kampf gegen Russland.

Bei der Parlamentswahl 2019 scheiterte eine gemeinsame rechtsextreme Wahlliste mit nur 2,15 Prozent an der Fünfprozenthürde.

Besonders zum Regiment Asow haben deutsche Neonazis seit Jahren Kontakt. Das rechtsextreme Regiment gründete sich 2014 als Freiwilligenbataillon, um gegen prorussische Separatisten und russische Streitkräfte in der Ostukraine zu kämpfen. Seitdem hat sich Asow zu einer Art politischer Bewegung entwickelt. Sie umfasst auch die rechtsextreme Partei Nationalkorps und die Bürgerwehr Nationale Miliz, später in Centuria umbenannt. Das Regiment selbst gehört inzwischen zur Nationalgarde der Ukraine und ist dem Innenministerium unterstellt. Derzeit ist das Regiment Asow vor allem an der Verteidigung Mariupols beteiligt.

Der Erfolg von Asow hielt sich in den vergangenen Jahren allerdings in Grenzen. Dem Regiment gehörten zum ­Höhepunkt nur ein paar Tausend Kämpfer an; die ukrainische Armee hatte vor der russischen Invasion etwa 200 000 aktive Soldaten. Ukrainische Rechtsextreme haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf der Straße und mit politischen Gewalttaten auf sich aufmerksam gemacht, doch der politische Einfluss rechtsextremer Parteien ist gering. Bei der Parlamentswahl 2019 scheiterte eine gemeinsame Wahlliste des Nationalkorps und der rechtsextremen Parteien Prawyj Sektor (Rechter Sektor) sowie Swoboda mit 2,15 Prozent deutlich an der Fünfprozenthürde. Kurz zuvor hatte der politische Außenseiter Wolodymyr Selenskyj die Stichrunde der Präsidentschaftswahl mit 73 Prozent der Stimmen gewonnen. Selenskyj ist russischer Muttersprachler und jüdischer Abstammung. Sein Wahlsieg galt auch als Signal der Wählerschaft gegen den ukrainischen Nationalismus.

Mehr Erfolg hatte Asow beim Knüpfen von Kontakten im Ausland. Dabei hat sich vor allem Olena Semenjaka als fleißige Netzwerkerin erwiesen. Die frühere internationale Sekretärin des Nationalkorps wird auch »First Lady des ukrainischen Nationalismus« genannt. Sie war öfter in Deutschland zu Gast – zum Beispiel als Rednerin bei einem Kongress der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) oder auf einem Festival der neonazistischen Kleinstpartei »Der III. Weg«. An den »Paneuropa-Konferenzen« von Asow in Kiew nahmen 2018 und 2019 auch Kader der Partei »Der III. Weg« und der JN teil.

Doch es bleibt nicht bei Reden und Stadtrundgängen: In Asow-Ausbildungslagern wurden einzelne deutsche Neonazis bereits an Waffen ausgebildet. Asow hatte Pläne für eine Fremdenlegion, nahm jedoch ab 2019 keine ausländischen Kämpfer mehr auf. Angesichts des Ukraine-Kriegs wurde diese Entscheidung nun revidiert. Mit der asownahen Organisation »Intermarium«, in der Semenjaka aktiv ist, werden derzeit wieder ausländische Kämpfer rekrutiert. Womöglich gibt es dabei Überschneidungen mit den Bemühungen des ukrainischen Staats, eine »internationale Legion« mit ausländischen Freiwilligen aufzubauen.

Der Zeit teilte Semenjaka mit, sie arbeite als Assistentin für einen Abgeordneten des ukrainischen Parlaments. Dieser gehört der Regierungspartei von Präsident Wolodymyr Selenskyj an und sei derzeit am Aufbau einer internationalen Legion der ukrainischen Armee beteiligt. Der Abgeordnete bestätigte der Zeit jedoch nur, dass Semenjaka für ihn arbeite. Bei dem Aufbau der internationalen Freiwilligenlegion gebe es keinerlei Kooperation mit Asow.

Wie viele deutsche Rechtsextreme tatsächlich in der Ukraine sind, ist schwer zu überprüfen. Das Bundesinnenministerium spricht von Ausreisen »im niedrigen einstelligen Bereich«. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte auf einer Pressekonferenz vorige Woche: »Das Ganze ist überwiegend Maulheldentum. Es kommt zu keinen Ausreiseversuchen.« Auf Anfrage der Jungle World sagt ein Sprecher der ukrainischen Recherchegruppe »Marker«, bislang seien der Gruppe keine Kriegseinsätze von deutschen Rechtsextremen bekannt. Allerdings habe der Krieg ihre Arbeit sehr eingeschränkt.

Vor allem der frühere NPD-Funktionär Tobias Schulz alias Baldur Landogart scheint sich als Verbindungsmann zwischen deutschen und ukrainischen Neonazis profilieren zu wollen. Auf Telegram teilt er Adressen und Telefonnummern, die Koordinierungszentren an Ort und Stelle gehören sollen. »Wer anstelle von einem tausendsten Coronaspaziergang einmal an einem richtigen Kampf teilnehmen möchte, kann sich melden«, schrieb er. Er wolle, wenn er könne, ebenfalls »an den Kämpfen teilnehmen«. Der Post ist inzwischen gelöscht, wohl auf Druck von Sicherheitsbehörden. Der Zeit zufolge warnte das Landeskriminalamt Sachsen Schulz in einer Gefährderansprache davor, ins Kriegsgebiet auszureisen. Seitdem behauptet er zumindest öffentlich, lediglich »humanitäre und politische Hilfe« anzubieten.

Andere deutsche Nazis wollen wohl in die Ukraine reisen, scheitern jedoch an den einfachsten Hürden. So etwa die »Neue Stärke Partei«, eine Abspaltung von »Der III. Weg«. In einem Youtube-Video erzählt ihr Bundesvorsitzender Bryan Kahnes, er und ein paar Kameraden seien mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln Richtung Ukraine aufgebrochen. Dort wollten sie dem »ukrainische Volk (…) helfen, auf allen erdenklichen Wegen«. Es habe jedoch einen »Wermutstropfen« für die Kameraden gegeben, so Kahnes: In die Ukraine hätten sie nicht gedurft, da einige keinen Reisepass gehabt hätten, sondern nur einen Personalausweis. Kahnes zeigt sich im Video davon enttäuscht.

Grundsätzlich ist es nicht illegal für deutsche Staatsbürger, in der Ukraine zu kämpfen, solange sie das im Dienst staatlicher Streitkräfte tun. Dass deutsche Rechtsextreme in die Ukraine reisen, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) aber verhindern – auch mit Passentzügen. Martina Renner, die Bundestagsfraktionssprecherin der Linkspartei für Innenpolitik, zeigt sich allerdings skeptisch. »Ich sehe keine Strategie«, sagte sie der Jungle World. Renner warnt, dass gewaltaffine Neonazis mit einer Ausbildung und Kampferfahrung an Kriegswaffen in die Bundesrepublik zurückkehren könnten. Auch Waffen aus der Ukraine könnten in anderen Ländern bei Anschlägen eingesetzt werden – wie es womöglich schon nach den Balkan-Kriegen passiert sei, so Renner. Das NSU-Trio besaß eine Waffe, die in den Neunzigern in Kroatien hergestellt worden war; damals kämpften auch deutsche Rechtsextreme aus dem NSU-Umfeld auf der Seite Kroatiens gegen Serbien.