Auch die Niederlande haben ihren Maskenskandal

Charaktermasken mit Millionen

Auch die Niederlande haben ihren Maskenskandal. Immer mehr Hintergründe über das unlautere Geschäft gelangen an die Öffentlichkeit. Die christsoziale Regierungspartei CDA kommt dabei nicht gut weg.

Die drei wurden während der Covid-19-Pandemie zu Multimillionären. Ende Februar nahm die Polizei den Unternehmer Sywert van Lienden und seine beiden Geschäftspartner Bernd Damme und Camille van Gestel in den Niederlanden vorläufig fest. Sie sollen im Frühjahr 2020 in einem Geschäft mit dem niederländischen Gesundheitsministerium über den Import medizinischer Schutzmasken aus China unter falschen Vorspiegelungen knapp 20 Millionen Euro Profit gemacht haben, wie jüngste Recherchen der investigativen Journalistenplattform »Follow the Money« belegen.

Es musste damals schnell gehen. In rasendem Tempo verbreitete sich vor zwei Jahren das neuartige und tödliche Coronavirus über den Globus. Die Pandemie traf auch Westeuropa mit voller Wucht. Spätestens die Berichte über in Krankenhausfluren an Atemnot sterbende Menschen im norditalienischen Bergamo und überlastete Krematorien machten den meisten in Europa die Dramatik der Situation klar. Bald drohte das Virus, auch die niederländische Gesundheitsversorgung kollabieren zu lassen. Bilder wie aus Bergamo zu verhindern, wurde zur Maßgabe der Politik.

Die Masken kamen beim Gesundheitspersonal nie an, weil die niederländische Behörde für Gesundheit und Umweltschutz (RIVM) sie für »ein inakzeptables Gesundheitsrisiko« hielt.

Ab März 2020 klatschte man auch in den Niederlanden dem Krankenhauspersonal Beifall. Das Kabinett unter Ministerpräsident Mark Rutte von der marktliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) regierte mittels Notverordnungen. Sie untersagte Großveranstaltungen wie Fußballspiele und Karneval und führte sogenannte Basisregeln ein, die »1,5-Meter-Gesellschaft«. Die Regierung sprach von einer Strategie des »intelligenten Lockdown«. Das bedeutete, zwischen Öffnung und Schließung zu wechseln, damit die Zirkulation des Virus unter Kontrolle bliebe, während die schwächsten Bevölkerungsgruppen geschützt – also isoliert – würden, um durchzuhalten, bis ein Impfstoff entwickelt oder Herdenimmunität erreicht wäre.

Zentral für die Strategie der Regierung war, dass das chronisch unterfinanzierte Gesundheitssystem hinreichend mit Personal und Material ausgestattet blieb. Weil das Virus über Aerosole übertragen wird, spielten medizinische Masken bei der Bekämpfung der Pandemie eine entscheidende Rolle. Doch die waren äußerst knapp.

Um die unzureichende Versorgung mit Mund-Nase-Schutzmasken zu verschleiern, kommunizierte die Regierung zunächst, dass das öffentliche Tragen von Masken nicht entscheidend sei für die Bekämpfung der Pandemie. Aus internen Dokumenten des Gesundheitsministeriums, die nun an die Öffentlichkeit gelangten, geht hervor, dass Gesundheitsminister Hugo de Jonge von der christsozialen Partei CDA – die seit 2017 an der Regierungskoalition mit der VVD, den linksliberalen Democraten 66 und der christdemokratischen Christenunie beteiligt ist – sich vertraulich mit Unternehmensvertretern in den Niederlanden abgesprochen hatte. Demnach sollten Beschäftigte in Unternehmen auf »die Verwendung von medizinischen Mund-Nase-Schutzmasken verzichten, um nicht für weitere Knappheit zu sorgen«.

Im Hintergrund suchte man hektisch nach verfügbaren medizinischen Masken. Unternehmen in den Niederlanden konnten nicht schnell genug produzieren und auf dem Weltmarkt herrschte panikartige Nachfrage. In dieser Situation soll der niederländischen Regierung zufolge der damalige deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang März 2020 dafür gesorgt haben, dass eine Ladung mit medizi­nischer Schutzausrüstung die deutsch-niederländische Grenze nicht passieren konnte, wie der damalige niederländische Gesundheitsminister Bruno Bruins zur Parlamentsdebatte zur Covid-19-Pandemie vom 12. März 2020 ­erklärte. Zudem drohte eine neue Finanzkrise. Es war unübersichtlich. »Wir gehen auf dem Zahnfleisch«, schrieb der Chefunterhändler des niederländischen Gesundheitsministeriums, Bas van den Dungen, in einem internen Bericht.

Van Lienden wandte sich den vertraulichen Berichten des Gesundheitsministeriums zufolge im April 2020 an das Ministerium und versprach mit seiner Non-Profit-Stiftung »Hulptroe­pen Alliantie« Hilfe. Über Geschäfte mit Unternehmen in China wolle er schnell mehrere Millionen Mund-Nase-Schutzmasken für die Niederlande besorgen. »Wir werden für die Menschen in der Gesundheitsversorgung unser Bestes geben«, schrieb van Lienden dem Unterhändler des Gesundheitsminis­teriums.

Für seine Mission hatten van Lienden und seine beiden Geschäftspartner mit der Rabobank bereits vor dem Geschäftsabschluss einen Kredit von 115 Millionen Euro vereinbart, wie aus den jüngsten Recherchen von »Follow the Money« hervorgeht, haben aber nicht die ganze Summe abgerufen. Nach kurzen Verhandlungen willigte das Ministerium trotz bestehender Bedenken ob der Integrität der Unternehmer ein und sagte eine Summe von 100 Millionen Euro für die Lieferung von medi­zinischen Masken zu.

Van Lienden war zum Zeitpunkt des Geschäfts in der Politik kein Unbekannter. Er hatte 2012 die Jugendbewegung G500 mitgegründet, welche sich zum Ziel gesetzt hatte, die Programme von VVD, CDA und der sozialdemokra­tischen PvdA zu beeinflussen. Für seinen Handel mit der Regierung konnte er sich auf Kontakte aus dieser Zeit stützen.

Kurz bevor van Lienden den Maskenvertrag mit dem von de Jonge geführten Gesundheitsministerium schloss, war er von dessen Partei CDA beauftragt worden, am Wahlprogramm für die im März 2021 anstehenden Parlamentswahlen mitzuwirken. De Jonge soll Recherchen der Tageszeitung De Volkskrant zufolge auch unmittelbar an der Kontaktvermittlung zu van Lienden beteiligt gewesen sein, was er jedoch dementiert.

Nach Abschluss des Geschäfts besorgte van Lienden für das Ministerium für die vereinbarte Summe 40 Millionen medizinische Mund-Nase-Schutzmasken. Er konnte mit seinem Unternehmen Relief Goods Alliance BV einen Profit von 20 Prozent einstreichen, der im Vertrag als »Risikoaufschlag« verbucht war, wie »Follow The Money« und De Volkskrant berichteten. Van Lienden soll Recherchen von De Volkskrant zufolge selbst neun Millionen Euro und seine beiden Partner Bernd Damme und Camille van Gestel jeweils über fünf Millionen Euro an dem Geschäft verdient haben.

Die Unternehmer hatten stets behauptet, dass sie keinen Profit mit dem Geschäft machen wollten und es ihnen immer nur um das Gemeinwohl gegangen sei. Doch nun wurde bekannt, dass van Lienden einige Tage vor dem Vertragsabschluss mit dem Gesundheitsministerium ein Unternehmen gegründet hatte, das fast den gleichen Namen wie die Non-Profit-Stiftung trug. Darüber flossen die Gelder letztlich und wurden die Gewinne verbucht.

Der Verdacht steht im Raum, dass weitere Personen, etwa Beamte im Gesundheits- und Finanzministerium, Vertreter der CDA und der Rabobank, an dem zweifelhaften Geschäft beteiligt gewesen sein könnten. »Die Staatsanwaltschaft schließt nicht aus, dass Ermittlungsverfahren gegen weitere Beteiligte folgen«, hieß es auf Anfrage der Jungle World. Nähere Informationen wollte die Staatsanwaltschaft aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht geben.

Die Masken kamen beim Gesundheitspersonal indes zunächst nicht an, weil die niederländische Behörde für Gesundheit und Umweltschutz (RIVM) sie für »ein inakzeptables Gesund­heitsrisiko« hielt – weil die chinesischen Hersteller in den Masken enthaltenes Graphen mutmaßlich unsauber verarbeitet hatten. Als die Bedenken schließlich ausgeräumt waren, wurden die Masken nicht mehr benötigt, weil es zu diesem Zeitpunkt bereits ein Über­angebot gab.