Der Major League Baseball fehlen die Zuschauer und der Nachwuchs

Ein Nationalsport sucht Publikum

In Nordamerika beginnt die Saison der Major League Baseball wegen Tarifstreitigkeiten mit leichter Verspätung. Der Sport hat jedoch Probleme, die weit darüber hinausreichen.

Wenn am Donnerstag dieser Woche um kurz nach 13 Uhr Ortszeit mit dem ersten Pitch im Spiel der New York Yankees gegen die Boston Red Sox die Saison der Major League Baseball (MLB) beginnt, hätte sie eigentlich schon mehr als eine Woche laufen sollen. Dass das nicht der Fall war, lag daran, dass sich Spieler und Team­eigentümer nicht rechtzeitig auf ein neues collective bargaining agreement (CBA), eine Art Tarifvertrag für die gesamte Liga, hatten einigen können.

Nachdem diese Einigung ausgeblieben war, hatten die Clubeigentümer am 2. Dezember die Spieler ausgesperrt. Beendet wurde der Arbeitskampf am 10. März, nachdem beide Seiten sich nach zähen Verhandlungen auf einen Kompromiss hatten einigen können. Unmittelbar darauf nahmen die Teams ihre Saisonvorbereitung auf. Das erste Testspiel im Rahmen des ebenfalls verschobenen und überdies verkürzten Spring Training in Arizona und Florida fand bereits sieben Tage später statt.

Das größte Problem scheint zu sein, dass der Baseball, wie er in der Major League Baseball zu sehen ist, schlicht langweiliger geworden ist.

Die Aussperrung war zwar nicht überraschend, aber doch sehr plötzlich gekommen. Am Tag vor dem Ablauf der tariflichen Einigungsfrist hatten die 30 Teams der MLB sich in neuen Verträgen mit 27 Spielern verpflichtet, diesen über mehrere Jahre bei unterschiedlichen Vertragslaufzeiten insgesamt 1,4 Milliarden US-Dollar zu zahlen. Allein die New York Mets legten für Max Scherzer, der zuletzt bei den Los Angeles Dodgers spielte, mehr als 130 Millionen Dollar auf den Tisch. Der Pitcher soll in den kommenden drei Jahren jeweils 43 Millionen pro Saison verdienen – auch das ist ein neuer Rekord.

Diese enormen Summen können leicht den Eindruck erwecken, dem nordamerikanischen Baseball gehe es blendend. Doch die MLB steckt in einer tiefen Krise, und der erste Arbeitskampf nach 26 Jahren ist nur eines von vielen Symptomen. Die wahren Probleme liegen deutlich tiefer.

Baseball galt lange Zeit als America’s pastime, als der US-amerikanische Sport schlechthin. In den vergangenen Jahren stagnierte die Entwicklung des Sports jedoch. Zwar war die MLB gemessen am Umsatz vor der Pandemie noch immer die zweitgrößte Liga der Welt hinter der NFL, die Basketballliga NBA hat jedoch deutlich höhere Wachstumsraten und wird sie wohl bald überholen.

Dass der Umsatz nur vergleichsweise verhalten wächst, liegt nicht zuletzt daran, dass Baseball außerhalb von Teilen Nordamerikas, der Karibik und einigen Ländern Ostasiens kaum jemanden ernsthaft interessiert. Während die NBA in China mehr Fans hat als in den USA selbst und die NFL regelmäßig Spiele in London austrägt, ist es der MLB nur bedingt gelungen, neue Märkte zu erschließen. Der diesjährige Super Bowl der NFL hatte rund 140 Millionen Zuschauer, davon allein 50 Millionen außerhalb der USA. Die World Series der MLB hingegen hatte insgesamt nur rund zwölf Millionen Zuschauer pro Spiel.

Anfang der achtziger Jahre war die alles entscheidende Finalserie der Saison noch ein echter Straßenfeger, der rund 40 Millionen Menschen vor die Empfangsgeräte lockte. Heutzutage sind es kaum mehr als ein Viertel davon und das bei über 100 Millionen Einwohnern mehr. Die MLB interessiert also nicht nur international kaum jemanden, sie hat auch in den USA selbst enorm an Bedeutung verloren. Wie konnte das passieren?

Sicher gibt es mittlerweile deutlich mehr Sportarten und auch neue Formen der Unterhaltung, die um die Aufmerksamkeit der Menschen konkurrieren. Anderen Ligen wie der NFL, der NBA oder auch der Fußballliga MLS scheint das jedoch nicht im Geringsten zu schaden. Die Krise des Baseballs scheint also andere Ursachen zu haben.

Wenn man etwas weiter zurückblickt, so lässt sich feststellen, dass der Spielerstreik 1994/1995, dem sogar die World Series – die Finalspiele um die nordamerikanische Meisterschaft – zum Opfer fiel, und die Aufdeckung des weit verbreiteten Steroidmissbrauchs kurz nach der Jahrtausendwende die MLB, aber auch den Baseball insgesamt viele Sympathien gekostet haben. Das größte Problem scheint jedoch zu sein, dass der Baseball, wie er in der MLB zu sehen ist, schlicht langweiliger geworden ist.

Die Spiele dauern heutzutage durchschnittlich 23 Minuten länger als noch 2005 und sogar 34 Minuten länger als 1984. Drei Stunden und zehn Minuten dauert ein Spiel im Durchschnitt. In Zeiten, in denen das dem Baseball durchaus vergleichbare Cricket sehr erfolgreich mit immer kürzeren Formen des Spiels experimentiert, wirkt das äußerst unzeitgemäß. Nur alle drei Minuten und 42 Sekunden gelingt es einem Spieler, den Ball ins Spiel zu bringen. Den Rest der Zeit gibt es nichts zu sehen als die immer gleichen Würfe des Pitchers und vielleicht auch mal den einen oder anderen misslungenen Schlagversuch.

Als Baseball in seiner heutigen Form erfunden wurde, stand das sogenannte Base Running im Mittelpunkt. Man versuchte den Ball möglichst oft ins Spiel zu bringen und es so den Spielern zu ermöglichen, Schritt für Schritt von einer Base zur nächsten vorzurücken. Homeruns waren Sensationen und Strikeouts ebenso. In der Saison des Vorjahrs hingegen gab es rund 6 000 Home­runs und 42 000 Strikeouts – der dritt- beziehungsweise zweithöchste Wert aller Zeiten und jeweils mehr als viermal so viel wie zu Zeiten des ewigen Baseball-Idols Babe Ruth in den dreißiger Jahren, als das Spiel noch die gesamte Nation elektrisierte.

Was diese Zahlen – und unzählige mehr, die sich hier anführen ließen – zeigen, ist, dass Baseball, wie er heutzutage in der MLB gespielt wird, oft eine nahezu unerträglich zähe Angelegenheit ist. Es ist daher wenig überraschend, dass vor allem junge Menschen, die an das rasante Tempo sozialer Medien gewöhnt sind, sich nur noch selten für den Sport begeistern. Nur noch 4,9 Millionen Jugendliche spielen heutzutage Baseball. Noch 1995 waren es doppelt so viele. Das Durchschnittsalter derjenigen, die die MLB im Fernsehen schauen, liegt bei 59,7 Jahren.

Es gibt auch Gegenstimmen, die völlig zu Recht feststellen, dass das Niveau des Spiels mittlerweile deutlich höher ist als in der Vergangenheit. Nicht zuletzt dank des Einsatzes moderner Technik und Diagnostik sind die Spieler besser austrainiert und ihre Technik oft nahezu perfekt. Computergestützte Analysetools ermöglichen es den Teams, ihre Spieler effektiver einzusetzen und nicht zu überlasten. Baseball war, wenn man nur die reinen Zahlen betrachtet, noch sie so gut wie heutzutage.

Er war aber auch selten so langweilig. Die Kennzahlen für spektakuläre Aktionen befinden sich seit Jahren im Abwind. So gelingt es Spielern nicht nur seltener, Bases zu stehlen, sie versuchen es auch weniger. Gleichzeitig gibt es weniger extra base hits, weniger sacrifice flies und weniger bunts. Spiele werden in erster Linie durch Homeruns und Strikeouts entschieden und durch wenig sonst. Das ist zwar aus athletischer Sicht sehr beeindruckend, aber gleichzeitig auch sehr einförmig.

Wenn die MLB nicht hinter andere Sportarten wie Eishockey und Fußball zurückfallen will, wird sie nicht umhinkommen, etwas gegen die Langeweile zu unternehmen. Forderungen nach Maßnahmen, die die Liga wieder interessanter machen sollten, standen neben finanziellen Forderungen daher auch weit oben auf der Liste der Spieler für ein neues CBA. Vor allem sollte gegen das absichtliche Verlieren, das sogenannte tanking, vorgegangen werden.

Der geschlossene Kompromiss sieht nun eine draft lottery vor, wie es sie ganz ähnlich auch in der NBA gibt. Das bedeutet, dass das schlechteste Team der Saison beim Draft nicht mehr automatisch als Erstes zum Zug kommt. Alle Teams, die nicht in die Play-offs kommen, haben in Zukunft die Chance auf den ersten Pick. Für das Spiel selbst hat man sich unter anderem darauf geeinigt, dass Pitcher in Zukunft weniger Zeit für ihre Würfe haben sollen, was das Spiel schneller machen soll.

Ersteres ist ohne Zweifel ein Fortschritt. Letzteres ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Wie es sich wirklich auf den Spielverlauf auswirkt, kann sich erst in der Praxis zeigen. An den Problemen des Baseballs ändert jedoch beides wenig bis nichts. Vielleicht ist das aber auch schlicht unmöglich. Baseball lebt wie jeder Sport vom Außergewöhnlichen, vom Unvorhersehbaren, vom Unberechenbaren. In Zeiten, in denen sich nahezu alles berechnen und anhand von Zahlen vorhersehen lässt, dominiert jedoch fast zwangsläufig das Erwartbare. Und genau das ist das Problem.