Wie sich Robert Habeck rhetorisch gegen Kritik immunisiert

Per du mit dem Minister

Robert Habeck wird weithin für seinen Kommunikationsstil gefeiert. Auch negative Seiten der eigenen Politik spricht er immer wieder an. Cleverer kann sich ein Realpolitiker kaum gegen Kritik immunisieren.
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Ein beliebtes Vorurteil über die Grünen lautet, dass sie hehre Ideale vor sich her trügen und große Versprechen machten, diese aber, wenn sie die Gelegenheit haben, nicht erfüllten. Die Grünen gelten als die großen Heuchler und Bigotten der Politik. Linke konstatieren das verbittert, Konservative mit Genugtuung, vielleicht sogar mit einer Spur Anerkennung. Nur hat den Grünen dieses Vorurteil nie wirklich geschadet. Im Gegenteil, möchte man fast sagen. Das Auftreten von Robert Habeck als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz scheint das zu bestätigen.

Habeck gilt als der Rhetor der Bundesregierung. Nicht weil er geschliffen und pointiert spricht, sondern weil er sucht und tastet, ­diplomatische Floskeln vermeidet, bisweilen auch Schleifen dreht, aber immer wieder sein Publikum direkt anspricht. Das macht Eindruck – ein Erwachsener redet zu Erwachsenen. Die Öffentlichkeit ist voll des Lobes: Habecks »Ambivalenz und schonungslose Offenheit in der Kommunikation« sei »beeindruckend und in dieser Form komplett neu«, schreibt ein Redakteur des Tagesspiegels auf Twitter. Habeck spreche Dilemmata offen an, heißt es immer wieder, er stelle Zweifel und Selbstzweifel aus und rede unverblümt von den Defiziten seiner Politik, die die Defizite dieser Gesellschaft seien – das ist sein Hintertürchen, denn für diese kann er nichts.

Viel Anerkennung in den sozialen Medien hat ihm sein Auftritt bei »Markus Lanz« in der Sendung vom 31. März gebracht. Habeck war zuvor in Katar gewesen, um eine neue »Energiepartnerschaft« auszuhandeln – und verteidigte sich nun gegen Kritik, indem er selbst den heuchlerischen Moralismus anklagte. »Wir ziehen mit unserem täglichen Leben eine Spur der Verwüstung durch die Erde«, wetterte er. Er beklagte den Selbstbetrug einer Gesellschaft, deren Benzin aus saudischem Öl gewonnen wird und für deren Mettbrötchen Kreaturen in Massenhaltungen elendig leiden – und die sich zugleich darüber aufregt, wenn der Minister Geschäfte mit Katar einfädelt. Darum ging es nämlich: Habeck wurde vorgeworfen, den einen Teufel, Wladimir Putin, bloß mit einem anderen zu ersetzen, nämlich einer Herrscherclique, die Partei ist in einem der opferreichsten Kriege dieser Zeit – dem Bürgerkrieg im Jemen – und unzählige Arbeitsmigranten unter den schlimmsten Bedingungen ausbeutet.

Freilich bleibt auch Habeck Moralist, zeigt er doch mit dem Finger auf die Gesellschaft, auf »uns«. Seht her, sagt er, wir sind alle bigott, wir sind alle bequem und mochten noch nie hinschauen, ­weder im Donbass noch in unseren widerwärtigen Schweineställen. Nicht an mir liegt es, wenn die Grünen ihre Ideale nicht verwirklichen können, sondern an einer Gesellschaft, die es sich viel zu gut gehen lässt. Habeck macht die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit produktiv: Sie ist ihm Ansporn, so richtig zuzupacken – und natürlich ist sie die Legitimation, die Bürgerinnen und Bürger auf harte Zeiten einzustimmen. Den Vorwurf, den eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht zu werden, nimmt er an und nutzt ihn noch, um sich zu rechtfertigen. Mag er beim Reden noch so vernuschelt klingen, rhetorisch ist das eine Glanzleistung.

Noch während seines Aufenthalts in Katar vor drei Wochen wandte Habeck sich mit einem auf dem Youtube-Kanal seines Ministe­riums veröffentlichen Clip direkt ans heimische Publikum und erklärte die Lieferverträge, die er ausgehandelt hatte. Im Video duzt er das Publikum und lässt es daran teilhaben, wie »irgendwie total merkwürdig« sich diese Reise anfühle. Er spricht auch die fatale Arbeitsrechtslage in Katar an, zeigt sich aber voller Anerkennung, dass die katarische Regierung bessere Arbeitsgesetze zu beschließen verspricht. Dass er damit indirekt sagt, dass die Lebensbedingungen der meisten der drei Millionen Arbeitsmigranten in Katar immer noch katastrophal sind – geschenkt; Hauptsache, er hat die Missstände »angesprochen«. Das ist das Clevere an Habecks Rhetorik: Sie setzt die Widersprüche, auf denen sie fußt, beliebig ein – mal als Vorwurf an die Bevölkerung; mal als Anspruch an sich selbst, es ­immer ein Stückchen besser zu machen, in seinen Worten: weiter an den Strukturen zu arbeiten.

Daran zeigt sich, dass eine Kritik an den Grünen, die auf Entlarvung und Vorführung zielt, zu kurz greift. Die Grünen leben schon lange mit diesem Widerspruch und können ihn inzwischen sogar als ihre eigentliche Stärke ausgeben. An den Verhältnissen, den Strukturen, wie Habeck sagen würde, ändern sie dadurch nichts. Aber es fällt ihnen umso leichter, die Härten, die sie beziehungsweise ihre Koali­tionspartner der Bevölkerung aufbürden, noch stets als notwendig, als schmerzhaften, aber richtigen Schritt zu verkaufen.