Anhänger der esoterischen ­Anastasia-Bewegung sehnen sich nach Russland

Wurzeln schlagen gegen die Dämonkratie

Anhänger der sogenannten Anastasia-Bewegung träumen von der Überwindung der Zivilisation – oder zumindest von der Flucht aus dem dekadenten Westen. Kürzlich sprach ihr Guru auf Youtube zu seiner Anhängerschaft.

Niemand weiß, wie sich Russland entwickeln wird – doch das Wort »paradiesisch« würde wohl kaum jemandem einfallen, um die Zukunft des Landes zu beschreiben. Manche scheinen sich ihren Optimismus allerdings bewahrt zu haben. »Russland wird ein Paradies werden und der Vorreiter für alle Länder«, schrieb kürzlich ein Mitglied einer Telegram-Gruppe der esoterisch-völkischen Anastasia-Bewegung.

Deren Anhänger haben ihr Weltbild auf einer zehnbändigen Fantasy-Roman­reihe des russischen Autors Wladimir Megre aufgebaut. Die Bücher handeln von der Begegnung des Autors mit einer jungen blonden Frau, die in der sibirischen Taiga lebt und mit Tieren und Pflanzen kommunizieren kann. Die Frau – Anastasia – teilt ihre Weisheiten mit dem Erzähler. Die Saga durchziehen hanebüchene Esoterik und antisemitische Motive. Zentraler Bestandteil der Anastasia-Lehre ist die Errichtung von sogenannten Familienlandsitzen, auf denen Siedler autark leben und wirtschaften sollen. 17 solcher Landsitze soll es in Deutschland bereits geben, berichtete die Taz Ende 2020.

In den zig Gruppen und Kanälen der Bewegung bei Telegram versammeln sich Tausende Followerinnen. Sie tauschen dort neben Ernährungs- und Gartentipps die Videos ihres geistigen Führers Wladimir Megre und Verschwörungsmythen miteinander aus. Die Gruppen dienen darüber hinaus der gegenseitigen praktischen Hilfe beim Aufbau der Familienlandsitze oder »Naturgartendörfer«, wie manche sie nennen. So gibt es Gruppen von Siedlern, die sich in Polen oder Rumänien niederlassen wollen, um dem ­dekadenten Westen den Rücken zu kehren. Auch davon, sich in Russland anzusiedeln, träumen viele. Präsident Wladimir Putin hatte 2016 ein Gesetz er­lassen, dass es russischen Staatsbürgern erlaubt, gratis einen Hektar Land in ­Sibirien zu erwerben.

Russland scheint für viele der deutschen Anhänger ein kitschiger Sehnsuchtsort zu sein, an dem erdverbundene Spiritualität, Traditionen und »das Wissen der Vorväter« noch lebendig seien – anders als in den maroden materialistischen »Dämonkratien« des Westens, wie sich Megre ausdrückt.

»Den Angaben im Band fünf zufolge wird Russland jetzt erst mal gereinigt, bis das Wasser wieder sauber und trinkbar, lebendig ist«, schreibt eine nach eigener Aussage in Dresden lebende alleinerziehende Mutter in ihrer Telegram-Gruppe »Anastasia – Tochter der Taiga«. Sie behauptet: »Dann wird das Land sich so erholt haben, dass die neue Generation von Kindern paranormale Fähigkeiten aufweist, die gegen Angriffe der westlichen Welt schützen. Eine Kraft, von der gesprochen wird, die von den Jüngeren kommt, die neue Prioritäten setzt. Eine neue Magie.«

Die kindlich-naiven Sehnsüchte nach Idylle und Schutz vor den Zumutungen und dem Stress der modernen Gesellschaft sind offenkundig. Für Letzteres macht Megre die Tatsache verantwortlich, »dass in unserem Land eine fremdartige Ideologie herrscht und dass viele negative Vorgänge von gewissen Mächten inspiriert sind«, wie er im ersten Teil des achten Bandes an Präsident Putin gerichtet schreibt.

Megre nutzt seit Ende 2021 auch Youtube, um seine Vorstellungen zu verbreiten. Ende Januar und Anfang Fe­bruar dieses Jahres stellte er sich den Fragen einer angeblichen »Journalistenschule Deutschland« und beantwortete einige Fragen seiner Leserinnen. Er erzählte viel – auf Russisch, mit einer Dolmetscherin, die simultan auf Deutsch übersetzt – und beantwortete viele Fragen gar nicht richtig. Die Fans feierten ihren grauhaarigen Anführer dennoch und sendeten im Live-Chat zahlreiche Herzchen.

Die insgesamt rund dreieinhalb Stunden Sendezeit nutzt der Fantasy-Autor, um den Inhalt seiner Bücher wiederzugeben und Produkte aus Anastasia-Onlineshops zu bewerben – darunter zum Beispiel kitschige Bilder der heilen Anastasia-Welt, gemalt auf Zedernholzplatten vom russischen Maler Kumar Alzhanov.

Zu Anfang geht Megre auf die Theorie der Telegonie ein. Der Begriff beschreibe, was passiere, »wenn eine Frau und ein Mann sexuell intim werden vor der Ehe«. Dann nämlich prägten sich seiner Theorie zufolge die Gene des Mannes der Frau ein, und jeglicher später mit einem anderen Sexualpartner gezeugte Nachwuchs ähnele genetisch und äußerlich dem ersten Mann, mit dem sie »intim« wurde. Man solle sich an »Wissenschaftler wenden, die sich mit diesem Thema beschäftigen« – aber an wen? Namen nennt Megre nicht.

Megre erzählt ausführlich, »die Juden« hätten »eine Schule für die Weltregierung« etabliert. Er könne sich nicht erklären, warum seine »Vorstellung von sechs levitischen Priestern, die die Welt im Geheimen regieren«, als antisemitisch eingestuft werde – bei den Leviten handelt es sich um einen der zwölf Stämme Israels. Megre zeigt sich überzeugt: »Wie ich Ihnen schon gesagt habe: Ich bin kein Antisemit.« Er und viele seiner Anhänger raunen allerdings regelmäßig von »Dunkelmächten«, die die Welt beherrschten und bekämpft werden müssten.

Nach außen präsentiert sich die Anastasia-Bewegung als harmlose Ökogemeinschaft, die doch bloß aussterbende Dörfer wiederbeleben wolle. Jedoch scheint es Verbindungen auch ins konventionelle Nazi-Milieu zu geben. Teile der deutschsprachigen Sektion der ­Bewegung hätten im März an einem ­Treffen der neonazistischen »Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung« teilgenommen, berichtete die Rechtsextremismusexpertin An­drea Röpke. An früheren solcher Treffen der »Artgemeinschaft« sollen mindestens zwei Mitglieder eines mutmaßlich bewaffneten Netzwerks rechtsextremer Bundeswehrreservisten teilgenommen haben. Zu diesem Ergebnis kam eine Recherche des RBB-Magazins »Kontraste«. Der Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke sei früher sogar Mitglied der »Artgemeinschaft« gewesen.

Die Covid-19-Pandemie nimmt in Megres Video großen Raum ein. Auf die interessante Publikumsfrage, wie es »die Menschen, welche keine Bioroboter sind«, schafften, »der Coronadiktatur zu entkommen und ein glückliches Leben ohne Domestizierung der Eliten zu leben«, geht Megre leider nicht ein. Seine esoterische Weltsicht wird dennoch deutlich. Das Virus sei »eine denkende Substanz. Er unterliegt der Macht des Gedankens. Der Virus ist entstanden, um den Menschen zu zeigen, was sie angerichtet haben auf der Welt.« Durch die »Nadelbäume auf dem ­Familienlandsitz« sei man jedoch geschützt, denn diese hätten »die Fähigkeit, das Virus abzuwehren. Die physischen Kräfte und die Selbständigkeit des Menschen (auf dem Familienlandsitz, Anm. d. Red.) erlauben es ihm, ­diese Schwierigkeiten zu bekämpfen.« Man müsse lediglich die eigenen »Kräfte mobilisieren« – und dürfe keine falschen Gedanken haben. Denn solche Gedanken könnten »das Immunsystem schwächen«.