»The Bed Is in the Ocean« von Karate ist wiederveröffentlicht worden

Gespräche mit Unbekannten

Das Album »The Bed Is in the Ocean« von Karate, das 1998 erstmals erschien, ist neu aufgelegt worden. Die Platte der Band aus Boston klang noch nach Post-Hardcore, spielte aber auch bereits mit dem Jazz, an dem die Band sich später orientieren sollte.

»So quiet I can hear the refrigerator is on.« Schon die ersten Zeilen von »There Are Ghosts« auf »The Bed Is in the Ocean«, dem dritten Album von Karate, verweisen auf ein Prinzip des Songwritings der Band: In dem präzisen Zusammenspiel von Geoff Farina, Gavin McCarthy und Jeff Goddard wird dem Leisen und der Stille die gleiche Bedeutung beigemessen wie den kontrollierten Ausbrüchen. »I can hear the fabric of your sleeping bag – how it sounds against someone else’s floor.« Man soll genau hinhören, auf die subtilen Sounds, Geräusche und Zwischentöne achten.

Das 1998 veröffentlichte Album nimmt in der Diskographie der von 1993 bis 2005 existierenden Band aus Boston eine Schlüsselstellung ein. Einerseits steht es noch mit einem Fuß in der Emo-/Post-Hardcore-Vergangenheit von Karate, deren erste Singles auf Labels wie The Self-Starter Foundation oder Art Monk Cons­truction neben Bands wie Les Savy Fav oder The Van Pelt erschienen sind. Andererseits verweist es auch schon auf das Spätwerk, den über die folgenden drei Alben perfektionierten, präzisen Post-Indierock-Sound, der sich am Jazz orientierte, ohne wirklich Jazz zu sein. »Wir sind Rockmusiker, wir sind keine Jazzmusiker, und wir haben uns auch nie für welche gehalten«, sagte Geoff Farina in einem Interview. »Wenn wir diese Art von Musik interpretieren, machen wir das aus ­unserer Perspektive.«

Beim erneuten Hören lassen sich Farinas Texte auch als Versuch verstehen, über den Werdegang der eigenen Band bis zum Jahr 1998 zu reflektieren, wenn auch subtil und in Andeutungen.

Auf dem selbstbetitelten Debüt­album von 1995 und dem Folgealbum »In Place of Real Insight« von 1997 stand eine Suche im Mittelpunkt, die aus dem engen Korsett des eigenen Punk- und Hardcore-Hintergrunds herausführte, eine Suche, die auch andere Bands aus dem Umfeld von Karate in diesen Jahren beschäftigte: die bereits erwähnen The Van Pelt etwa, die trotz ähnlicher Startbedingungen zu einem anderen Sound fanden, Codeine oder auch Fugazi, die auf ihren Alben der Mitte der Neunziger wie »Red Medicine« nach neuen Klängen gesucht haben. In Richtung Jazz haben sich jedoch einzig Karate in dieser Konsequenz entwickelt, verbindendes Glied zu den beiden Emo-Alben – die auch schon um Meilen besser waren als viele andere dieses Genres – blieb Farinas Stimme, die subtil von Entfremdung und einem Unbehagen an den gesellschaftlichen Verhältnissen erzählte, klar und doch fragil über dem präzisen Zusammenspiel der Instrumente lag.

»The Bed Is in the Ocean« ist soeben nach dem Debüt und »In Place of Real Insight« in einer remasterten Version vom Label Numero Group wiederveröffentlicht worden. Beim erneuten Hören lassen sich ­Farinas Texte auch als Versuch verstehen, über den Werdegang der ­eigenen Band bis zum Jahr 1998 zu reflektieren, wenn auch subtil und in Andeutungen, wie er in seinen Texten immer vorgegangen ist, um existen­tielle Entfremdung und politisches Unbehagen zum Ausdruck zu bringen. Er nimmt verschiedene Rollen ein, lässt unterschiedliche Perspek­tiven aufeinandertreffen, führt Gespräche mit einem unbekannten ­Gegenüber. Da ist zunächst die Enge, die das lyrische Ich aufruft, aus der sich zu befreien nicht einfach ist, die aber gleichzeitig ­etwas Vertrautes in sich trägt: »When we’re in this town for good I’ll know. I’ll see you somewhere, like Saturdays on museum stairs«, singt er in »The Same Stars«. »God don’t make things that you can rearrange. But that’s okay, because I can’t take the change.«

Einen Song später wird deutlich, dass nicht nur Gott, sondern auch andere Kräfte dafür sorgen, dass sich nichts ändert: »You never wanted it to be that way but your parents want it to be that way. Just stay right where you are«, singt Farina in »Diazapam«, aber auch: »This is a fucking warning.« Bereits im nächsten Song, »The Last Wars«, wechselt er wieder die Perspektive und lässt all dies hinter sich: »Let me leave the key because I cannot wait. I know I’ll find some some quiet somewhere near.«

Wie der Protagonist des Songs die Enge hinter sich lässt, hat sich die Band auf neues Terrain begeben und die eigenen Anfänge aus der (Post-)Hardcore-Szene mit neuen Erfahrungen kollidieren lassen – alle drei Bandmitglieder studierten zu dieser Zeit Jazz am Berklee College of Music in Boston. Vor allem John Coltrane sei ein wichtiger Einfluss gewesen, hat Farina einmal in einem Interview verraten. »Es gibt eine Verbindung zwischen unserer Musik und der von Coltrane, denn da steckt etwas in ihr, das dunkel und gleichzeitig kathartisch ist.«

»We only steal from the greatest books«, singt Farina in »The Last Wars«. Diebstahl meint hier musikalisch, Konzepte der Vorbilder in den bandeigenen Kosmos zu übertragen. Neben Coltrane sind es vor allem zwei weitere Einflüsse, die für Karate zentral waren. Auf dem letzten live eingespielten Minialbum der Reihe »In the Fishtank« coverte die Band neben vier Songs der Hardcore-Pioniere Minutemen auch »A New Jerusalem« von Mark Hollis – Mitgründer und Kopf von Talk Talk – und gibt damit ihre Vorbilder an. Irgendwo in diesem Dreieck zwischen Hollis, Coltrane und Minutemen haben sich Karate bewegt, weniger musikalisch als vielmehr ideell, wodurch sie stets gänzlich eigen geklungen haben. Das Unsaubere, schnell Hingeworfene und vom DIY-Ethos Geprägte hat Farina in das Nebenprojekt The Secret Stars gemeinsam mit Jodi Buonanno ausgelagert, das zwischen 1994 und 1998 viel Alben und eine Handvoll Singles veröffentlicht hat, die ebenfalls eine Wiederveröffentlichung wert wären.

Einige der Songs auf »The Bed Is in the Ocean« weisen noch in die Vergangenheit, das Schlagzeug ist straight, die Gitarre verzerrt. Doch ­bereits mit dem Folgealbum »Unsolved« aus dem Jahr 2000 hat sich die Band vollständig davon gelöst, auch wenn die Vinylversion als ­Bonus noch einmal die ersten Singles enthielt. Live erprobten Karate in dieser Zeit auch die Möglichkeiten der Improvisation, bewegten sich aber nach wie vor in der Post-Hardcore-Szene. Ihr vielleicht bestes ­Album, »Some Boots« von 2002, vereint die Arrangements später Talk-Talk-Alben mit Tupfern der Minutemen, zusammengehalten von Farinas flüchtigem Gesang.

Das Zusammenspiel der Musiker, das sich über die Jahre entwickelt hat, ist beeindruckend, das finale Album »Pockets« von 2004 konnte dem, außer weiteren schönen Songs, nichts Neues mehr hinzufügen. Kurz nach Erscheinen haben sich Karate aufgelöst. Farina litt bereits seit einigen Jahren unter Hörproblemen, die sich durch den Stress der Touren – Karate spielten über 70 Konzerte pro Jahr – immer weiter verstärkt hatten.

Es folgten einige Soloalben von Farina, Bandprojekte wie Exit Verse oder Glorytellers, die jedoch nicht die Qualität von Karate erreichen konnten. Farina hat derzeit eine Professur für Musik an der DePaul University in Chicago inne und kümmert sich um die Reissues von Karate. Im Zuge der Wiederveröffentlichung von »The Bed Is in the Ocean« kamen ­Gerüchte über eine mögliche Reunion der Band auf, deren Mitglieder mittlerweile auf unterschiedlichen Kontinenten leben – »Yeah, I want to see you. Yeah, I want to believe that you’re downtown, that you’re around« (»Outside is the Drama«).

Karate: The Bed Is in the Ocean (Numero Group)