Durch die Linkspartei geht ein Riss
»Wir sind die einzige Friedenspartei!« Das war wohl der am häufigsten verwendete Satz auf dem Bundesparteitag der Linkspartei, der vergangenes Wochenende in Erfurt stattfand. Ihn verwendeten Vertreter aller Flügel und Strömungen. Immer und immer wieder. Doch was diese Selbstvergewisserung inhaltlich konkret bedeutet, war umstritten.
Als mehrheitsfähig erwies sich eine Haltung, die etwa so geht: Selbstverständlich sei man solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, außerdem verurteile man den russischen Angriffskrieg, aber die Nato verkörpere trotzdem das Böse in der Welt und Waffenlieferungen an die Ukraine lehne man in jedem Fall ab. Dass eine Verweigerung von Waffenlieferungen der Ukraine nur eine Kapitulation als Handlungsoption ließe, ist klar. Dennoch ging dies dem Flügel um Sahra Wagenknecht, die selbst am Parteitag nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnahm, nicht weit genug.
Mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen wollten Wagenknechts Getreue aus dem außenpolitischen Leitantrag des Parteivorstands beispielsweise eine Verurteilung des russischen Überfalls auf die Ukraine streichen und dafür die Verantwortung der Nato für den Ukraine-Krieg einfügen. Streichen wollte der Wagenknecht-Flügel auch die Forderung nach Sanktionen gegen Russland, obwohl bereits der Entwurf des Parteivorstands vorsah, dass diese ausschließlich sogenannte Oligarchen treffen dürften – was praktisch wiederum darauf hinausliefe, gar keine Sanktionen zu verhängen, denn Auswirkungen auf die restliche russische Bevölkerung könnten wohl kaum ausgeschlossen werden. Man sei es »den Genossen in Kuba schuldig«, sagte eine Delegierte, sämtliche Sanktionen abzulehnen, denn Sanktionen seien »auch nur Gewalt« und »einer Friedenspartei unwürdig«. Und sie brächten ohnehin nichts, das habe »die Geschichte gezeigt«.
Der Parteitag lehnte all diese Änderungsanträge ab, ebenso die einer deutlich kleineren Gruppe, die für die Lieferung bestimmter Waffen an die Ukraine plädierte und zu der unter anderem der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, sowie Teile der parteinahen Jugendorganisation Linksjugend Solid zählten. Mit einer knappen Mehrheit beschloss der Parteitag letztlich den vom Parteivorstand vorgeschlagenen außenpolitischen Leitantrag weitestgehend unverändert. Auch bei der Wahl der Bundesvorsitzenden unterlag der Kandidat des Wagenknecht-Flügels, der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann. Zu den neuen Co-Parteivorsitzenden wurden Janine Wissler, die dieses Amt bereits innehatte, und Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Fraktion »Die Linke im Europäischen Parlament« (ob er diesen Posten behalten will, ließ er bislang offen), gewählt – mit eher mäßigen Ergebnissen: Wissler erhielt 57,5 Prozent und Schirdewan 61,3 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Anschließend gestanden sich die Getreuen Wagenknechts offenbar die eigene Niederlage ein, mehrere von ihnen zogen ihre Kandidaturen für weitere Posten im Parteivorstand zurück, unter anderem Friederike Benda, deren Wahl zur Stellvertretenden Parteivorsitzenden der parteinahen Tageszeitung ND zufolge »allein aus Quotierungsgründen« sonst sicher gewesen wäre. Selbst im erweiterten Parteivorstand sitzt nun keine Vertreterin des Wagenknecht-Flügels mehr.
Es scheint ein konzertierter Rückzug gewesen zu sein, denn kaum war der Parteitag am Sonntag vorbei, meldete sich sogleich Wagenknecht persönlich zu Wort: »Wie eine Partei, die derzeit bei vier Prozent steht, mit dieser Aufstellung wieder nach oben kommen will, ist mir ein Rätsel«, sagte sie der DPA. »Der Parteitag hat sich ausdrücklich für ein Weiter-so entschieden, und damit wird es wohl auch bei den nächsten Wahlen weitergehen wie in den letzten Jahren.« Sie und ihre Anhänger würden sich nun »verständigen, wie wir darauf reagieren«. Im Herbst solle es eine Konferenz mit den Unterzeichnerinnen des Aufrufs »Für eine populäre Linke« geben, auf der man sich über »das Wie-weiter« verständigen wolle.
Obgleich der Wagenknecht-Flügel jede relevante Abstimmung beim Parteitag verlor, zeigte sich, dass etwa ein Drittel der Delegierten zu ihm gehörten. Wie das Kräfteverhältnis an der Parteibasis aussieht, ist unklar. Nicht ausgeschlossen, dass Wagenknecht dort mindestens einen genau so großen Anteil der Mitglieder hinter sich wähnt. In jedem Fall könnte eine Abspaltung unter ihrer Führung die Partei »Die Linke« ordentlich schröpfen. Und eine solche Abspaltung wird derzeit mit jedem Tag wahrscheinlicher. Bis es so weit ist, geht es für Wagenknecht wohl ausschließlich darum, der (noch) eigenen Partei den größtmöglichen Schaden zuzufügen.
Die bräuchte Wagenknechts tatkräftige Unterstützung dabei wohl gar nicht. Vor dem Grußwort einer ukrainischen Linken an den Parteitag verließen einige Delegierte demonstrativ den Saal, während andere mit Geschäftsordnungsanträgen versuchten, das Grußwort zu verhindern – ob das denn überhaupt eine »echte Linke« sei, die da reden soll, fragte ein Delegierter. Und die Galionsfigur Gregor Gysi begann seine Rede an den Parteitag, in der er »Die Linke« zur Geschlossenheit aufrief, mit einer Kritik des Genderns. Dass Gysi für seine Rede standing ovations erhielt, kommentierte die Bundessprecherin der Linksjugend Solid, Sarah Dubiel, auf Twitter wie folgt: »Diese Partei widert mich an.«