Platte Buch: Jochen Distelmeyer besingt auf dem ­Album »Gefühlte Wahrheiten« die Liebe

Immer wieder Liebeslieder

Jochen Distelmeyers zweites Soloalbum »Gefühlte Wahrheiten« .
Kolumne Von

Es gibt viele Mythen über Blumfeld und ihren Sänger Jochen Distelmeyer. Einer davon lautet, insgeheim sei Distelmeyer ein Schnulzen- und Schlagersänger. Diese populäre Erzählung ist wohl zumindest auch als ­bewusst gestreute Mär gekränkter Ex-Fans zu begreifen, die bis heute der Blumfeld’schen Wendung vom Diskurs-Pop der frühen neunziger Jahre hin zu romantischen Liebesliedern wie »Tausend Tränen tief« misstrauen.

Allen Schlager-Assoziationen zum Trotz kann Distelmeyer selbst mit dem Attribut bis heute nichts anfangen. Und es basiert wohl auch auf ­einem Missverständnis: Denn Distelmeyer glaubt zwar wie der deutsche Schlager an das Schöne, Wahre, an die Liebe. Doch unterschlägt er dabei nie deren Antagonisten – die er wahlweise in Form des Spätkapitalismus oder Faschismus, in Opportunismus oder seit neuestem in den sozialen Medien zu erkennen glaubt.

Sein vor kurzem erschienenes zweites Soloalbum »Gefühlte Wahrheiten« erinnert in der Tat weniger an Schlager als an den Mittleren Westen der USA. Bob Dylan als maßgeblichen Einfluss konnte man in Gestalt eines rastlosen, mit Anspielungen überladenen Sprechgesangs schon auf der »Ich-Maschine« von Blumfeld aus dem Jahr 1992 heraushören. Neu sind indes die Country-Einflüsse, die sich insbesondere in den drei englischsprachigen Songs des neuen Albums bemerkbar machen, von denen insbesondere »Roads of Regret« überzeugt.

Auf eine geradezu imposante Weise berührend ist Distelmeyer bis heute, wenn er jene Menschen besingt, die »unbemerkt von allen aus dem Raster fallen«, wie es im abschließenden »Ich sing für dich« heißt, das zu den stärksten Stücken des neuen Albums gehört. Die Liebe in all ihren romantischen und platonischen Facetten bleibt Distel­mey­ers zentrales Thema – »Viel zu früh und immer wieder Liebeslieder«, hieß nicht umsonst ein wegweisender Song aus Blumfelds Frühwerk. Und dieser Anspruch gilt auch heute noch. Schließlich haben weder Florian Silbereisen noch Andrea Berg je ein Patent auf das Liebeslied angemeldet.

Jochen Distelmeyer: Gefühlte Wahrheiten (Four)