Falsche und richtige Ansichten zu Verzicht und Klimakrise

Brontosaurus im heißen Herbst

Politiker reden von Verzicht und meinen damit, dass die Armen zurückstecken sollen, um dem Kapital durch die Krise zu helfen. Dabei zwingt die drohende Klimakatastrophe tatsächlich zu einer Verzichtsdebatte – und zur Infragestellung linker Gewissheiten.

Es begann mit leeren Klopapierregalen und der Mikrochipkrise; zweieinhalb Jahre zusätzliche Erderwärmung und einen russischen Angriffskrieg später sind die globalen Lieferketten so brüchig und die Versorgung mit lebensnotwendigen Grundstoffen derart fragil, dass selbst launige Internet-Memes über dieses Thema langsam Mangelware werden. Energie, Wasser, Grundnahrungsmittel – alles wird knapper oder zumindest teurer, und die jüngsten Aussagen und Entscheidungen der Regierungsvertreter machen deutlich, wer sich staatlicher Hilfe in der Krise sicher sein darf und wer nicht. Ob ­Gasumlage, ein sogenanntes Inflationsausgleichsgesetz, mit dem zwar viele Steuern sparen werden, aber von dem genau diejenigen nichts haben, die die Preissteigerungen am härtesten treffen werden, oder neunmalkluge Tipps zum Energiesparen, wie sie vor allem von den Grünen kommen, während die im September ausgezahlten 300 Euro Energiepauschale für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte so schnell verschwunden sein werden wie die Pfützen nach einem spärlichen Sommerregen: Wenn von dem ganz großen »Wir« die Rede ist und davon, dass jetzt »alle« den Gürtel enger schnallen müssen, heißt das zuallererst einmal: »ihr da unten«.

Wer Paläste für alle will, muss auch die Frage beantworten, wie die beheizt werden sollen und wo das Wasser für den Swimmingpool herkommt.

»Wir sind gemeinsam stark genug, das auch zu schaffen«, sagte etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Juli, nachdem die Bundesregierung bekannt gegeben hatte, den vor der Insolvenz stehenden Gasimporteur Uniper zu retten. »Niemand« werde alleine gelassen, »keine einzelne Bürgerin, kein einzelner Bürger, auch nicht Unternehmen in diesem Land«, konkretisierte der Kanzler. Wem das noch zu verklausuliert ist, halte sich an den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, der wenige Wochen zuvor private Verbraucher und weniger energieintensive Unternehmen aufgefordert hatte, aus »Solidarität mit der Industrie« Energie einzusparen.

Da hat man also jahrzehntelang über linke Theorien diskutiert, sich vom Vulgärmarxismus abgegrenzt und gegen verkürzte Kapitalismuskritik angekämpft, nur um festzustellen, dass sich die aktuellen Entwicklungen höchst simpel als Klassenkampf von oben beschreiben lassen. Wer es allerdings bei dieser Auffassung belässt und nur eine perfide Enteignungsstrategie erkennt, aber keine objektiven Probleme sieht, könnte sich nicht nur gleich bei den potentiell rechtsoffenen Montagsdemos einreihen, zu denen die Linkspartei aufruft (siehe Seite 3). Damit schubst man nebenbei die linken Basisbewegungen vor den Bus, die sich bemühen, Proteste auf die Beine zu stellen, die nicht im Braunen fischen – vor ­allem aber übersieht auch den elephant in the room, oder vielmehr den Brontosaurus, denn das Problem ist fossiler Natur und so gigantisch, dass seine Ausmaße vielen noch immer nicht bewusst sind.

Die Rede ist natürlich von der Klimakrise, die trotz Dürresommer und Hitzewellen eine so geringe Rolle in den derzeitigen öffentlichen Diskussionen spielt, dass man zumindest bei den politisch Verantwortlichen von einem bewussten Ignorieren ausgehen muss. Es wird so getan, als habe man es mit vor­übergehenden Versorgungsengpässen zu tun, die sich mit Kohleverstromung überbrücken und letztlich überwinden lassen, wenn erst einmal das Flüssiggas sprudeln wird – oder man wieder Deals mit Putin macht, wie es sich AfD-Vertreter eines Sinnes mit Sahra Wagenknecht vorstellen und vermutlich auch die Schröder-Seilschaften in der SPD insgeheim erhoffen.

Doch ein Zurück zur Normalität wird es nicht geben, denn die Grenzen des Wachstums sind längst überschritten, und langsam wird dies auch in den Industrienationen spürbar. So steigen die Preise etwa für Lebensmittel, Energie und Bedarfsgüter nicht allein aufgrund des Kriegs, der Sanktionen oder der sogenannten Gewinninflation – also Profiten durch Preissteigerungen, die über den Anstieg der Produktionskosten hinausgehen –, sondern eben auch, weil die Klimakrise Ernteausfälle verursacht, Kühlwasser für Kraftwerke knapp wird und Lieferketten stocken, sei es durch Unwetterschäden oder versiegende Flüsse und niedrige Pegelstände, wie im August etwa bereits in Teilen des Rheins.

Neben dem Einsatz in den Verteilungskämpfen um die knapper werdenden Ressourcen wäre zum einen die fast schon triviale Erkenntnis notwendig, dass der Totalschaden planetaren Ausmaßes ohne ein Ende des kapitalistischen Wachstumszwangs kaum noch abwendbar scheint, und zum anderen eine weniger triviale Debatte darüber, wie man dieses Ende herbeiführen kann, bevor der Kapitalismus sich selbst abschafft und alle mit in den Abgrund reißt. Den drohenden ökologischen Kollaps in sämtlichen sozialen Kämpfen mitzudenken, bedeutet, sich sowohl endgültig vom traditionsmarxistischen Fortschrittsoptimismus zu verabschieden, als auch die hedonistischen Ansichten zu hinterfragen, mit der Poplinke der frühen nuller Jahre die – mehr als berechtigte – Forderung »Her mit dem guten Leben« vorbrachten. Wer Paläste für alle will, muss nämlich auch die Frage beantworten, wie die beheizt werden sollen und wo das Wasser für den Swimmingpool herkommt.

Der private Konsum darf also nicht ausgeklammert werden, wie es die radikale Linke gerne mit dem Argument tut, dass die Ursachen für das Desaster ja in der Produktionssphäre zu suchen seien. Natürlich möchte man vor Wut schreien, wenn Privathaushalte zum Wasser- und Energiesparen aufgerufen werden, während die Industrie weiter Grundwasser abzapft, als gäbe es kein Morgen, und dazu Energieunternehmen noch mit Geld aus der Gasumlage überschüttet werden, um ja an ihrem Geschäftsmodell festzuhalten. Auch dass der »persönliche CO2-Fußabdruck« zuerst von der PR-Abteilung des Ölkonzerns BP ersonnen wurde, um von den Hauptverursachern der Klimakatastrophe abzulenken, hat sich inzwischen herumgesprochen, und die Appelle an die Eigenverantwortung kennt man nicht erst seit dem Beginn der Pandemie als hohle Phrase aus der Politik. Um aber im Bild zu bleiben: Wenn die Regierung sich weigert, ihre Arbeit in Sachen Pandemiebekämpfung zu machen, ist es trotzdem sinnvoll, weiterhin eine Maske zu tragen. Und ebenso vernünftig ist es, den privaten Verbrauch auf den Prüfstand zu stellen, auch wenn das ­allein nicht die Welt retten wird.

Leider machen viele Linke das beliebte Spiel mit, die soziale gegen die ökologische Frage zu stellen. Gerne wird etwa plakativ der Hartz-IV-Bezieher bemüht, dem vegane Mittelschichtskids nicht mal das Billigfleisch von Discounter gönnen – eine Kritik, die zwar nicht ganz unberechtigt ist, aber auch nicht in Frage stellt, dass Menschen sich von dem ernähren sollen, was gerade noch als zu gut für die Verwurstung durchgeht. Auch die Ausbeutung der armen Schweine in den Schlachthöfen – und damit sind nicht die Tiere gemeint – wird ausgeblendet, die neben Subventionen für die Fleischindustrie dafür sorgt, dass das Schnitzel absurderweise billiger ist als vegetarische Alternativen zum Fleisch, die aus den Ausgangsstoffen für die Tiermast hergestellt werden.

Man wird den Verdacht nicht ganz los, dass der Billigfleisch-Hartzer gerne vorgeschoben wird, um den eigenen (Mittelschichts-)Konsum zu rechtfertigen: ein Dummy-Argumernt wie die alleinerziehende Krankenschwester aus dem abgelegenen Dorf, die stets herhalten muss, wenn es gegen eine Verkehrswende geht; dass man den ÖPNV auf dem Land ausbauen könnte und müsste, kommt da schon gar nicht mehr in den Sinn.

Erhellender ist der Blick auf eine Studie der NGO Oxfam, die vor zwei Jahren die konsumbedingten Emissionen verschiedener Einkommensgruppen in der EU zwischen 1990 und 2015 untersucht hat. Demnach waren in dieser Zeit die reichsten zehn Prozent für genauso viele Emissionen verantwortlich wie die ärmere Hälfte der EU-Bevölkerung; ­deren CO2-Ausstoß sank im Untersuchungszeitraum sogar um 24 Prozent.

Es lohnt sich also, den Fokus auf eben jenen Konsum zu lenken, den FDP und Co. so erbittert verteidigen – frei nach dem Motto »mein Haus, mein Auto, meine Jacht« –, während ein ressourcenschonender Lebensstil – vom Lastenrad bis zu einer fleischarmen Ernährung – gezielt als elitär hinstellt wird. Das lenkt ganz wunderbar von Unternehmensgewinnen, Luxusvillen und Privatjets, also dem wirklich elitären Konsum, ab. Klimagerechtigkeit heißt eben auch Umverteilung.

Die Frage, wer zuallererst verzichten sollte, wäre also geklärt – ohne dass dies ein Freibrief für den Überkonsum der Normalverdienenden sein soll. Nein, der Billigflug nach Malle ist kein Menschenrecht.

Zusätzlich kann auch noch beantwortet werden, worauf anstelle von Heizen, bezahlbaren Lebensmitteln, Schwimmbädern, günstigem ÖPNV und einem bewohnbaren Planeten unbedingt sofort verzichtet werden sollte: auf ein Steuersystem, das Vermögen und Unternehmensgewinne verschont; auf von Autos verstopfte Städte; auf die Einfamilienhaus-Horrorshow samt Schotterbeet und Plastikswimmingpool und den verschwenderischen Umgang der Industrie mit fossilen Brennstoffen – all das abzuschaffen, wäre ein Gewinn, kein Verlust. In diesem Sinne sollten die linken Minimalforderungen für einen »heißen Herbst« lauten: Eat the rich und her mit dem guten Leben.