US-Präsident Joe Biden präsentierte sich in seiner Rede an die Nation angriffslustig

Dark Brandon schlägt zurück

Vor den Zwischenwahlen zum US-Kongress präsentiert sich Präsident Joe Biden angriffslustig.

Joe Bidens neuer Politikstil sticht regelrecht ins Auge. Als der US-Präsident sich am Donnerstag voriger Woche in Philadelphia an die Nation richtete, war die Bühne dunkelrot ausgeleuchtet, das Licht strahlte den Präsidenten von unten an. Im Hintergrund hielten zwei Marinesoldaten vor dem Tor der Independence Hall Wache, dem Gebäude, in dem 1776 die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet worden war. Trotz dieses gut gewählten Ortes wirkte es auf den Fernsehbildern so, als würde Biden direkt vom Schlund der Hölle zugeschaltet oder aus dem Hauptquartier eines Filmbösewichts.

Bewusst sollte dieser Eindruck kaum erweckt werden – als am Ende die Kamera herauszoomte, konnte man erkennen, dass eine blaue und eine weiße Lichtsäule die Bühne flankierten. Für das anwesende Publikum wirkte die Szenerie also wohl weit weniger bedrohlich. Trotzdem stürzte man sich im Internet umgehend auf die unfreiwillig komischen Fernsehbilder und produzierte unzählige Memes. Die Persiflagen reihen sich in einen größeren Trend in den sozialen Medien ein: Memes zu »Dark Brandon« – einem Schmähnamen aus dem rechten Mikro­kosmos, der Bidens dunkle Seiten ­herausstellen soll. Die bearbeiteten Bilder zeigen ihn mit Augenklappe oder rot leuchtenden Augen. Selbst höhere Beamte des Weißen Hauses teilten solche Darstellungen, die auf den ersten Blick so gar nicht zu dem onkelhaften US-Präsidenten zu passen scheinen.

Doch zuletzt schien sich Bidens öffentliches Auftreten immer mehr den Memes anpassen zu wollen: Biden, der einst mit dem Versprechen zur Wahl antrat, die zerrissene US-Gesellschaft wieder zusammenzuführen, teilt inzwischen kräftig gegen seine politischen Gegner aus. »Donald Trump und die Maga-Republikaner repräsentieren einen Extremismus, der das Fundament unserer Republik bedroht«, sagte er bei seiner Rede am Donnerstag voriger Woche. »Maga-Republikaner respektieren unsere Verfassung nicht, sie re­spektieren nicht den Willen des Volkes.« Der rechte Flügel der Republikanischen Partei wolle das Land in die Vergangenheit führen und die Ehe für alle ebenso abschaffen wie den Zugang zu Verhütungsmitteln. Diese Kräfte verherrlichten Gewalt und autoritäre Führer.

So deutliche Worte ist man von Biden nicht gewohnt. Die neue Angriffslust geht mit politischen Erfolgen einher: Biden war es gelungen, den demokratischen Senator Joe Manchin um­zustimmen und damit ein, wenn auch abgespecktes, Umweltinvestitionsgesetz durch beide Kammern des Kongresses zu bringen. Mit einem im August unterzeichneten Dekret erließ Biden zudem Millionen College-Absolventen einen Teil ihrer Studienkredite. Dass Russlands Überfall auf die Ukraine auch dank US-amerikanischer Waffenlieferungen stockt, während vormals neu­trale Staaten der Nato beitreten, lässt ­Biden außenpolitisch führungsstark wirken. Die US-Wirtschaft ist zwar weiterhin von Inflation geplagt, doch größere Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt konnten bisher verhindert werden.

Bei den Wählern kommt »Dark Brandon« gut an: Im August wuchs die Zustimmung zu Bidens Politik um sechs Prozentpunkte im Vergleich zum Vormonat; noch immer aber liegt die Zustimmungsrate unter 50 Prozent. Bei mehreren Wahlen schnitten seine Demokraten unerwartet gut ab, zuletzt bei den Sonderwahlen um Alaskas Sitz im Repräsentantenhaus. In dem tief konservativen Bundesstaat gewann die demokratische Kandidatin Mary Pel­tola überraschend gegen die vormalige Gouverneurin und Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin. Der große Stimmungstest steht mit den Zwischenwahlen zum Kongress im November jedoch noch bevor. Da die Partei des jeweiligen Präsidenten bei diesen ersten Wahlen nach dessen Amtseinführung regelmäßig starke Verluste einfährt, galt ein Sieg der Republikaner lange Zeit als sicher.

Entsprechend siegessicher gaben sich die US-Konservativen. Seit Monaten planen sie offen, welche Untersuchungs­ausschüsse sie einsetzen würden, sollten sie eine Mehrheit im Kongress erreichen. Selbst ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden – mit welcher Begründung ist noch unklar – wäre dann nicht ausgeschlossen. Den siegesgewissen Republikanern wurden jedoch von unerwarteter Seite Steine in den Weg gelegt: Die Entscheidung des ­konservativ dominierten Obersten Gerichtshofs, das landesweite Recht auf Abtreibungen zu kippen, mobilisiert vor allem Wählerinnen in Scharen. Weite Teile der Republikaner wirken zudem weit entfernt von der Lebensrea­lität der Bevölkerung. Während die Immobilienpreise so stark steigen, dass selbst die untere Mittelschicht Obdachlosigkeit befürchtet, reden die Kan­didaten der Republikaner am liebsten über die ihnen angeblich gestohlenen Wahlen 2020 und Transfrauen, die in Frauenmannschaften Sport betreiben.

Selbst Mitch McConnell, Fraktionsführer der Republikaner im Senat, musste zugeben, dass es immer unwahrscheinlicher werde, bei den Kongresswahlen Mehrheiten in beiden ­Parlamentskammern zu erringen. »Die Qualität der Kandidaten spielt eine große Rolle«, sagte er Mitte August vor Verbündeten – eine kaum versteckte Anspielung auf die zahlreichen ebenso extremistischen wie politisch unerfahrenen Kandidaten, die mit Unterstützung des ehemaligen Präsidenten ­Donald Trump Vorwahlen gewinnen konnten. Nach derzeitigem Stand der Umfragen wird erwartet, dass die Demokraten zwar den Senat knapp halten können, jedoch die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren werden. Die Demokraten könnten dann weiterhin Bundesrichter ernennen, die Republikaner könnten den Gesetzgebungsprozess aber effektiv blockieren. Biden müsste dann mit Exekutivanordnungen am Parlament vorbei regieren oder den Kompromiss mit den Republikanern suchen. Die Zeiten des neuen, ­aggressiven »Dark Brandon« könnten dann schnell wieder vorbei sein.