Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt hat jetzt seinen eigenen Youtube-Kanal

Enthüllung! Hetze-Reichelt will im Internet Millionen scheffeln!

Der ehemalige »Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt versucht, seinen alten Arbeitgeber in Sachen Krawallpopulismus zu überflügeln.
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Wer in Berlin derzeit auf Arbeitssuche ist, kann bei Linkedin auf folgendes Angebot stoßen: »Wir machen einen neuen emotionalen, täglichen Meinungstalk und suchen Dich!« Es stammt vom ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, der damit ein Inserat seiner Firma Rome Medien GmbH bewirbt. Mit dem Unternehmen produziert Reichelt seit April seine eigene Youtube-Sendung, »Achtung, Reichelt!«. Der Selbstbeschreibung nach halten sich die Macher für den »schärfste Wider­sacher von Spin, erdrückenden Narrativen, Ideologien, Bigotterie und Scheinheiligkeit in der Politik«. Tatsächlich handelt es sich bei dem Kanal allerdings eher um das klägliche Residuum, das übrigbleibt, wenn man Bild nimmt und das Kapital abzieht.

Einst brachte Reichelt mit seiner Fliegerbrille und dem stets zu weit geöffnetem Hemd noch etwas Zuhälterflair auf die Cocktailpartys der deutschen Prominenz. Seine Karriere war vorgezeichnet. Vater: Bild-Redakteur, Mutter: Bild-Volontärin. Heute unterhalten die beiden Globulix, das »Nr. 1 Online Magazin für Homöopathie und sanfte Medizin«. Kurz nach seinem Abi fand auch der junge Julian den Weg in Springers Arme. Nach einem Volontariat 2002 folgte ein Werdegang unter anderem als Kriegsberichterstatter, schließlich wurde er 2017 Chefredakteur. In seiner Amtszeit sank die verkaufte Print­auflage um mehr als eine halbe Millionen Exemplare, wenn auch der Internetauftritt der Zeitung inzwischen relativ erfolgreich ist. Doch weder die sinkende Auflage noch die zahlreichen Rügen des Presserats wurden Reichelt zum Verhängnis. Der Rauswurf aus dem Springer-Blatt erfolgte, weil er wiederholt sexuelle Beziehungen mit Mitarbeiterinnen hatte. Ihm wurde in diesem Zusammenhang Machtmissbrauch vorgeworfen.

Seinen Rausschmiss aus der »Bild«-Redaktion hat Reichelt genutzt, um sich als Opfer finsterer Kräfte zu inszenieren.

Seit April schimpft Reichelt nun in seinem eigenen Kanal darüber, dass die Grünen die Deutschen hungern und im Müll wühlen ließen, über die »übelste Impf-Drohung« von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Umsturzpläne angeblicher »Klima-Terroristen«. Viel Neues hat Reichelt nicht zu bieten, die Themenwahl, Anreißer und sogar die Thumbnails sehen aus wie von Bild kopiert. Reichelt hat sein ganzes Berufsleben bei Springer verbracht, das merkt man. Man kann Reichelt aus der Bild kriegen, aber nicht die Bild aus Reichelt.

Dabei gibt er sich große Mühe, so etwas wie der deutsche Tucker Carlson zu werden. Dieser ist mit seiner wochentäglichen Abendsendung auf Fox News der derzeit wohl erfolgreichste politische Kommentator in den USA. Als Trump-Fan der ersten Stunde verkörpert er den nationalistischen Kulturkampf der US-Rechten wie kein Zweiter. Offensichtlich versucht Reichelt, Carlsons Habitus und Rhetorik zu kopieren. Die direkte Ansprache ist ein häufiges Stilmittel: »Sie werden es nicht glauben, weil man Ihnen jahrelang das genaue Gegenteil erzählt hat.« Wie Tucker Carlson ist Reichelt während seiner Sendung in erster Linie sarkastisch, voller gespieltem Unglauben darüber, was sich arrogante Politiker und durchgeknallte, linksliberale Eliten jetzt schon wieder an Verrücktheiten haben einfallen lassen, um die armen einfachen Menschen zu piesacken. Im Gegensatz zum charismatischen Vollprofi Carlson gibt Reichelt jedoch einen eher lausigen Nachrichtensprecher ab.

Ganz allein muss Reichelt seine Sendung freilich nicht machen. Er wird von einem kleinen Team unterstützt. Eine Mitarbeiterin ist sogar freiwillig von ihrem Posten bei Bild zu Reichelts rechtspopulistischem Boulevard-Start-up gewechselt: Judith Sevinç Basad begründete ihren Wechsel damit, die Zeitung habe sich von der »inhaltslosen Propaganda einer woken Minderheit in die Knie zwingen« lassen.

Wenig später verließ auch Ralf Schuler die Bild-Zeitung mit der abwegigen Begründung, diese sei »woke« geworden. Als Leiter der Parlaments­redaktion war er deutlich prominenter als Basad. Bild habe sich die »Agenda der LGBTQ-Bewegung zu eigen« gemacht, schrieb Schuler in einem offenen Brief.

Abgesehen von dem optisch relativ professionell gemachten Anschein ­einer Nachrichtensendung unterscheidet sich Reichelts Auftritt kaum von den typischen Youtube-Formaten, in denen ein einzelner Mann erregt in die Kamera monologisiert. Nur manchmal hat er auch Gäste zugeschaltet. Der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) durfte bei ihm über die Energiepolitik schimpfen, Ikke Hüftgold seine musikalischen Verbrechen verharmlosen (er hat das Lied »Layla« produziert) und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) mit gläsernem Blick über die Grünen ­lamentieren. Reichelt hat eben so einige Telefonnummern und manche heben offenbar noch ab.

Gerne gibt Reichelt den Anwalt der sogenannten einfachen Leute. Die Hemdsärmeligkeit, mit der er schon als Chefredakteur der größten Zeitung Deutschlands auftrat, hat nun eine glaubhaftere Grundlage. Seit er seinen Posten los ist, kann er als Deklassierter zu den Deklassierten sprechen. Seinen Rausschmiss aus der Bild-Redaktion hat er von Anfang an genutzt, um sich als Opfer finsterer Kräfte zu inszenieren. Der Zeit sagte er damals, es habe einen »Vernichtungsfeldzug« gegen ihn gegeben, die Entlassung sei ein »Appeasement gegenüber Gruppen, die seit Jahren ganz intensiv meinen Kopf wollten«.

Gegen diese Gruppen kann er jetzt weiter vom Leder ziehen, um sich und alle anderen vermeintlichen Opfer zu rächen. Es bleibt jedoch offen, ob er sich damit gegen die Konkurrenz durchsetzen kann. Ähnliche Inhalte können sich seine Zuschauer auch bei Bild TV zu Gemüte führen, das ebenfalls auf Youtube zu finden ist. Und für diejenigen, denen selbst die pseudoseriöse Aufmachung von Reichelts Sendung eine unnötige Konzession an das Establishment ist, gibt es etliche Kanäle, die noch deutlich härter drauf sind. Reichelt steht allerdings auch noch am Anfang seiner neuen Karriere als selbstständiger Populismusunternehmer – wer weiß, was da noch kommt.