Der neue Film von François Ozon ist eine gelungene Hommage an Fassbinder

No Woman, Still Crying

Nicht zum ersten Mal hat François Ozon sich an einen Stoff von Rainer Werner Fassbinder gewagt. Sein neuer Film »Peter von Kant« ist ein Remake von »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« – aber mit Männern statt wie bei Fassbinder mit Frauen.

Köln, 1972, in einem geräumigen Loft: Der Filmemacher Peter (Denis Ménochet) erwacht aus seinem Schlaf, diktiert seinem hörigen und ihn begehrenden Assistenten Karl (Stéfan Crépon) einen Brief und bekommt dann Besuch von der Schauspielerin Sidonie (Isabelle Adjani). Die beiden plaudern, er erzählt oder besser philosophiert über seine letzte Beziehung (die natürlich sehr unglücklich zu Ende ging), um dann ein Klingeln an der Tür zu hören. Vor dieser steht ein junger Mann, ein Bekannter seiner Freundin Sidonie. Der Regisseur lädt den 23jährigen Amir (Khalil Gharbia) für den kommenden Abend zu sich nach Hause ein. Er verliebt sich in ihn und will aus ihm einen Star machen.

Ein paar Monate später ist von der Verliebtheit nicht mehr viel übrig: Amir geht dauernd fremd, lümmelt ansonsten nur herum und ist von ­Peter karrieretechnisch nicht mehr abhängig, nachdem er in einem Film von ihm brillierte. Außerdem schläft er immer wieder auch mit Frauen. Die beiden trennen sich, doch Peter kommt über das Ende der Beziehung nicht hinweg. An seinem Geburtstag leidet er besonders, für seine Gäste hat er nur Verachtung übrig. Als er sich später beruhigt und zu seinem Assistenten Karl, den er die ganze Zeit nur wie Dreck behandelt hatte, zärtlich wird, will auch der nichts mehr von Peter wissen.

Indem Ozon aus Petra Peter macht und ihn zum Regisseur kürt, wird sein Film zu einem Porträt über das Filmemachen.

Diese schmonzettig anmutende Geschichte ist der Plot des neuen Films von François Ozon, der in diesem Jahr die Berlinale eröffnete: »Peter von Kant« heißt er, benannt nach seiner Hauptfigur. Zwar weint auch Peter bitterlich, seine Tränen haben es aber anders als in der Vorlage für Ozons Film nicht in den Titel geschafft: »Peter von Kant« ist ein ziemlich genaues Remake von Rainer Werner Fassbinders Film »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« von 1972, nur eben mit Männern statt mit Frauen. Im Fassbinder-Film verliebt sich nämlich die Modedesignerin Petra (Margit Carstensen) unglücklich in das Model Karin (Hanna Schygulla), während sie ihre Assistentin Marlene (Irm Hermann) links liegen lässt.

Das erste Mal ist es nicht, dass sich Ozon an Fassbinder heranwagt. Ozons dritter Film, »Tropfen auf heiße Steine« (»Gouttes d’eau sur pierres brûlantes«) von 2000, ist eine Adap­tion des gleichnamigen zweiten Theaterstücks von Fassbinder, das dieser bereits 1966 als 21jähriger schrieb und mit dem Untertitel »Eine Komödie mit pseudotragischem Ende« versah. Lustig geht es dort aber nicht wirklich zu: Der 50jährige Léopold spricht den fast 30 Jahre jüngeren Franz auf der Straße an und die beiden ziehen zusammen und werden ein Liebespaar. Doch das Glück währt nicht lang: Léopold ist ein Tyrann, der bisexuelle Franz sehnt sich nach seiner Frau, und der Gruppensex, in dem sich die beiden schließlich wiederfinden, endet im Desaster.

Während »Tropfen auf heiße Steine« im kleinbürgerlichen Milieu spielt, ist die titelgebende Petra aus den »Bitteren Tränen« eine Dame von Welt. 1975 drehte Fassbinder einen weiteren Film mit homosexu­ellen Hauptfiguren. In »Faustrecht der Freiheit« geht es um den jungen schwulen Proletarier Franz »Fox« Bieberkopf, der im Lotto gewinnt und daraufhin von seinem Liebhaber nach Strich und Faden ausgenutzt wird.

»Die bitteren Tränen« war zwar nicht der erste Film in der Bundesrepublik, der sich mit Homosexualität beschäftigte, nach Rosa von Praunheims »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« von 1971 aber derjenige, der sich durchaus im Geiste Praunheims mit als erstes an der homosexuellen Subkultur abarbeitete. »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« ist kein schöner Film: Er ist sarkastisch, grotesk, schrill, schwülstig, camp. Seine Figuren sind nicht sympathisch, ihr Lesbischsein in dem Sinne kein Thema. Kurz: Es ist kein Film, der für positive Repräsentation oder »Empowerment« taugt. Es ist stattdesseneine erbitterte Darstellung dessen, wie Liebe einen Menschen zerstören kann.

Auch Ozons Remake ist spröde und für Identitätspolitik nicht zu gebrauchen. Indem er aus Petra Peter macht und ihn zum Regisseur kürt, wird sein Film vielmehr zu einem Porträt über das Filmemachen. Als Peter und Amir ihr erstes Date haben, macht Peter einen Screen Test mit ihm und fragt ihn über seine Jugend aus, während die Kamera jede Veränderung in seinem Gesicht registriert. Das ist der Moment, in dem Peter ihm verfällt – und gleichzeitig arbeitet. Die libidinösen Beziehungen, die vor und hinter der Kamera wie zwangsläufig entstehen (Peters Wand hinter dem Bett ziert ein überlebensgroßes Porträt von Sidonie, die auch in seinen Filmen spielte), werden hier gestreift – vielleicht auch ein subtiler und offener Kommentar auf die »Me too«-Bewegung.

Doch in gewisser Hinsicht verpasst Ozon mit seinem Remake auch eine Chance: Als der Film angekündigt wurde und man die ersten Bilder zu sehen bekam, hätte man auch ­annehmen können, dass »Peter von Kant« nicht einfach den alten Fassbinder-Film rekonstruiert, sondern vielmehr ein fiktiver Blick hinter die Kulissen der Dreharbeiten zu »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« sein würde. Diese Dreharbeiten, die nur neun Tage dauerten, geben nämlich so einiges an Material für einen skurrilen Film her. In dem Dokumentarfilm »Fassbinder« von 2015 erzählte die Petra-Darstellerin Margit Carstensen, dass es sich bei dem Film um eine »Analyse von Rainers Liebesleben« gehandelt habe, was ihr, die relativ neu zum Kreis um den Regisseur dazugestoßen war, zunächst nicht klar war. Wie eine perverse Familienaufstellung funktioniert Fassbinders Film, in dem alle Figuren Menschen aus seinem Leben repräsentierten – Carstensen als Petra war »der Rainer«, wie sie es, immer noch überrascht, ausdrückt. Einmal gab er ihr direkt vor dem Dreh einen neuen Text, den sie innerhalb von Minuten lernen musste.

Auch Irm Hermann, deren Figur, die masochistische Marlene (der ­sogar der ganze Film gewidmet ist), in den gesamten 124 Minuten kein einziges Wort spricht, hatte in der Doku einiges an Leid zu klagen: Fassbinder habe sie »unheimlich fertiggemacht«, wegen ihrer Tränen musste der Maskenbildner sie immer wieder nachschminken. Vor versammelter Mannschaft plauderte Fassbinder Intimitäten über Hermann aus, was sie in eine Stimmung versetzte, die »total deprimierend« war. Und Kameramann Michael Ballhaus, der später in Hollywood reüssierte, hatte mit dem kleinen Raum zu kämpfen, der als einziger Drehort fungierte und den er bis zum letzten Millimeter ausreizte.

Ein Film über den Widerspruch, dass Fassbinder sich selbst als zartes Wesen sah, das eine Geschichte über hoffnungslose Liebe erzählt, sich aber während der Arbeit wie ein Schwein verhält, wäre sehr sehenswert gewesen. Ozon tippt das sogar an: In einem Dialog gegen Ende des Films sagt Sidonie zu Peter: »In deinen Filmen bist du auf der Seite der Schwachen. Aber im Leben gilt das Faustrecht. Großer Filmemacher, aber menschliches Miststück.«

Doch Ozon will, obwohl sein Peter augenscheinlich an Fassbinder angelehnt ist und dabei eben wahrlich nicht sympathisch rüberkommt, dem Regisseur und seinem Film huldigen. Dabei konzentriert er sich ­allerdings auf inhaltliche, nicht auf formale Aspekte. Wurde bei Fass­binder absichtlich gekünstelt gespielt, spielen die Darstellerinnen und Darsteller bei Ozon ganz naturalistisch. Auch das enge Set von Fass­binder nimmt Ozon nicht auf, sein Drehort ist groß und offen. Wenn man jedoch in einer Ecke ein paar Schaufensterpuppen sieht, wie sie auch in der Wohnung der Modedesignerin Petra herumstehen, fragt man sich doch, ob das nicht zu viel des Guten ist. Auch der Auftritt von Hanna Schygulla, die nun nicht mehr die Geliebte wie bei Fassbinder, sondern die Mutter von Peter mimt, ist am Ende zwar schön anzusehen, aber nicht besonders aufregend. Mehr als eine Hommage, als eine Erinnerung, will »Peter von Kant« allerdings auch nicht sein – und das macht den Film dann doch wieder so angenehm.

Peter von Kant (F 2022). Buch und Regie: François Ozon. Darsteller: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Gharbia, Hanna Schy­gulla, Stéfan Crépon. Filmstart: 22. September