Homestory

Homestory #48

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Da Telefonzellen häufiger als Ziel von Vandalismus dienen, als sie tatsächlich in ihrem ursprünglichen Sinn benutzt werden, kündigte die Telekom an, bis 2025 auch die letzten Exemplare abzubauen. Wie viele von ihnen überhaupt noch stehen, weiß das Unternehmen selbst nicht genau zu beziffern und schätzt ihre Anzahl in Hamburg beispielsweise auf 400 bis 600. Während in Berlin bis heute ab und zu noch der bekannte gelbe »Fernsprechkiosk«, wie die Einquadratmeterhäuschen zum Zeitpunkt ihrer Einführung 1881 noch hießen, zu sehen ist, waren die letzten Kabinen vor einigen Jahren in Hamburg flächendeckend durch lediglich spärlich überdachte, freistehende Pfosten mit Telefontastaturen abgelöst worden. Den Austausch der knubbeligen gelben Zellen durch die mausgrau-magentafarbenen Gestelle fand eine Jungle World-Mitarbeiterin besonders doof. Früher war die Telefonzelle in der Provinz an Wochenenden im Winter der gemütlichste Ort für ein gemeinsames Stehbier mit viel Körperkontakt. Nostalgisch erinnert man sich an die silbernen Tasten unter den Fingern oder, noch früher, an das Klacken der Wählscheibe und den Geruch nach kaltem Rauch in den Kabinen, die man in den Achtzigern in Westberlin aufsuchen musste, wenn man wollte, dass einem in den Altbauten jemand die Tür öffnet – denn Klingelschilder gab es nicht.

Manch eine in der Redaktion wünscht sich Telefonzellen als Druckkabinen für Handysüchtige in die Clubs und Kneipen, wo dann nur dort das Mobiltelefon funktioniert und der Tresen wieder smombiefreie Zone wird. Natürlich wurden die Telefonzellen, schon bevor es Handys gab, oft zweckentfremdet oder für kriminelle Machenschaften eingespannt, als Druckkabinen im eigentlichen Sinne benutzt oder als Übergabeorte für heiße Ware. Auch die Geschichte der militanten Linken wäre ohne Telefonzellen eine andere, ist man sich in der Redaktion sicher. Und nicht nur die RAF oder Kleindealer nutzten die Telefonzellen für klandestine Kommunikation. Zum Ende der Ära der Telefonzelle sprach Roberto Jurkschat für den RBB mit »Dagobert«, dem berühmten Kaufhauserpresser, der Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger aus Ostberliner Telefonzellen anrief, weil deren Gespräche damals von der Polizei nicht so schnell nachverfolgt werden konnten.

»Die Einführung von Telefonkarten war schon der Anfang vom Ende«, sinniert ein Jungle World-Mitarbeiter, der sich Sorgen über die Generation Z, die Nachfolgenden und das kulturelle Wissen macht, das mit den Telefonzellen verloren geht. Wer wird in Zukunft noch verstehen, in was für einem komischen Kasten Bill und Ted durch die Zeit gereist sind?

In der Jungle World-Redaktion wurde vergangene Woche ungewöhnlich häufig die traditionelle Telefonkonferenz durch eine Videokonferenz abgelöst. Das lag weniger an dem langsam voranschreitenden Generationswechsel als vielmehr an den technischen Notwendigkeiten. Unser Redakteur Paul Simon war für eine Woche in Kiew und Strom und Internet haben zumindest manchmal funktioniert, so dass wir in Kontakt bleiben konnten. Von seinen Eindrücken berichtet er bei unser monatlichen Jungle Bar am 2. Dezember im Bajszel (Emser Str. 8–9, Neukölln). Zu Gast sind außerdem Elisabeth Wolf, die als Mitglied der Organisation Ukraine Solidarity Bus seit Februar zahlreiche Fahrten zur Lieferung humanitärer Hilfsgüter in verschiedene ukrainische Regionen unternommen hat, und die langjährige Russland-Korrespondentin der Jungle World, Ute Weinmann.