Die Debatte um den Begriff „Zivilisationsbruch“

Zivilisationsbruch und Empörung

Warum Annalena Baerbock den Holocaust mit ihrer Bemerkung über Putins Kriegsführung nicht relativiert hat.
Kommentar Von

Ende November sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Rand eines Treffens der Nato-Außenminister: »Dass der russische Präsident jetzt Kälte als Kriegswaffe einsetzt«, sei »ein brutaler Bruch nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit unserer Zivilisation«. Baerbock war die Empörung und Wut über die Kriegsführung Putins und die Leiden der ukrainischen Zivilbevölkerung anzumerken. Ihre Aussage schlug rasch hohe Wellen – was vor allem daran lag, dass sie verkürzt und nicht korrekt wiedergegeben wurde.

Jan Korte, der parlamentarische Geschäftsführer der »Linken« im Bundestag, gab sich auf Twitter empört: »Es reicht! Zivilisationsbruch ist eindeutig mit Shoa verknüpft. Seit Ernst Nolte gab es so eine Relativierung nicht mehr«; er forderte eine Entschuldigung. Ferdinand Knauß warf Baerbock in »Tichys Einblick« vor, den »eindeutig auf den Holocaust bezogenen Begriff ›Zivilisationsbruch‹« zu inflationieren, und auch Florian Warweg, Redakteur des Querfront-Blogs »Nachdenkseiten«, warf ihr die Relativierung des Holocausts vor. Es war eine bunte Truppe, die sich gegen Baerbock zusammengefunden hatte.

Der Begriff »Zivilisationsbruch« geht auf den Historiker Dan Diner zurück. Dieser schrieb in dem Buch »Gegenläufige Gedächtnisse«: »Zudem war Auschwitz deshalb ein Zivilisationsbruch, weil es sich um ein Verbrechen an der Menschheit insofern handelt, als Menschen einer Vernichtung ausgesetzt waren, die jenseits all dessen lag, was nach den Maßgaben utilitaristischer Rationalität und Selbsterhaltung der Handelnden sonsthin seine Schranken findet.« Als Deutschland im Zweiten Weltkrieg 1944 an allen Fronten verlor – Diner beschreibt das in seinem neuesten Buch »Ein anderer Krieg« (Jungle World 14/2021) –, wurden Truppen, Schiffe und Material eingesetzt, um die kleine jüdische Gemeinde von Rhodos in die Vernichtungs­lager zu transportieren: »Allen anderen Erwägungen widerstrebend, kam jenem Vorhaben offenbar Vorrang zu.«

Noch kein Abonnement?

Um diesen Inhalt zu lesen, wird ein Online-Abo benötigt::