Über den jüngsten Finanzskandal in der Krypto-Branche

Krypto-Crash und Altruismus

Der Bankrott der Kryptobörse FTX zeigt, wie anfällig der weitestgehend unregulierte Handel mit Kryptowährungen für Marktmanipula­tionen ist, mit denen Milliardengeschäfte gemacht werden können. Den Preis bezahlen Kleinanleger, die gezielt umworben werden, um das Geschäft am Laufen zu halten.

Die Meldung des Fachportals Coindesk vom 2. November 2022 war keine 500 Wörter lang, aber sie hatte es in sich: Sie sorgte nicht nur für den Zusammenbruch der weltweit drittgrößten Kryptobörse FTX, deren Wert noch 2021 mit 18 Milliarden US-Dollar beziffert worden war, sondern schickte den weltweiten Markt für Kryptowährungen in einen frostigen Winter. Der Gründer und Geschäftsführer von FTX, der 30jährige Sam Bankman-Fried, wurde mittlerweile wegen Finanzbetrugsdelikten angeklagt, denn er betrieb neben der Plattform FTX, auf der nach eigenen Angaben bis zu fünf Millionen Menschen Kryptowerte kauften und verkauften, noch den von ihm ebenfalls mitgegründeten Hedgefonds Alameda Research, der mit Kryptowerten spekulierte.

Wie Coindesk öffentlich machte, waren die beiden Firmen finanziell enger miteinander verwoben als zuvor bekannt: Ein Großteil der von Alameda Research gehaltenen Vermögenswerte in Höhe von knapp 14,6 Milliarden US-Dollar bestand demnach aus sogenannten Tokens, virtuellen Münzen, die FTX ausgegeben hatte – nach dem Kurs von Anfang November 2022 im Wert von mindestens vier Milliarden US-Dollar. FTX hat seine eigene private »Währung« ausgegeben, Alameda Research einen Großteil davon erhalten. Beide Seiten profitierten davon: Alameda konnte seine oft hochriskanten Investitionen finanzieren, und der Wert der FTX-Token wurde künstlich erhöht. Denn Alameda Research war zugleich der wichtigste market maker für FTX: Die Firma bot sich als Käufer und Verkäufer an, wenn Kunden von FTX ihre virtuellen Devisen handeln wollten. Damit hatte Bankman-Fried ein Modell geschaffen, das scheinbar wie aus dem Nichts Geld generierte, wobei es freilich mit den Ersparnissen unzähliger Anleger hantierte.

Die Kleinanleger stammen aus der gesamten Welt, doch das Krypto-Marketing richtete sich auch gezielt an ethnische Minderheiten in den USA.

Als die wirtschaftlichen Verhältnisse von Alameda Research bekannt wurden, geriet binnen kürzester Zeit auch FTX in Schieflage. Kunden versuchten, ihre an der Börse gelagerten Kryptowerte abzuziehen. Doch zu großen Teilen waren diese schon vor Monaten zu Alameda Research verschoben worden – am 11. November erklärte sich FTX für zahlungsunfähig. Mittlerweile sind FTX und Alameda bankrott. Die Kund:innen von FTX wissen nicht, ob sie ihre auf der Plattform eingelagerten Werte je zurückerhalten werden – am Donnerstag voriger Woche gab ihnen die Meldung Hoffnung, die Insolvenzverwalter hätten mindestens fünf Milliarden US-Dollar an Bargeld, Krypto­währungen und Wertpapieren im Besitz der Firma sicherstellen konnten.

Sam Bankman-Fried wurde Mitte Dezember auf den Bahamas verhaftet. »Die Finanzen seiner Ansammlung von Unternehmen sind so komplex und verwoben, dass große Teile davon ein Rätsel geblieben sind – selbst für die Anwälte, Finanzermittler und Veteranen der Konkursabwicklung, die jetzt die Kontrolle über sie übernommen haben«, kommentierte das Wirtschaftsmagazin Forbes bereits im November.

Der Kurs der wichtigsten Kryptowährung Bitcoin fiel infolge der Turbulenzen zwischen dem 4. und dem 9. November um zeitweise mehr als 27 Prozent. Danach erholte sich der Kurs zwar, aber die Handelsaktivität verringerte sich deutlich, und der Wert der Bitcoin bleibt derzeit mit etwas über 19 000 US-Dollar vom Allzeithoch von mehr als 67 000 US-Dollar im November 2021 weit entfernt.

Nicht nur die Kund:innen von FTX, sondern auch ein großer Teil der Kryptoinvestor:innen hatten also in den vergangenen Monaten mit herben Verlusten zu kämpfen. Wer aber sind die Menschen, die in Kryptowährungen investieren – oder besser gesagt damit zocken, denn eine Dividende gibt es nicht –, und warum machen sie das?

Das herauszufinden, ist bei Kryptowährungen schwierig, denn Anonymität ist eines der wichtigsten Prinzipien. Aber es gibt Indizien. Diese sprechen dafür, dass Digitalwährungen wenig mehr sind als eine Methode der Umverteilung von unten nach oben.

Sicher ist: Wer in Kryptowährungen investieren will, muss risikobereit sein. Die Preisschwankungen sind extrem und kaum mit der von Aktien oder anderen Anlageprodukten zu vergleichen. Bis heute gibt es nur wenige Verwendungsmöglichkeiten für Kryptowährungen, sie dauerhaft zu halten, ist letztlich eine Wette darauf, dass sie in der Zukunft an Bedeutung gewinnen und sich als Zahlungsmittel eta­blieren könnten, was dann beständige Nachfrage nach ihnen schaffen würde.

Einer Nutzerstatistik von FTX zufolge waren rund 71 Prozent der Nutzer männlich, mehr als die Hälfte war jünger als 35. Das liegt sicherlich auch an der Technikaffinität der jüngeren Generationen. Aber es ist auch genau jene Alterskohorte, die zumindest in den USA der Statistik der US-Notenbank zufolge immer größere Probleme hat, ein Vermögen aufzubauen. Als die Alterskohorte der sogenannten Babyboomer (in der Untersuchung definiert als die Geburtsjahrgänge 1946 bis 1964) so alt war wie die sogenannten Millennials (geboren 1981 oder später) jetzt, gehörte ihnen in den USA bereits ein Fünftel des nationalen Reichtums, bei den Millennials sind es heutzutage nur 6,5 Prozent.

Vermögen schnell zu vermehren, war lange ein Versprechen der Kryptowährungen – das sie zeitweise auch eingehalten haben. Kurssprünge von mehreren Hundert Prozent waren möglich. Ein Beispiel ist der ursprünglich als Parodie erschaffene Dogecoin, der seit Jahren von Elon Musk auf der Plattform Twitter beworben wird, was immer wieder sprunghafte Kurssteigerungen zur Folge hatte.

Die Werbekampagnen von FTX richteten sich gezielt an Kleinanleger. »You in?« fragten da Berühmtheiten wie das Model Gisele Bündchen von riesengroßen Plakatwänden. Kryptowährungen warben damit, dass jeder nur mit einem Smartphone zum Investor werden könne. Dass den Krypto-Markt dennoch weitestgehend einige wenige sogenannte Wale, also große Anteilseigner, bestimmen, wird dabei ausgeblendet. Deren Marktmacht ist oft so groß, dass sie durch Verfahren des pump and dump Werte erst künstlich aufblasen und kleinere Investoren anlocken können, um dann durch schnelle Verkäufe hohe Gewinne einzufahren. Die Anonymität und die fehlende Regulierung von Kryptowährungen im Vergleich beispielsweise zu Aktiengeschäften ermöglichen das.

Börsen wie FTX sind ein hervorragender Weg, um Kleinanleger in Massen zu gewinnen, ohne die solche Geschäftspraktiken nicht funktionieren würden. Viele von ihnen stammen aus der gesamten Welt, doch das Krypto-Marketing richtete sich auch gezielt an ethnische Minderheiten in den USA. »Krypto kann ein Treiber für antirassistische Gerechtigkeit sein«, lautete noch im Mai vergangenen Jahres der euphorische Titel eines Artikels im Boston Globe, verfasst von Cleve Mesidor, der Präsidentin des National Policy Network of Women of Color in Blockchain. »Für Menschen, die vom Mainstream-Finanzsystem ausgeschlossen sind, bieten Kryptowährungen eine neue Chance, Reichtum aufzubauen«, bewarb sie die Branche. Doch für viele endeten die Investitionen mit Verlusten. »Wahrscheinlich ist keine demographische Gruppe härter vom Krypto-Crash getroffen worden als schwarze US-Amerikaner«, schrieb nach den Kurseinbrüchen Ende November das Magazin The Atlantic. Schwarze US-Bürger besitzen seltener Aktien als der Durchschnitt der Bevölkerung, hätten aber besonders oft in Kryptowährungen investiert. Besonders fatal sei, dass viele von ihnen spät ins Geschäft einstiegen, als die Kurse bereits hoch waren, und dementsprechend besonders viel Geld verloren, als sie wieder einbrachen.

Der Krypto-Markt kommt weitestgehend ohne vermittelnde Institutionen wie Banken aus, die sonst für Privatanleger Investitionen in Aktien, Anleihen oder Fonds tätigen und sie dabei beraten. Auch mit diesen niedrigen Zugangsschwellen warb FTX. Wer schon drei Hypotheken hat und eigentlich tief verschuldet ist, dem wird kaum eine Bank ermöglichen zu investieren. Das Krypto-Casino aber hat die Pforten stets weit geöffnet.

Auch das Unternehmensmanagement der Kryptobörse FTX könnte man als anarchisch beschreiben. Die Erklärung, die der neu eingesetzte Geschäftsführer und Insolvenzverwalter der bankrotten Firma, John J. Ray III, vor Gericht abgab, liest sich streckenweise so, als wäre es ihm schwergefallen, die Contenance zu bewahren. »Noch nie in meiner beruflichen Laufbahn habe ich ein so vollständiges Versagen der Unternehmenskontrollen und ein so vollständiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen gesehen wie hier«, schrieb Ray.

Bis heute ist der Krypto-Markt weitestgehend unreguliert. Es gibt kaum Kontrollen über Kapitalflüsse oder Mindeststandards für den Anlegerschutz, beispielsweise eine Pflicht zur Aufklärung über Risiken. Vielen Verfechtern der Kryptowerte ist das recht, denn sie glauben, Kapitalismus brauche keinen Staat, dieser störe nur das freie Wirken der Märkte. Bitter ist das für die Kleinanleger.

Besonders ironisch wirkt es da, dass Sam Bankman-Fried der Bewegung des »Effektiven Altruismus« anhängt. Die Idee dahinter ist, rational zu kalkulieren, wie man in der Welt am effektivsten Gutes bewirken könne – was auch bedeuten kann, möglichst viel Geld zu verdienen, um es dann nach eigenen Gutdünken für Gutes zu verwenden, idealerweise ohne viel durch Steuern an demokratisch legitimierte Entscheidungsorgane abzugeben. Mit diesem Konzept des Effektiven Altruismus warb auch Bankman-Frieds Firma FTX.

Welche Spuren das FTX-Desaster langfristig in der Krypto-Branche hinterlassen wird, bleibt abzuwarten. Der Kurs der Bitcoin spricht eine eindeutige Sprache: Die Nachfrage hat rapide nachgelassen. Auch wenn sich Kryptowerte bislang nach jedem Crash wieder erholt haben, ist die Wette auf die Zukunft der digitalen Münzen derzeit so offen wie seit langer Zeit nicht mehr.