Der Siegeszug der Idee 2.0 in der Sprache

Nimm 2.0

Das letzte Wort. Wenn der Zeitgeist auf der Stelle tritt.
Das letzte Wort Von

»Version 2.0« heißt das zweite Studioalbum von Garbage, das im Jahr 1998 erschien. Der Titel war ein nicht allzu origineller Einfall einer nicht allzu originellen Rockband, aber immerhin war Digitalisierung vor einem Vierteljahrhundert noch ein relativ neues Phänomen. Software mit ihren charakteristischen Versionsnummern durchdrang erst allmählich den Alltag.

Bekanntlich ist nichts mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Das gilt besonders, wenn es sich um eine ebenso gehaltlose wie schlichte Idee handelt, die sich ohne den geringsten geistigen Aufwand endlos wiederverwerten lässt – eine Idee 2.0 sozusagen. Längst ist kein Halten mehr: Das Web 2.0 bringt eine Ökono­mie 3.0 hervor, in der die Industrie 4.0 gedeiht; man raunt vom Kalten Krieg 2.0; die Omikron-Variante sowie die Affenpocken wurden zur Pandemie 2.0 ausgerufen; der NSU 2.0 steht vor Gericht, während die »Letzte Generation« zur RAF 2.0 aufgebauscht wird, obwohl sie es bislang nicht über Puddingattentate 2.0 hinausgebracht hat; und selbst um einen Schein von Seriosität bemühte Akade­miker kommen sich nicht albern dabei vor, einen Historikerstreit 2.0 zu führen. Auf dem Buchmarkt sind Titel wie »Körper 2.0« und »Sterben 2.0« bereits kalter Kaffee, für 2023 an­gekündigt sind apartere Neuerscheinungen wie »Cybernetics 2.0«, »Wallerstein 2.0«, »Executive Search 2.0«, »Anwachsungsprinzip 2.0«, »Die Pascalsche Wette 2.0« und, nicht zu vergessen, »Maria feiern 2.0«.

Was will man uns mit all den Ziffer-Punkt-null-Wortbildungen sagen? Haben denn die Leute, die so etwas schreiben, nicht verstanden, wozu Versionsnummern eine Nachkomma-Null haben, nämlich damit dort nach dem nächsten Update etwas anderes als eine Null stehen kann? Ein Historikerstreit 2.5 mit erweiterten Features ist aber so wenig zu erwarten wie eine Industrie 4.183 mit zahlreichen Bugfixes.

Den Autorinnen und Autoren ist, so muss man annehmen, nicht unklar, sondern schlicht egal, dass es völlig widersinnig ist, ausschließlich ganzzahlig verwendete Pseudoversionsnummern mit dem Zusatz ».0« zu verzieren, dem schriftlichen Pendant einer Fensterglasbrille. Offensichtlich haben sie nicht zu befürchten, dass ihr Publikum sich von solcher Idiotie in seiner Intelligenz beleidigt fühlen könnte. Bescheuert, nicht bescheuert – darauf kommt es nicht an, sondern darauf, dass das jetzt eben als zeitgemäß gilt, es tech-savvy und irgendwie schlau aussieht und all die anderen Kinder, pardon: Publizierenden es ja auch so machen.