Margarethe von Trottas Film-Porträt von Ingeborg Bachmann ist kein düsteres Promi-Drama

Gebrochene Versprechen

Margarethe von Trottas neuer Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« erzählt die Geschichte einer Befreiung. Allerdings fehlt der Regisseurin Bachmanns Mut, auch die eigenen künstlerischen Mittel zu hinterfragen.

Noch während der Vorspann läuft, schrillt ein Telefon. Dann die Aufblende: Eine Frau im Nachthemd geht durch einen grauen Gang dem Klingeln entgegen. Am anderen Ende der Leitung das Lachen eines Mannes. Die Frau stellt Fragen, freundlich, aber bald verzweifelt, denn die Antwort ist ein immer lauteres hämisches Lachen.

Mit einer Traumsequenz beginnt Margarethe von Trottas Film über die österreichische Autorin Ingeborg Bachmann, großartig gespielt von Vicky Krieps. Der Traum ist ein unheimliches foreshadowing der Krise, auf die sich der Film konzentriert: Bachmanns Beziehung zu dem Schweizer Starautor Max Frisch (Ronald Zehrfeld), die 1958 als Romanze in Paris beginnt und fünf Jahre später schließlich katastrophal scheitert.

Beide sind auf dem Zenit ihres Erfolgs angekommen. Bachmann ist seit ihrem Gedichtband »Die gestundete Zeit« (1953) eine gefeierte Dich­terin; der 15 Jahre ältere Frisch hat mit dem Roman »Homo faber« (1957) ­einen literarischen Bestseller vorgelegt und ist insbesondere als Theaterautor bereits etabliert.

Wenn Bachmann bei einem Radio­interview postuliert: »Verdächtige die Worte, verdächtige die Sprache«, wirkt das fast schon wie eine Kritik an der Sprache des Films.

Von Trotta erzählt sowohl von der turbulenten Beziehung als auch von der Zeit danach in parallel montierten Szenesplittern. Frisch, der sesshafte Biedermann, ist kontroll- und eifersüchtig; Bachmann, die stets viele Lieb- und Freundschaften pflegte, will sich nicht festlegen und möchte eine offene Beziehung. Sie zieht zunächst zwar zu Frisch nach Zürich, erträgt die Enge der Alpenprovinz aber nicht lange und flieht nach Rom, ­ihrer erklärten Lieblingsstadt. Dort wohnt auch ihr bester Freund, der schwule Komponist Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz), der ihr das Verhältnis mit Frisch schon früh ausreden möchte. Die Beziehung hält noch eine Zeitlang, bis sie im Jahr 1963 endgültig gescheitert ist.

Die parallel geführte Handlung, die die Geschichte der zerfallenden Beziehung immer wieder unterbricht, zeigt die titelgebende Reise in die Wüste Ägyptens, die Bachmann ein paar Jahre später mit ihrem jüngeren Liebhaber, dem Autor Adolf Opel (Tobias Resch), unternimmt. Hier wird, wiederum in Momentaufnahmen und ohne kohärente narrative Bögen, eine ganz anders geartete Beziehung gezeigt: eine, die auf Solida­rität, Respekt und Offenheit beruht; die ein Glück in Aussicht stellt, mit dem die traumatisierte und immer mehr verstummende Autorin nicht mehr gerechnet hat.

Nach »Rosa Luxemburg« (1986), »Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen« (2009) und »Hannah Arendt« (2012) ist »Reise in die Wüste« von Trottas viertes Filmporträt einer Frau der deutschsprachigen Geistesgeschichte. Man könnte aber auch »Die bleierne Zeit« (1981) dazuzählen; der Film, mit dem von Trotta als erste Regisseurin den Hauptpreis der Filmfestspiele in Venedig gewann. Der Film schildert die politische und private Beziehung zwischen der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin und ihrer Schwester Christiane, die zu den Gründerinnen der feministischen Zeitschrift Emma gehört.

Von der Kritik wird teilweise moniert, dass die in Fragmenten gezeigte Liebesbeziehung zwischen Bachmann und Frisch viel zu blass und damit wenig überzeugend geraten sei, und mehr noch: dass sich die Darstellung von Frisch in hölzernen Klischees eines »toxischen« Künstler-Mannsbilds erschöpfe.

Tatsächlich betritt Frisch die Szenerie als ausgewiesener Mansplainer, der die Schriftstellerin sogleich fragt, ob sie einen Kinderwunsch habe, seinerseits aber eine wesentlich weniger grenzüberschreitende Frage von ihr ignoriert. Damit sind die Rollen schon mal verteilt. Der Auftritt des sich als Charmebolzen gerierenden Intellektuellenpatriarchen lässt ahnen, was folgen wird: Dominanz­gehabe, Eifersucht, Kontrolle.

Die entsprechenden Szenen werden fast routiniert abgehandelt. Das hat durchaus sein Gutes: Statt sich am Faszinosum eines von männlichen Besitzansprüchen geprägten Liebesdramas abzuarbeiten, entfernt sich der Film durch die parallel montierte Reise davon. Der leere Raum der Wüste dient dabei Metapher für das Unbekannte und Neue, das sich vielleicht am Horizont auftun könnte. Für diese Möglichkeit steht die Beziehungen zu Adolf Opel, aber auch die liebevoll inszenierte Freundschaft zu Hans Werner Henze.

Demgegenüber interpretiert von Trotta ihr Filmprojekt in dem kurz vor Drehbeginn erschienenen Interviewband »Gegenwärtig sein« (2022) mitunter ganz anders: »In meinem Film geht es um ein Versprechen, das nicht eingelöst wird. Das Versprechen, dass zwei Schriftsteller, zwei Künstler, miteinander leben können.« Im Verlauf der Produktion wurde dieses Versprechen offenbar von einem anderen durchkreuzt, nämlich jenem, die Konvention der bürgerlichen Zweierbeziehung verlassen zu können – zumindest entwickelt diese Idee eine gewisse Strahlkraft durch die lose Narration hindurch.

Von Trotta hätte gerne vor Drehbeginn Zugang zu dem Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch gehabt, der 2022 unter dem Titel »Wir haben es nicht gut gemacht« im Suhrkamp-Verlag erschienen ist (Jungle World 3/2023). Der Verlag verweigerte ihr die Einsicht allerdings. In der Rezeption wird seither das Bild von Frisch als Spießer und »Normalitätsterrorist«, wie Elfriede Jelinek einmal schrieb, revidiert und die gleichermaßen oft bediente Vorstellung von Bachmann als kranker und schwieriger Frau reaktiviert. Von Trotta kam wohl gar nicht erst in Versuchung, sich an Spekulationen über eine dunkle Promi-Lovestory zu beteiligen.

Bachmanns Schreiben – zitiert wird zum Beispiel ihre berühmte Rede »Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar« – kommt dadurch mehr zu seinem Recht, indem es nämlich nicht aus ihrer Biographie abgeleitet und somit (vulgär)psychologisch verkleinert wird. Der Film tappt nicht in die Falle, das Werk Bachmanns als Krankheitsgeschichte oder Liebesdrama zu deuten. Dabei hilft auch, dass Bachmanns Unfalltod durch einen Brand im Jahr 1973, der sensationslüstern und von Spekulationen über einen Suizid begleitet ausgeschlachtet wurde, im Film keine Rolle spielt. Der frühe Tod ist hier nicht der Fluchtpunkt, auf den alles zuläuft.

Im Bemühen, Bachmanns Werk und ihre radikale Poetik einzuflechten, treten allerdings die formalen Schwächen des Films umso deutlicher hervor. Wenn Bachmann bei einem Radiointerview postuliert: »Verdächtige die Worte, verdächtige die Sprache«, wirkt das fast schon wie eine Kritik an der Sprache des Films. Von Trotta hinterfragt ihre filmischen Mittel ganz und gar nicht. Der Film ist voller retro-romantischer Klischeebilder. Die Innenräume sind überladen mit Fünfziger-Jahre-Design. Jeder Schauplatz bekommt sein Kalenderbild: In Prag ist man auf der Karlsbrücke, in Paris im Bistro, in Zürich am See mit Alpenpanorama. So sehr jede Einstellung als Poster dienen könnte, so sehr klingt in beinahe jedem Klavieranschlag eine präformiert und generisch wirkende Melancholie an. Ein spielerisches Misstrauen gegenüber den eigenen Mitteln fehlt. Diese Ebene hätte dem Film aber gutgetan und wäre Bachmanns Schreiben nähergekommen.

Die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz nannte Bachmanns Roman »Manila« (1971) eine »künst­lerische Traumaforschung«. Es gehe darum, »semantische Transforma­tionen und grammatikalische Verschiebungen« vorzunehmen, um die in der Sprache ruhende patriarchale Macht als Erfahrung seiner stumm gemachten Opfer hörbar zu machen.

Das Telefonat aus der einleitenden Traumsequenz ist ein Bild für die subtilen Formen der Machtausübung in der Kommunikation. Das Klingeln dringt in den geschützten Raum des Privaten ein, ohne Körper und Stimme. Als Bachmann den ­Anruf annimmt, ist da zwar eine Stimme, aber sie muss sich nicht dazu herablassen, etwas zu sagen, sie schmäht ohne Worte. Der patriarchale Ruf ist nicht darauf angewiesen, sich direkt zu versprachlichen, er beherrscht die Sprache schon. Formal kann der Film die Erwartungen, die der furiose Auftakt weckt, nicht ganz einlösen, aber die erzählerische Konstellation verweigert sich zumindest den gröbsten Klischees und mündet in eine Offenheit, die sich zwischen Postkartenbildern, Stehlampen und spektakulären Naturpanoramen immer wieder auftut.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (D 2023). Buch und Regie: Margarethe von Trotta. Darsteller: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld. Filmstart: 19. Oktober