Maya Henson Carey, Analytikerin bei der Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center (SPLC), im Gespräch über die rechten Moms for Liberty in den USA

»Sie finden über ihren Hass auf Menschen zusammen«

In den vergangenen Jahren haben reaktionäre Aktivist:innen in den USA öffentliche lokale Foren wie Sitzungen von Schulausschüssen genutzt, um beispielsweise gegen die Verwendung von LGBT-Literatur in der Schule oder Geschichtsunterricht zum Thema Sklaverei vorzugehen. Infolgedessen wurden an Schulen Bücher verboten und Lehrpläne geändert. Aus den Gruppen der sogenannten Elternrechtsbewegung stechen besonders die stramm rechten Moms for Liberty (MFL) hervor, die Verbindungen zu führenden Politikern der Republikanischen Partei haben. Ein Gespräch mit der Analystin des Southern Poverty Law Center, Maya Henson Carey.
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Die Bewegung für sogenannte Elternrechte behauptet, sie wolle Kinder schützen, tatsächlich geht es ihr darum, ihre rechten Ansichten durchzusetzen. Woher kommt diese Art von Aktivismus in den USA?
Mich erinnert diese Bewegung sehr an die Zeit nach Brown v. Board of Education (dem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1954, das die Rassentrennung in öffentlichen Schulen beendete, Anm. d. Red.). Diejenigen, die die Segregation aufrechterhalten wollten, sagten damals, dass sie für ihre Rechte und den Schutz von Kindern kämpfen würden. Wir bezeichnen sie nicht als Elternrechtsgruppen, denn sie kämpfen nur für wenige Eltern und Schüler, in der Regel weiße und heterosexuelle. Wir bezeichnen sie als Antiinklusionsgruppen (anti-student inclusion groups).

Gibt es eine Verbindung zwischen den MFL und radikaleren oder neonazistischen Gruppen, die zum Teil ähnliche Forderungen stellen?
Die meiste Zusammenarbeit mit anderen extremistischen Gruppen findet auf lokaler Ebene statt. Vor allem in Florida gibt es enge Verbindungen zu den rechtsextremen Proud Boys, die MFL haben auch zur Durchsetzung von Bücherverboten mit constitutional sheriffs zusammengearbeitet (Bezirkssheriffs, die der rechten Miliz Oath Keepers nahestehen und die Ansicht vertreten, dass die US-Verfassung ihnen Befugnisse verleihe, die Vorrang vor denen der Bundes- und Landesregierung haben, Anm. d. Red.). Es gibt eine Konvergenz der Ideologien. Wir haben zuvor white nationalists, Immigranten- und Regierungsgegner getrennt betrachtet. Aber viele dieser Gruppen mit unterschiedlichen ideologischen Schwerpunkten finden über ihren Menschenhass zusammen. Die MFL sagen oft, sie duldeten keine Gewalt, aber sie teilen Anti-LGBT-Botschaften.

Das SPLC stuft die MFL als eine »Antiregierungsgruppe« ein. Warum fällt sie nicht unter Ihre Kategorien »Anti-LGBT« oder »Allgemeiner Hass«?
Wir stufen alle Gruppen, die wir beobachten, als Hassgruppen oder als regierungsfeindliche Gruppen ein. Bei den MFL haben wir viel diskutiert. Als regierungsfeindlich eingestufte Gruppen (antigovernment organizations, im US-Sprachgebrauch steht government für Legislative, Exekutive und Judikative gleichermaßen, Anm. d. Red.) verbreiten Verschwörungstheorien über eine tyrannische Regierung, die versuche, eine neue Weltordnung zu schaffen. Erzieher versuchten demnach, Kinder im Sinne einer radikal marxistischen Programmatik zu indoktrinieren. Es begann mit der Ablehnung der critical race theory, dann entwickelte es sich zu Bücherverboten, und jetzt geht es vorrangig gegen LGBT.

»Die Moms for Liberty sind sehr vorsichtig damit, was sie auf Bundesebene sagen. Ein großer Teil ihrer Belästigungen geht von den Ortsverbänden aus.«

Wie passt eine von Frauen geführte Organisation in eine Welt der Proud Boys, Incels oder Groypers – die Anhänger des rechtsextremen Aktivisten Nick Fuentes – und anderer Milieus, in denen extreme Frauenfeindlichkeit die Norm ist? Schaffen die MFL neuen Raum für Frauen in der extremen Rechten?
Ich glaube nicht, dass das ein neues Phänomen ist. Die MFL geben vor, harmlose Frauen zu sein, und nutzen erfolgreich die Elternrechtsbewegung. Manchmal sind auch Männer Vorsitzende, aber meistens sind es Frauen, die für ihr Recht kämpfen, ihre Kinder vermeintlich zu schützen. Nach der Abschaffung der Rassentrennung tauchten sogenannte Müttervereinigungen auf, die gegen die Desegregation vorgingen. Ihre Botschaft war auch, dass sie ihre Kinder vor dem Kommunismus schützen wollten, der mit der Integration die Schulen übernommen habe.

Beamte und Mitarbeiter der Schulaufsichtsbehörden werden nach Konfrontationen mit den MFL häufig belästigt oder bedroht. Begünstigt ihre Rhetorik dies?
Sie sind sehr vorsichtig damit, was sie auf Bundesebene sagen. Ein großer Teil der Belästigungen geht von den Ortsverbänden aus und es ist schwer, die fast 300, die es gibt, zu kontrollieren. Die Vorsitzende einer Ortsgruppe in Arkansas wurde verhaftet, weil sie einen Schulbibliothekar bedroht hatte, andere Ortsgruppen haben öffentlich Pädagogen und Politiker mit Drohungen überzogen. Aber die Bundesvorsitzenden der MFL verurteilen nichts davon, sie äußern sich nie zur Belästigung von Lehrkräften im öffentlichen Dienst. Auf Bundesebene wird vor allem die sogenannte Groomer-Rhetorik gefördert (die LGBT-Personen der Pädophilie beschuldigt, Anm. d. Red.). Viele Gewalttaten oder auch Bombendrohungen hängen mit dem Vorgehen der MFL gegen LGBT-Literatur in Schulen zusammen, von der sie behaupten, pornographisch zu sein und Kinder zu »groomen« (sie also so zu manipulieren, dass es zu ihrem sexuellem Missbrauch kommen kann, Anm. d. Red.).

Haben die MFL bestimmte Gesetzentwürfe befürwortet oder sogar beeinflusst?
Eine der Gründerinnen behauptet, dass sie einen Teil des »Don’t Say Gay«-Gesetzes in Florida verfasst habe, das die Thematisierung sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität im Unterricht bis zur dritten Klasse verbietet. Die MFL haben sich stark dafür eingesetzt. Es gibt auch Ortsverbände, die »legislative Tage« veranstalten, an denen Politiker Gesetzentwürfe und Durchführungsverordnungen vorstellen, die sehr eng an die Ansichten der MFL angelehnt sind. Manchmal muss man schon genau hinsehen, um zu erkennen, welche Seite die andere beeinflusst.

Warum waren die MFL bei den Wahlen zu den lokalen Schulräten so erfolgreich?
Sie haben das ganze vorherige Jahr eine konzertierte Aktion durchgeführt, bevor die Menschen auf sie aufmerksam wurden, um, wie man so schön sagt, die Schulräte umzukrempeln. Wir sehen Hass und Extremismus mittlerweile stärker in unserem Alltag und im Mainstream. Die MFL haben es darauf angelegt, in den Schulbehörden Fuß zu fassen, da es dann kaum noch eine Rolle spielt, ob die Mehrheit der Pädagog:innen, Eltern oder Gemeindemitglieder mit Bücherverboten oder ihrer Anti-Trans-Politik in den Schulen einverstanden ist.

Die MFL wachsen weiter, haben aber nicht die Mehrheit der Eltern auf ihrer Seite?
MFL und Gruppen wie diese sind eine reaktionäre Minderheit. Sie reagieren auf gesellschaftlichen Wandel, aber es gibt eine Reihe von Umfragen und Erhebungen, die zeigen, dass sie, was ihre Überzeugungen angeht, tatsächlich in der Minderheit sind. Die Mehrheit der Pädagog:innen, Eltern und Gemeindemitglieder lehnt Bücherverbote ab, befürwortet eine korrekte Vermittlung der US-amerikanischen Geschichte und die Akzeptanz von LGBT-Personen in den Schulen. Die MFL waren sehr erfolgreich dabei, in diese Bereiche vorzudringen, so dass sie weitreichende Änderungen für die Mehrheit der Eltern und Schüler:innen vornehmen können. Sie bekommen viel Aufmerksamkeit und sind normalerweise die lautesten Stimmen im Raum, aber sie sprechen keineswegs für alle.

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Moms for Liberty (MFL) ist eine Organisation in den USA, die auf die Schulpolitik einwirken will und in der Republikanischen Partei einflussreich ist. Sie setzt sich gegen Lehrpläne ein, die LGBT-Rechte, Ethnizität, »critical race theory« und Diskriminierung thematisieren, und dafür, Bücher aus Schulbibliotheken zu verbannen, die sich mit Geschlecht und Sexualität befassen. Die MFL unterstützen Kandidaten in lokalen Wahlen und fördern Kampagnen gegen Lehrer, Verwaltungsangestellte und andere politische Gegner. Die Gruppe wurde 2021 von drei Mitgliedern des Schulausschusses von Florida gegründet, entstand aus der Opposition gegen Gesundheitsvorschriften im Zuge der Covid-19-Pandemie und hat nach eigenen Angaben mittlerweile 285 Ortsgruppen in 45 Bundesstaaten. Das South­ern Poverty Law Center beschrieb die MFL als »rechtsextreme Organisation, die sich gegen die Integration von Schülern engagiert und sich selbst als Teil der modernen Elternrechtsbewegung« bezeichne. Sie wende sich gegen konsequent integrative Lehrpläne und setze sich für Bücherverbote ein, belästige dabei Eltern und erschwere die Ausbildung von Schüler:innen.