Auszug aus dem Roman »Tropicalia Passagen«

Tropicalia Passagen

Eine junge Musikerin, ein Einlagenhersteller, ein Literaturagent – diesen illustren Figuren begegnet man in der phantastischen Welt von Chrizzi Heinens Buch »Tropicalia Passagen«. Im ersten Kapitel lernen die Leser Mila kennen, die als DJ in einer Bar arbeitet und sich Gedanken über Sounds und ihre Wirkung macht.
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Mila
Mila stand auf einem prallgefüllten Umzugskarton. Mit den Fingerspitzen konnte sie die Zimmerdecke berühren. Ihre Altbauwohnung im Zentrum hatte sie gegen diese Keksdose am Stadtrand getauscht, in der obersten Etage des Hauses. Siebenundsechzig Meter über der Stadt. Mit dem Wohnberechtigungsschein war alles ganz fix gegangen. Den Mietvertrag letzte Woche unterschrieben. Die zwei quadratischen Fenster glichen Dichtungsdeckeln. Sie kniete sich auf den Heizkörper, öffnete ein Fenster, hielt sich mit beiden Händen am Fensterbrett fest und schaute nach unten auf die Straße, elf Stockwerke hinab. Der Wohnblock lag in unmittelbarer Nähe zur Hauptverkehrsstraße, die in die Autobahnauffahrt mündete.

Der Feierabendverkehr fegte die Autos aus der Stadt. Mit ihm kam der Verkehrslärm, der wie ein lautes Tier die Hausfassade hinaufschnellte. Fiele das Haus nach vorne, läge es bäuchlings auf der Straße und würde den Verkehr blockieren. Mit einem Hopser aus ihrem Fenster stünde Mila vor dem Supermarkt auf der anderen Straßenseite. Kippte das Haus nach hinten, würde es als langer Schlauch in das triste Viertel hineinragen. Der Fahrstuhl würde von rechts nach links über den Asphalt schleifen. Läge das lange Haus flach in der Horizontalen, würde der Straßenlärm durch die Currywurstbude, die Spielplätze und die Baumgruppe herausgefiltert. In der Vertikalen schienen sich Klangereignisse zu verstärken. Das hätte sie wissen müssen. Drei Nächte in der Woche hatte sie auf einer hohen Kanzel gestanden und harte Schallwellen auf eine Menschenmenge gefeuert. Die Gefühlslage ihrer Klienten akustisch tarierend. Damit alle bei Laune blieben und ihr Arbeitspensum erfüllten. Zum Wohle des täglichen Workflows.

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