Donnerstag, 10.11.2016 / 11:11 Uhr

Another 9. November

Von
David Reed

Der Tag beginnt wie die anderen davor, mit einer Mischung aus wachsender Angst und einer Hoffnung, die man sich kaum zu benennen traut. Ich schicke eine zweite Akkreditierungsanfrage für die Wahlparty der Demokraten, Betreff: „Pretty please“, poste meine Sorgen auf Social Media, finde Bestätigung und fühle mich weniger allein, aber ich schwitze noch. (Vielleicht, weil es heute so warm ist?)

Mein alter Freund J., von dem ich seit Jahren nichts mehr gehört habe, hat mich irgendwie ausfindig gemacht und ruft mich an. Er ist eingebürgert worden und hat gerade zum ersten Mal an einer Präsidentschaftswahl teilgenommen. Nicht, dass mich das nicht interessieren würde, aber das Erbe unserer Gründerväter sorgt dafür, dass alle Augen auf eine Handvoll Bundesstaaten gerichtet sind, und J. wohnt nicht in einem davon. Ich zwar auch nicht, aber ich gehe zum Wahllokal, fülle ein paar Kreise aus, lasse meinen Stimmzettel ins Wahlgerät gleiten und bin sehr stolz auf mich selbst.

Die Clinton-Kampagne reagiert nicht auf mein „Pretty please“. Ich mache mich trotzdem auf den Weg in die Innenstadt, stelle mich in einer Schlange um den Block in der Hoffnung, auch ohne Ticket reinzukommen. Ich habe Glück: R., der auch in der Schlange steht, hat eine Karte übrig und nach einer Stunde schaffen wir es durch die strenge Sicherheitskontrolle in die große Halle. Ich schreibe meinem Sohn, dass ich drin bin. Die Euphorie dauert nicht lange: Die Polizei schickt uns zurück nach draußen, zur „bloc party“, das heißt: zu den Leuten, die auf der Straße herumstehen. Dort ist die Vielfalt an Essensangeboten groß, aber R. beschließt, aus welchem Grund auch immer, weiterzuziehen, selbst  wenn kaum eine Chance besteht, dass irgendwo größere Bildschirme aufgestellt worden sind – das muss man den Organisatoren lassen.

Die Stimmung ist feierlich, aber dann geht es langsam los mit den schlechten Nachrichten, dem lauten Gelächter folgen allmählich düstere Blicke. Auf einer Bühne am Ende der Straße halten verschiedene mehr oder weniger berühmte Persönlichkeiten Reden.  Ich bekommen eine Nachricht von meinem Sohn: „Wir sind gefickt… Die Welt ist gefickt.“ Ich antworte: „Vielleicht, aber ich bin nur einigen Meter von Katy Perry entfernt.“ Aber dann kommt allmählich die Realität bei mir an.

Ich teile einen Moment des Leidens mit J., und es stellt sich heraus, dass er für meine Lieblingsairline arbeitet. M., die auch auf der „bloc party“ ist, postet in den frühen Morgenstunden  „Holz hacken Wasser tragen“. Ich fotografiere weiter traurige Menschen und das, was sie zurückgelassen haben, bis ich nicht mehr kann.

Trump-Unterstützer und protestierende Menschen haben sicher nicht sehr weit weg von hier versammelt, jubelnd und schimpfend. Aber Protest wirkt so belanglos im Vergleich zu dem, was gerade passiert ist, und der Gedanke, in der Nähe eines jubelnden Menschen zu sein, ist mehr, als ich ertragen kann.

Auf meinem Weg zur U-Bahn begegne ich einem Mann, der eine Minitrompete spielt. Unsere Wege kreuzen sich in einem Laden, in dem ich nach einem Stück Pizza suche, er kauft Bier. Laufe vorbei an Obdachlosen, die auf dem Fußweg schlafen, und an weiteren in der U-Bahn-Station. Frage mich, was sie von Trump halten.

Krieche um 4 Uhr ins Bett. Obwohl der Tag so lang war, kann ich weder einschlafen noch irgendwas anderes tun, außer Social-Media-Content zu produzieren für irgendjemand, der irgendwo davon profitieren wird.

„Das was gerade passiert ist, ist nicht passiert. Es kann nicht passiert sein“.

Nachdem Holz gehackt und Wasser getragen worden sind falle ich irgendwie in einen unruhigen Schlaf.