Dienstag, 29.08.2017 / 19:04 Uhr

Dogan Akhanli: Ein Brückenbauer

Von
Gastbeitrag von Roland Kaufhold

„ Und wieso bist du hier?

Ich wurde festgenommen.

Und wieso?

Keine Ahnung. Hat mir noch keiner gesagt.

Gibt’s doch nicht, kardeşim. Wirst festgenommen und weißt nicht, warum. So gebildet wie du aussiehst … Was bist du denn von Beruf?

Schriftsteller.

Wenn du so einer bist wie Pamuk, mit Auszeichnung, dann hast du es nicht leicht!

Wegen welchen Artikels ich gesucht wurde, ist klar, aber keiner kennt dessen Inhalt. Ich werde in polizeiliches Gewahrsam genommen und eingesperrt, um morgen früh der Abteilung für Terrorbekämpfung übergeben zu werden.“


In: Dogan Akhanli: Sibirien, verfasst 2010 im Istanbuler Hochsicherheitsgefängnis.

 

Der vor zehn Tagen in Spanien auf Verlangen Erdogans festgenommene Schriftsteller Dogan Akhanli  ist in Köln eine Berühmtheit, trotz seines bescheidenen und zurückhaltenden Auftretens. Ich kannte ihn aus der Entfernung seit weit über einem Jahrzehnt. Als er 2010 in der Türkei festgenommen und mit einem kafkaesken Willkürprozess überzogen wurde setzten sich zahlreiche Freunde für ihn ein. Auch ich gehörte dazu. Als er einige Wochen nach seiner Freilassung wieder nach Köln zurück kehrte, es waren die Karnevalstage, traf ich ihn wenige Tage später zufällig in Köln-Ehrenfeld – seiner Heimat – auf der Straße. In den Monaten danach intensivierten sich unsere Kontakte. Wir entwickelten einige Projekte gemeinsam, insbesondere im Kontext des Pen-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, dem ehemaligen Exil-Pen. Als wir im März 2012 vor der Kölner Wohnung des in Shanghai geborenen jüdischen Schriftstellers Peter Finkelgruen einen Gedenkstein für dessen ermordeten Großvater enthüllten war Dogan sofort dabei. Ich bat ihn, den Gedenkstein bei der kleinen Feier symbolisch mit einzuweihen. Gemeinsam hoben wir das Tuch des KKL hoch. Dogan war sofort einverstanden. 

"Ich wurde im Alter von 18 festgenommen, weil ich an einem Kiosk eine damals linke Zeitung (…) kaufte. Elf Tage lang wurde ich „befragt“; fünf Monate war ich dann im Gefängnis Toptasi."

Anfänge

Dogan Akhanli wird im Frühjahr 1957 in Savsat am Schwarzen Meer  geboren, er hat vier Brüder. Sein Vater ist Lehrer, seine Mutter liest ihm Klassiker der Weltliteratur vor. Diese verschlingt er. Mit zwölf Jahren zieht er mit einem Bruder vom Nordosten nach Istanbul.  Es folgt ein Studium der Geschichte und Pädagogik.

Politische Verfolgung und Folter

Dogan Akhanlis Politisierung, seine mehrjähriges Engagement im sehr linken Widerstand in der Türkei der 70er und 80er Jahre, war eine Folge völlig überzogener staatlicher Reaktionen. Sie machen aus dem jungen Linken einen Widerstandskämpfer: Mit 18 Jahren kauft er sich an einem Kiosk eine linke Zeitung und wird daraufhin festgenommen. Er wird misshandelt und sitzt für fünf Monate in einem Istanbuler Gefängnis. Damit ist seine Kindheit vorbei, er ist nicht mehr der gleiche Mensch, obwohl er freigesprochen wird. In seiner 2008 erschienenen autobiografischen Erzählung Die Fremde und eine Reise im Herbst erinnert er sich: „Ich wurde im Alter von 18 festgenommen, weil ich an einem Kiosk eine damals linke Zeitung (…) kaufte. Elf Tage lang wurde ich „befragt“; fünf Monate war ich dann im Gefängnis Toptasi. Als ich auf freien Fuß gesetzt wurde, hatte ich nicht nur die Aufnahmeprüfungen für die Universität verpasst, sondern mir waren auch viele Wege versperrt. Seit jenem Tag war es mir nicht mehr möglich, meinen Frieden mit dem Staat der Türkischen Republik zu schließen.“ Die Feindschaft zwischen dem sensiblen, bescheidenen, äußerst humorvollen, zerbrechlich wirkenden Schriftsteller und dem größenwahnsinnig-despotischen Erdogan hat sich bis heute gehalten, wie seine erneute Verhaftung beweist.

Im September 1980, am Tage des Militärputsches, geht Dogan in den Untergrund, da ist er 23 Jahre alt. Er schließt sich der linken Gruppe Halkin Kurtulusu (Befreiung des Volkes) an. Er verteilt Flugblätter, organisiert Demonstrationen. Fünf Jahre später, am 18.5.1985, wird er mit seiner Frau und seinem 16 Monate alten Sohn verhaftet. Dogan wird in deren Anwesenheit schwer gefoltert, diese hören seine Schreie. Er hört das Weinen seines Sohnes. Zweieinhalb Jahre bleiben sie in Haft, in getrennten Zellen. Die Erfahrung der Folter sollte Dogan nie wieder los werden, es war ein bleibendes Trauma. Verschiedentlich haben wir darüber gesprochen, „nebenbei“: „Ich habe gelernt, mit meinen Traumata gut zu leben“, betonte er 2016. Nach der erneuten, willkürlichen Festnahme in Spanien ist diese Zuversicht, diese ganz außerordentliche seelische Integrationsleistung, nun jedoch gefährdet.  Aber eigentlich mache ich mir keine Sorgen um Dogan – wenn die Spanier ihn in Ruhe lassen. Wenn sie sich Erdogans pathologischer Übergriffigkeit verweigern. Und das werden sie tun, denke ich.

Dogan ist diesen traumatischen Erlebnissen nie ausgewichen, hat diese aus dem Kerker der Erinnerungen befreit. Später greift er seine Traumatisierungen, die gleichermaßen ein individuelles Erlebnis wie ein kollektiver türkischer Prozess sind, in seinen Romanen auf. Sein radikales politisches Engagement hat er nie verleugnet, auch wenn dieses heute nicht mehr seine Sache ist: „Ich war ein radikaler politischer Untergrundkämpfer. Dafür habe ich einen hohen Preis bezahlt. Und ich bin stolz darauf, es ist ein Teil von mir“, sagte er unter großem Beifall vor einigen Jahren vor mehreren tausend Zuschauern in einer Kölner Veranstaltung zugunsten von amnesty international.

Dogan glaubt heute nicht mehr an Gewissheiten, wie sie in den linken politischen Gruppen im Untergrund eingefordert wurden. Von seinen Genossen hat er sich bereits 1987 losgesagt. Er ist ein Fragender geworden. Das Erinnern an den türkischen Völkermord an den Armeniern betrachtet er seit Jahrzehnten als sein wichtigstes Anliegen. Dies ist seine Sache. Und daher kennt er auch Ilias Uyar, seinen außergewöhnlich mutigen und sympathischen Kölner Rechtsanwalt.

Dies haben ihm die Mächtigen der Türkei nie verziehen. Sie, die Geschichtsleugner, machten ihn zu ihrem Todfeind. Dogan hingegen ist der Gedanke an Rache und an Gewalt fremd. Er ist von einer berührenden Behutsamkeit, stets voller Humor und Ironie.

In seiner Erzählung Die Fremde blickt Akhanli auf diese türkische Geschichtslosigkeit und Feindseligkeit zurück:

„Damals beharrte der Staat auf seinem Staatsein und ich auf meiner Widerspenstigkeit. Und ich wurde 10 Jahre später zusammen mit meiner Frau und unserem damals 16 Monate kleinen Sohn erneut „befragt“. Die „Befragung“ dauerte einen Monat. Meine Frau habe ich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht wieder erkannt. Meinen Sohn habe ich, da er noch während des Krankenhausaufenthaltes einem Verwandten übergeben wurde, lange Jahre nicht wieder gesehen. Als meine Frau ein Jahr später und ich drei Jahre später freigelassen wurden, waren wir drei unter dem Erlebten brotkrumenklein geworden.“

Flucht nach Deutschland

Zweieinhalb Jahre sitzt Dogan Akhanli im Istanbuler Militärgefängnis in Haft, im September 1987 wird er entlassen. Gemeinsam ziehen sie in die Provinz, suchen Ruhe. Sie bekommen noch eine Tochter. Dogan wird Fischer, baut Musikinstrumente. Einige seiner selbst gebauten Instrumente stehen heute in seiner kleinen Wohnung in Köln-Ehrenfeld. Als er im September 2014 in Köln vor über 200 Freunden für sein Wirken mit der Georg-Fritze-Gedächtnisgabe ausgezeichnet wird – die Laudatio hält der Filmemacher Fatih Akin, seine Dankesrede betitelt Dogan mit Wir brauchen einen transnationalen Gedächtnisraum – dankt er seiner früheren Ehefrau (mit der er nicht mehr zusammen ist) für ihre Hilfen in den Jahren des Terrors:

„Ich bin meiner damaligen Frau Ayşe dankbar, die mit mir durch die Hölle gegangen ist. Wenn ich aus der Folterkammer nicht als gebrochener Mensch heraus gekommen bin, verdanke ich das ihrem Mut und ihrem Widerstand. (…)  Nach der Geburt meines Sohnes hätte ich sofort das Land verlassen sollen. Es war keine Heldentat, mich weiter gegen das Militär zu engagieren; als Vater war es eine dumme, verantwortungslose Haltung, ihm gegenüber und später meiner Tochter gegenüber.“

1991 flieht Dogan mit seiner Familie nach Deutschland, da ist er 34. Er wird als politischer Flüchtling anerkannt. Als er seine Rückkehr in die Türkei verweigert – er soll zum Militär eingezogen werden – bürgert ihn das türkische Regime 1998 aus. Erneut wird er ausgestoßen, und doch spricht und denkt er weiter auf Türkisch. Drei Jahre später erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft. Der endgültige Bruch mit der Türkei erfolgt erst 2013, nach der Neuauflage des kafkaesken Gerichtsprozesses. Seitdem ist Dogan „ein Deutscher“… Und erst seitdem hat er angefangen, „wirklich“ deutsch zu sprechen.

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