Freitag, 22.09.2017 / 12:00 Uhr

Inward-looking-Syndrome

Von
David Kirsch

Für Liebhaber außenpolitischer Transformationsprozesse gibt es bei dieser Wahl nichts zu holen. (K)eine Wahlempfehlung.


August 2013. Barack Obama und Francois Hollande diskutieren über einen möglichen Militärschlag in Syrien – als Antwort auf die Giftgasattacken des Assad-Regimes.  In ebendiesem August schreibt der Spiegel über “Chats aus der Hölle”, die der syrische Student Firas Alsaid während der Belagerung von Homs übermittelte.

Man könnte meinen, vor vier Jahren sah die Welt noch etwas anders aus. Zumindest in den Tageszeitungen.

Wir diskutieren nicht mehr, WAS im Nahen Osten, in der Türkei oder am afrikanischen Kontinent passiert, sondern nur noch, wie die Konsequenzen der Geschehnisse im Nahen Osten NICHT MEHR ZU UNS hinübergelangen können.

Wie Richard Herzinger in der “Welt” kürzlich vollkommen richtig feststellte, will man über den syrischen Bürgerkrieg längst schon nichts mehr wissen.  Schlägt man 2017 eine beliebige deutsche Tageszeitung auf, gewinnt man rasch den Eindruck, dass es gar keine Außenpolitik mehr gäbe. Dass das nicht mehr nur auf Syrien zutrifft, fällt sonst nur Außenstehenden auf. So schreibt die französische Journalistin Natalie Nougayréde:

“Germany won’t lead the free world. It barely looks beyond its own borders. (…) Having spent this week in Germany, I am struck by another inward-looking syndrome. The German campaign has paid very little attention to Europe, not to mention the world beyond it. It has practically dispensed with the question of how the country should relate to realities beyond its borders: the global shifts at work, how to define its role in a changing environment, how to strategically prepare for the future, and the external impacts that may lie in store.

Und tatsächlich. Wenn es mal um Außenpolitik geht, dann nur noch darüber, wie man sie ersatzlos abschaffen kann. Sinnbildlich dafür: Das TV-”Duett”  zwischen Martin Schulz und Angela Merkel. Abseits von gegenseitigen Vorwürfen, welcher Kandidat gegenüber US-Präsident Trump nun zu viel Verständnis gezeigt hätte, ging es vor allem um Wahlkampfgetöse, also: Um Nichts.

Nicht um die Befreiung Deniz Yücels oder eingeknasteter HDP-Angehöriger - nicht um kluges Taktieren oder langfristige Strategien. Dass Martin Schulz nennenswertester Punkt in der Debatte der Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen war, spricht Bände. Dass er das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei unberührt lassen möchte, ebenfalls. Das ist nicht Außenpolitik, sondern öffentlichkeitswirksames Schattenboxen. Gäbe es Erdogan nicht, man müsste ihn erfinden, um den Blutdruck in öffentlich-rechtlichen Debatten nicht in den Keller sinken zu lassen.  Und wenn der Blick schon nicht mehr nach Syrien gelangt, dann sorgt zumindest eine aufrührerisch wirkende Rede Donald Trumps vor der UN-Generalversammlung für die lange schon herbeigesehnte “Bedrohung für den Weltfrieden”.

War das Duell zwischen Peer Steinbrück und Angela Merkel schon ermüdend gewesen , so hat sich vier Jahre später nichts daran geändert. Martin Schulz schien selten nervös, Angela Merkel verwaltete ihn nach allen Regeln der Kunst: Sterbenslangweilig.

Und das liegt nicht nur an den Kandidaten. Das hat System.

Wir diskutieren nicht mehr, WAS im Nahen Osten, in der Türkei oder am afrikanischen Kontinent passiert, sondern nur noch, wie die Konsequenzen der Geschehnisse im Nahen Osten NICHT MEHR ZU UNS hinübergelangen können. Wer will eigentlich welche Mittelmeerroute schließen? Es ist wahrlich ein Wahlkampf der Fadesse und der Isolation. Die Abschottung vollzieht sich nicht nur geopolitisch, sondern auch intellektuell. Eine Headline im Wahlkampfjahr 2017: “Die Hoffnung der Europäer auf den Stabilitätsanker Tunesien”. Der Guardian titelte am 12.August noch, dass hunderte ISIS-Abtrünnige sich Richtung Türkei aufmachten. Davon kein Wort in deutschen Zeitungen. Die EU-Außengrenzen sind der neue außenpolitische Horizont. Dafür heiratet Gerhard Schröder demnächst nach Südkorea und zu allem Überdruss meldet sich Jürgen Trittin auch wieder zu Wort.

Irak, Türkei oder Syrien kommt nur noch als Randanekdote vor: Alice Weidel soll früher Mal eine syrische Asylwerberin schwarz eingestellt haben

Weil 2013 schon Äquidistanz beliebter als Außenpolitik war, brauchen wir 2017 gar keine mehr. Debatten über langfristiges Engagement im Nahen Osten? Fehlanzeige. Lieber noch ein paar Deals mit der Türkei, Libyen, Marokko und Tunesien abschließen. Containment heißt das neue Engagement. Freunde einer langfristigen, vernünftigen Außenpolitik haben diesmal wahrlich keine Wahl.