Montag, 22.01.2018 / 11:43 Uhr

'Kurden waren schon immer Mittel zum Zweck'

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Gastbeitrag vom Deutsch Syrischen Informationszentrum

Seit einigen Tagen greift die Türkei, die kurdische Stadt Afrin in Nordsyrien an. Bisher gibt es viele verschiedene Meldungen, die sehr unübersichtlich sind. Die DSI hat daher ein Interview mit der Kolumnistin Arin Jaafar geführt, die selbst aus Afrin stammt.

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Hallo Arin, möchtest dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Arin Jaafar, ich lebe seit zwanzig Jahren im Saarland und studiere Betriebswirtschaft. Nebenbei arbeite ich als Kolumnistin und schreibe als Gastautorin für die Huffington Post.

Was bedeutet Syrien für dich?

Das ist schwer zu definieren, denn als ich angefangen habe, das Land zu schätzen, wurde es nach und nach zerstört. Seit meinem 2. Lebensjahr lebe ich in Deutschland und kenne Syrien eigentlich nur aus meinen Sommerferien. Syrien war für mich der Ort, in dem meine Verwandten leben - nicht mehr und nicht weniger. Ich habe mich vorher kaum mit Syrien oder der Regierung auseinandergesetzt.

Das Misstrauen und der Hass ist auf allen Seiten viel größer geworden. Die Orte, die ich früher in Syrien gerne besucht habe, sind völlig zerstört. Das Syrien, welches ich mal kannte, existiert heute nicht mehr.

Als die syrische Revolution 2011 anfing, haben meine Familie und ich den Sommer dort verbracht. Bevor ich die Aufstände vor Ort miterleben durfte, dachte ich, dass die Medien übertreiben, und das sich alles innerhalb weniger Wochen selbst klären würde. Der Aufenthalt in Syrien hat mir jedoch die Augen geöffnet. Alles was zu diesem Zeitpunkt in den Medien präsentiert wurde, war nicht übertrieben, sondern untertrieben. Als ich wieder zurück in Deutschland war, habe ich angefangen mich mit anderen Gleichgesinnten auszutauschen. Ab dem Zeitraum begann ich darüber in meinen Artikeln zu berichten. Es heißt, dass jede Generation eine Revolution brauch, mit der er/sie sich identifizieren kann. Meine war die syrische Revolution.

Du bist eine syrische Kurdin und stammst aus Afrin. Wie siehst du die aktuelle Lage dort?

Jeder möchte ein Stück vom Kuchen abbekommen. Die Türkei versucht aktuell mit ihren Angriffen auf Afrin lediglich zu provozieren, um endlich Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie befürchten, die einzigen zu sein, die bei diesem Syrien Krieg leer ausgehen könnten. Abgesehen davon passiert seit Jahren nichts mehr ohne Kenntnisnahme der anderen Protagonisten, die bei diesem perfiden Krieg mitspielen. Sowohl die syrische als auch die russische Regierung dulden diese Angriffe. Bisher gibt es nicht einmal eine Reaktion darauf. Die Kurden aus Syrien sind völlig auf sich alleine gestellt. Die Türkei greift gezielt Stützpunkte und Olivenbaumfelder an. Der Anbau und der Besitz der Olivenbäume ist für sehr viele Kurden aus Afrin und Umland die Haupteinnahmequelle und wichtigster Kapitalbesitz. Sie symbolisieren eine Jahrhunderte alte Tradition.

Neben Assads Bildern hängen nun auch Öcalans Bilder herum.

Zuvor hatte die syrische Regierung noch damit gedroht, türkische Jets abzuschießen, sollten diese Angriffe auf syrisches Gebiet fliegen. Bisher ist nichts davon zu sehen. Das ist jedoch keine Überraschung. Wir Kurden sind scheinbar die Tagelöhner der syrischen Regierung. Die Kurden waren schon immer nur Mittel zum Zweck, für die türkische, syrische und teilweise auch irakische Regierung.

Könntest du den Lesern kurz erläutern, welche Rolle die PYD/YPG spielt und inwieweit sie die syrischen Kurden repräsentiert?

Die PYD/YPG sind Schwesterparteien der PKK. Seitdem die kurdische Milizen PYD/YPG mehrere Gebiete in Syrien kontrollieren, wird jede Kritik im Keim erstickt. Die PYD/YPG haben die kurdischen Gebiete von Assad zugesprochen bekommen. Viele ehemaligen PKK-Anhänger aus der Türkei sind nun in Syrien und arbeiten für die PYD/YPG in Syrien. Neben Assads Bildern hängen nun auch Öcalans Bilder herum. Im Prinzip haben wir Kurden die arabische Baath Partei gegen eine kurdische Baath Partei eingetauscht. Die Methoden der PYD/YPG sind exakt wie die des Assad Regimes. Und jetzt, wo die YPG/PYD eigentlich verteidigt werden sollte, von der syrischen Regierung, lassen sie sich nicht blicken. Generell hat Assad die Kurdengebiete
damals der PYD/YPG gegeben, da er davon ausgegangen ist, dass die Kurden für ihn das kleinere Übel darstellen und treue Söldner sind. Die Kurden werden nur als Marionetten und Schutzschilder für Assad und seine Anhänger missbraucht. Das sehen wir aktuell in Afrin ganz deutlich.

Fühlst du dich nach der syrischen Revolution mehr mit dem Land und den Menschen verbunden? Hast du auch hier mehr Kontakt zu anderen Syrern?

Ich habe durch diese Revolution viel über Syrien erfahren. Ohne sie hätte ich viele sehr wichtige Menschen, die in meinem Leben eine wichtige Rolle spielen, vermutlich nie kennenlernen können. Jedoch habe ich auch erst nach der syrischen Revolution gelernt, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Es gibt oft Momente, in denen ich mich frage, ob es das wert war. Ich habe kaum Verwandte mehr in Syrien und wenn ich wieder einmal da sein darf, weiß ich nicht mehr wohin ich gehen kann. Alles hat sich mittlerweile geändert. Früher war es nicht wichtig, welcher Religion man angehört oder ob man nun Kurde, Turkmene oder Araber ist. Diesen Unterschied setzt die syrische Regierung bewusst in der Bevölkerung ein. Das Misstrauen und der Hass ist auf allen Seiten viel größer geworden. Die Orte, die ich früher in Syrien gerne besucht habe, sind völlig zerstört. Das Syrien, welches ich mal kannte, existiert heute nicht mehr.

Alles wurde immer auf dem Rücken der Kurden ausgetragen. Leider sieht es ganz danach aus, dass sich die Geschichte erneut wiederholen wird.

Wie beurteilst du die Rolle der syrischen Kurden in der Zukunft?

Die Kurden sind in diesem Pulverfass, zwischen Türkei, Syrien, Irak und Iran gefangen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Kurden immer wieder eingesetzt wurden, wenn es Unstimmigkeiten zwischen diesen Ländern gab. Alles wurde immer auf dem Rücken der Kurden ausgetragen. Leider sieht es ganz danach aus, dass sich die Geschichte erneut wiederholen wird. Bereits 1982 hat das syrische Regime während des Hama Massakers die Kurden für sich instrumentalisiert. Trotz der Unterstützung wurden die Kurden von Hafiz Assad nicht anerkannt und wurden massenhaft festgenommen.

Möchtest du den Lesern noch etwas mitteilen?

Der Krieg in Syrien hat nicht nur den Nahen Osten gespalten, er hat auch Auswirkungen auf die politische Lage in Europa gehabt. In Zeiten der Globalisierung kann niemand mehr behaupten, dass gewisse Länder zu weit weg liegen, und wir nicht mit ihnen zu tun haben. Diese Haltung hat Europa mehrere Millionen Flüchtlinge eingebracht. Der größte Fehler war es, die Lösung für den Krieg hier in Europa zu suchen und nicht Vorort. Ich hoffe einfach nur, dass der Krieg in Syrien bald ein Ende hat und man mit dem Wiederbau anfangen kann.

Interview zuerst erschienen auf der FB-Seite des DSI