Sonntag, 26.08.2018 / 13:53 Uhr

Karl Pfeifer zum 90ten

Von
Gastbeitrag von Roland Kaufhold

Der österreichische Journalist und Überlebende Karl Pfeifer wird 90…

Es gibt wohl keine Schmähung, die Karl Pfeifer erspart geblieben ist: Er sei ein „stinkender Jude“, ein „Kommunist“, ein „Provokateur“ und selbstredend ein „Menschenhetzer“. Er selbst hat hierüber nur gelächelt. Für ihn waren solche antisemitischen Beleidigungen vor allem Selbstentblößungen der Angreifer. Der Kampf gegen Antisemitismus, gegen ungerechtfertigte Kritik an Israel, wurde zu seiner Lebensaufgabe. Und dies, als Jude, ausgerechnet in Österreich…

1928 in Baden bei Wien geboren und in einer jüdischen Familie aufgewachsen flieht Karl Pfeifer 1938 nach Budapest und Anfang 1943 mit einem Kindertransport weiter nach Palästina. 1951 kehrt er „dennoch“ nach Europa zurück. Als Motiv für seine höchst merkwürdige Entscheidung benennt er in Diskussionen gerne seinen niedrigen Blutdruck: Er brauche morgens nur eine österreichische Tageszeitung zu lesen: „Nirgends auf der Welt kann ich mich täglich so aufregen wie in Österreich!“

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Kindheit bei Wien

Karl Pfeifer wächst in Baden als Kind einer jüdischen Familie auf. Umgang hat er nahezu nur mit jüdischen Freunden. Sein 15 Jahre älterer Bruder Erwin geht bereits 1935 nach Palästina. 1937, zu seinem neunten Geburtstag, erhält er von diesem eine Postkarte mit der Aufforderung: „Sei immer stolz, ein Jude zu sein.“ Die gewalttätigen Umstände sorgten dafür, dass dies für den gottlosen Juden bald zu einem Lebensmotto wird.

1938 wird Karl erstmals, so erinnert er sich in seiner Autobiografie Einmal Palästina und zurück (2013), mit dem „noch gemütlichen Antisemitismus“ konfrontiert: Da er am Religionsunterricht in der Schule nicht teilnehmen darf wird er von seinen Mitschülern als Gottesmörder beschimpft. Seine Neigung zum Widerspruch, zur Nichtzugehörigkeit, macht sich bereits früh bemerkbar: „Es gibt keinen Gott“ sagt er wenig später seinem Vater. Der ist wenig erfreut. 1938 überfallen ihn Hitlerjungen mit „Saujud, sag Heil Hitler“ auf der Straße. Karl verweigert die Unterwerfung unter das antisemitische Gebot, und er braucht nicht mehr zur Schule zu gehen. Seine Eltern schützen ihn.

Flucht nach Ungarn

Im Juli 1938 gelingt der Familie die Flucht nach Budapest, seine Eltern sind an ungarische Pässe gekommen. Ungarn blieb ein innerer Bezugspunkt für ihn, bis heute. In kürzester Zeit lernt er in einem Internat die Sprache, besucht ein jüdisches Gymnasium. Aber auch dort erlebt er sogleich wieder den zunehmend brutaler werdenden Antisemitismus, erlebt die gegen Juden gerichteten neuen ungarischen Gesetze: „In mir reifte der Entschluss“, so erinnert er sich, „auch kein Ungar sein zu wollen“. Als er in der Schule vor nackter Panik nicht mehr zu sprechen vermag findet er bei einem Pfarrer Rettung: „Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind keine Deutschen“, nimmt ihm dieser die Angst. 1940 findet er Zugang zur kleinen linkszionistischen Jugendgruppe Schomer Hazair: „Wir sind keine Ungarn und es gibt auch keinen Gott“ ist deren linke Überzeugung. Nun fühlt Karl sich endlich zugehörig. 14-jährig verlässt er die Schule, besucht stattdessen in Budapest eine Werkstatt. Bereits Ende 1942 erzählt er, nach der Lektüre linkszionistischer Zeitschriften, seinem geschockten Onkel, dass Juden in Polen in Gasöfen verbrannt werden. Anfang 1943, seine Mutter ist bereits zwei Jahre zuvor verstorben, die erzwungene Trennung von seinem Vater: Zusammen mit fünfzig jüdischen Jugendlichen gelingt ihm am 5.1.1943 mit einem „falschen“ Pass mit den Kindertransporten die Flucht nach Palästina

Die abenteuerliche Reise führt durch Rumänien, Bulgarien, die Türkei und Beirut. Am 19.1.1943 landen die Jugendlichen in Haifa, kommen zuerst für einige Tage in Quarantäne und werden von Briten befragt. Er ahnt, dass es eine Trennung für immer ist. Sein Vater sollte nicht überleben, wie 36 weitere Familienangehörige.

1943: Palästina – eine Begegnung mit Josef Friedjung

Der 15-jährige Karl trifft in Palästina einige male seinen Bruder, erkennt ihn anfangs jedoch kaum weder. Mit sieben hatte er ihn das letzte Mal gesehen. Die fünf mit eingewanderten Freunde bleiben für Jahre seine enge Bezugsgruppe im linkszionistischen Kibbuz Maabarot. Seelisch sind sie für ihn Geschwister, bis heute. Es gelingt Karl rasch, sich erneut eine Sprache, diesmal das schwere Hebräisch, anzueignen. Der wissensdurstige Jugendliche erlernt die Landwirtschaft. Er ist begeistert: Endlich ein eigenes Land! Endlich ein selbstbestimmtes Leben unter Juden!

Häufig hält Karl sich in der Bibliothek auf, erlebt die politischen Diskussionen in seinem sehr linken Kibbuz: Ihnen wird erklärt, dass Stalin in allen Fragen recht habe, sich jedoch in der jüdischen Frage irre. Die Jugendlichen werden vom ehemaligen Wiener Psychoanalytiker Josef Friedjung (1871-1946), der seit 1934 für die Jewish Agency als sozialpsychologisch-medizinischer Berater mit eingewanderten Jugendlichen arbeitet, betreut, um mit der neuen Lebensrealität im armen Palästina, ohne Eltern, besser zurecht zu kommen. Josef Friedjung, dies sei hier ausführlicher dargestellt, gehörte, neben Max Eitingon, Moshe Wulff, Dorian-Isidor Feigenbaum, Shmuel Golan, David Eder und Arthur Ruppin zu den Pionieren der Psychoanalyse in Palästina und Israel, wie Eran Rolnik in seiner großartigen Studie „Freud in Israel“ nachgezeichnet hat.

Die palästinensische Psychoanalytikerin Margarete Brandt bemerkte 1941 in einem Bericht zu den „deutschen“ Prägungen der Psychoanalyse in Palästina: „Das Jerusalemer Psychoanalytische Institut ist ein direkter Abkömmling und, wie es sich ergeben hat, der Nachfolger des Berliner Instituts (…) Dieses Stück Berliner Institut, das hierher mitgekommen ist (…) bedeutet, dass auch ein guter Teil vom alten Geist mitgekommen ist, die Liebe und Verehrung für Freud.“ (ebd.) Der linke, früh zionistisch geprägte Siegfried Bernfeld hatte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts grundlegende Texte zu Psychoanalyse und Zionismus veröffentlicht. Mehrere seiner Schüler und Kollegen emigrierten in den 1930er Jahren in das damalige Palästina, engagierten sich in der Kibbuzbewegung und bauten die Israelische Psychoanalytische Vereinigung auf. Bernfelds Wirken als Zionist ist hingegen im deutschsprachigen Raum weitgehend in Vergessenheit geraten.

Kommen wir zu Karl Pfeifer zurück: In den ersten Tagen in Haifa lernt Karl auch die außergewöhnlich mutige jüdisch-ungarische Widerständlerin Chana Szenes kennen: Sie trägt eine britische Uniform und befragt die Jugendlichen über das Leben der Juden in Ungarn. Er erfährt erst nach ihrem Tod, wer sie war: Die 1921 geborene Chana – sie schreibt auch Gedichte, von denen einige posthum vertont wurden – war 1939 nach Palästina emigriert. Im März 1944 springt sie mit anderen jüdischen Frauen und Männern hinter der deutschen Front mit einem Fallschirm ab, um Juden zu retten. Am 7.11.1944 wird sie in Ungarn hingerichtet. Chana verweigert das Tragen einer Augenbinde. Sie möchte ihren Mördern in die Augen blicken. In der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Monheim wurde soeben eine Straße nach ihr benannt. 1950 werden Chanas sterblichen Überreste nach Jerusalem verbracht und auf dem Militärfriedhof Har Herzl bestattet

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