Donnerstag, 15.11.2018 / 13:53 Uhr

Der Müll, die Stadt und das Giftgas

Von
Oliver M. Piecha

Abfall- und Umweltprobleme werden im Nahen Osten zunehmend als politisches Problem gesehen.

Ein Bericht aus Irakisch-Kurdistan.

Der Berghang glitzert und funkelt im späten Nachmittagslicht. Unten liegt das wuchernde Sulaimaniyya im Dunst, eine chaotische Stadtlandschaft voller gestapelter Retortensiedlungen und nie zu Ende gebauter Wohnblockruinen türkischer Bauunternehmen. Der glitzernde Abhang des Hausbergs Azmar ist jedoch keineswegs mit Edelsteinen übersät; die Sonne spiegelt sich in unzähligen weggeworfenen Plastikflaschen.

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Bild: Wuchernde Stadtlandschaft, Suleymaniah in Irakisch-Kurdistan

Im Oktober ist es im Nordirak immer noch heiß bei weit über 30 Grad – ist es bloß ein ungewöhnlich heißer Spätsommer, oder verändert sich das Klima? Jedenfalls trinkt man Unmengen von Flüssigkeit, in jedem Restaurant bekommt man zuerst eine kleine Flasche Wasser auf den Tisch gestellt, in jedem Büro, in jedem Haus, selbst noch im Flüchtlingszelt bekommt der Besucher zuallererst Wasser angeboten; die Sitte ist alt, aber früher bekam man das Wasser in ein Glas eingeschenkt und auf den Restauranttischen standen Wasserkannen. Jetzt gibt es immer und überall diese kleinen Plastikflaschen, oder gleich Plastikbecher mit Aludeckel zum Aufreißen.

„Hemmungslose und fortlaufend steigende Müllproduktion“

Im Nahen Osten liegen es viele Problemfelder, der Müll gehört dazu. Und was einem Besucher aus dem zeitgenössischen Mitteleuropa hier vor allem auffallen mag, das ist eine Art hemmungsloser, sich fortlaufend steigernder Müllproduktion, zumal was den Alltag der Menschen und ihren Plastikkonsum angeht; ohne jede Idee, wie damit auch nur einigermaßen sinnvoll umgegangen werden könnte – vom Begriff der „Nachhaltigkeit“ einmal ganz zu schweigen.

Halabja steht beispielhaft für den Krieg, der in der Region gegen die Menschen wie ihre Umwelt geführt wird

Nachhaltigkeit, das ist ziemlich genau das Gegenteil von der Art und Weise wie hier in der Region gewirtschaftet wird, egal ob das nun die unzähligen Plastikflaschen betrifft, die überall täglich geleert werden, oder die wuchernden Stadträume ohne reguläre Kanalisation oder gar funktionierende Kläranlagen, mit diesen schnell hochgezogenen Bauten aus schlechtem Beton und fehlender Instandhaltung, die mit ihrer Fertigstellung praktisch übergangslos  das Verfallsstadium übergehen. Überhaupt lässt sich ausgehend vom Müll ein weitreichendes Deutungsmodell für grundlegende Probleme der Region ableiten: Warum werfen Menschen leere Plastikflaschen einfach in die Landschaft, warum ist der öffentliche urbane Raum so verwahrlost und abweisend –  und was hat das möglicherweise mit den Erfahrungen von Diktatur und einer Bevölkerung zu tun, die nicht aus Bürgern und Bürgerinnen besteht, sondern aus Objekten von Herrschaft, aus Untertanen?

Besuch in Halabja

Die Stadt Halabja, südöstlich von Sulaimaniyya nahe der Grenze zum Iran gelegen, hat bittere Momente in den letzten Jahrzehnten erlebt; 1988, während des iran-irakischen Krieges, wurde die Stadt mit ihren Einwohnern zum Ziel eines Giftgasangriffs der irakischen Armee. Neben den drei- bis fünftausend Toten waren Tausende von Opfern gesundheitlich schwer betroffen und bis heute leiden Überlebende an den Spätfolgen des Giftgases. Vor dem Sturz Saddam Husseins 2003 war die Region um Halabja schließlich unter Kontrolle von Islamisten, die irakische Al-Qaida-Gruppe, aus der eine Dekade später der „Islamische Staat“ erwachsen sollte, hatte hier ihre Operationsbasis.

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Bild: Pastiktüten bald Geschichte? Mitarbeiterin von Nwe in Halabja

Halabja steht beispielhaft für den Krieg, der in der Region gegen die Menschen wie ihre Umwelt geführt wird; ob es die großräumige Vertreibungs- und Mordpolitik Saddam Husseins war, die aus weiten Teilen Irakisch-Kurdistans ein evakuiertes, vermintes Gelände gemacht hatte, oder ob im Südirak die jahrtausende alte Kulturlandschaft der Marschen durch gezielte Austrocknung vernichtet wurde.

Dass dem bisherigen Umgang mit den ökologischen Lebensgrundlagen der Gesellschaft jeder Gedanke an Verantwortung und Zukunft fremd war, ist Ausdruck der grundsätzlichen Malaise der ganzen Region.

Dabei liefert die jüngere Geschichte des Irak bloß besonders prägnante Beispiele für diese Art der Kriegführung, die nicht nur die Menschen, sondern auch ihre materiellen wie geistigen Lebensgrundlagen und schließlich die Landschaft selbst zum Zielobjekt der Vernichtung macht. Die Folgen sind so vielfältig wie tiefgründig verheerend; und sie zeigen sich eben auch darin, ob Menschen in Kategorien der Zukunft und Eigenverantwortung der Gesellschaft und ihrer Umwelt gegenüber zu denken gelernt haben. Bis vor kurzem noch zogen am Nachmittag die beißenden schwarzen Qualwollen der täglichen offenen Müllverbrennung durch die Landschaft um Halabja, nun wird – auch aufgrund von Protesten – alles vergraben.

Kein Recycling

„Selbst wenn wir die Plastikflaschen einsammeln würden, es gibt hier bisher gar kein Recycling in Kurdistan“, sagt Sarah Salam; sie ist die Koordinatorin der Umweltprojekte der lokalen NGO Nwe Halabja – „Neues Halbaja“ –, die mit Unterstützung  der deutsch-irakischen Organisation WADI ganz neuartige Impulse in eine Stadt bringt, die zudem als besonders konservativ und religiös gilt; Nwe hat vor über zehn Jahren noch vergleichsweise konventionell begonnen, mit einem Frauenzentrum, in das allerdings auch bald ein Frauencafé integriert wurde – ein absolutes Novum hier. Dann kam das unabhängige Lokalradio, ein Projekt, in das Nwe auch die Arbeit mit Flüchtlingen und die Umweltprojekte integriert hat; der Sender spielt arabische Musik und lässt syrische Flüchtlinge und irakische Binnenvertriebene zu Wort kommen, eine regelmäßige Sendung ist nun Umweltthemen gewidmet. Das neue Ziel der Organisation heißt: Green City Halabja.

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Bild: Eine Schulklasse in Halabja beim gemeinsamen Aufräumen eines Parkes

In Zukunft eine ‚grüne Stadt‘?

Ein Logo für die Kampagne gibt es auch schon, deren Ziel es ist, ein Bewußtsein für den Umgang mit der Umwelt zu schaffen – und klar zu machen, dass Themen wie Müll, Verschmutzung und die Zerstörung von Naturräumen direkten Einfluß auf die Lebensqualität haben. „Menschen wachsen hier bisher nicht mit dem Gedanken auf, Verantwortung für ihre Umgebung und die Umwelt zu tragen; sie denken sich nichts dabei, wenn sie Müll einfach wegwerfen. Wenn wir hier wirklich etwas ändern wollen, müssen wir im Kindergarten anfangen, damit eine Generation aufwächst, die sich für ihr Lebensumfeld und ihre Stadt verantwortlich fühlt“, so Sarah Salam. Und sie sieht auch ein erstes Umdenken vor allem bei jungen Menschen; die Reinigungsaktionen, bei denen beliebte Ausflugsziele von Müll gesäubert werden, ziehen Dutzende von Freiwilligen an, und um die monatliche Frauenwanderung hat sich mittlerweile eine feste Gruppe gebildet. Die Frauen erwandern gemeinsam eine bestimmte Gegend, bekommen Vorträge über lokale Kräuter und Heilpflanzen und picknicken. Das ist etwas völlig neues für eine Gesellschaft, die sich in ihrem städtischen Umfeld kaum noch nach draußen bewegt, und zumal für Frauen auch keinen öffentlichen Raum bietet.

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Untertanen statt Bürger

Am Stadtrand liegt zwischen den wie willkürlich verstreuten Häusern in einem neuen Viertel ein staubiges weites Gelände, das bislang nur von Hühnern belebt ist. Die Stadt hat es zur Verfügung gestellt, hier entsteht ein Park, für dessen Pflege sich die Anwohner verpflichtet haben. tatsächlich stehen am Rand ein paar frisch gepflanzte  Bäumchen – die Bewohner haben schon von selbst angefangen. Und wenn man bei Nwe nun hofft, mit der „Green City“-Kampagne vielleicht sogar zu erreichen, dass Halabja die erste Plastiktütenfreie Stadt des Iraks werden könnte, dann ist nicht etwa nur ein Randproblem angesichts der vielen gravierenden Misstände im Irak.

Das Beispiel Halabja mit der Green-City-Kampagne zeigt jedoch, dass Veränderungen in der Region möglich sind.

Dass dem bisherigen Umgang mit den ökologischen Lebensgrundlagen der Gesellschaft jeder Gedanke an Verantwortung und Zukunft fremd war, ist Ausdruck der grundsätzlichen Malaise der ganzen Region: Menschen fühlen sich für ihre Straßen und Parks, für ihre Städte und ihre Landschaft nicht verantwortlich, denn das Land jenseits des Haustores gehört einem fremden Organ namens Regierung, und mit der hat man hoffentlich wenig Berührung. Es sind die großen und kleinen Führer, die dort draußen herrschen, „Bürger“ gibt es hier nicht, nur Untertanen. Damit ist man allerdings auch aller Eigenverantwortung ledig.

Verantwortung als Folge des „Arabischen Frühlings“

Dass Menschen im Nahen Osten beginnen, Verantwortung für ihr Lebensumfeld übernehmen, ist eine Folge der Proteste des „Arabischen Frühlings“ – und wie sehr sich mittlerweile Probleme des Klimawandels, unverantwortliches Regierungshandeln und wegbrechende Lebensgrundlagen überkreuzen, kann man in der ganzen Region beobachten: Dafür stehen die Proteste im Iran wegen zusammenbrechender Wasserversorgung  oder die Unruhen im Südirak diesen Sommer, als aus den Wasserhähnen der Millionenstadt Basra endgültig nurmher eine ungenießbare Brühe tropfte.

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Bild: Benghazi 2011; Freweillige reinigen den Tahrir-Platz

Diese Proteste zeigen auch eines immer deutlich: ob Veränderungen des Klimas, verseuchtes Wasser oder Müllhalden, Fragen der Ökologie sind immer auch politisch-gesellschaftliche Phänomene. Im Iran war die politisch unruhige und vernachlässigte Stadt Ahvaz mit ihrer arabischen Bevölkerung ein Zentrum der Proteste, in der nur potentiell reichen südirakischen Erdölprovinz Basra schafft es eine so dysfunktionale wie korrupte Zentralregierung nicht einmal mehr die notwendigste Infrastruktur aufrecht zu erhalten und an der traurigen Geschichte Halabjas kann man ablesen, wie mitleidlos mit den Menschen in der Region immer umgegangen worden ist – und wie mitleidlos sie mit sich und ihrer Gesellschaft umzugehen gelernt haben. Bis heute sind die Spätfolgen der Giftgaseinsätze nicht geklärt. Das Beispiel Halabja mit der Green-City-Kampagne zeigt jedoch, dass Veränderungen in der Region möglich sind, wenn die Menschen etwas Luft zum Atmen bekommen, wenn sie in ihrem Alltag vergleichsweise frei von Repression bleiben und der nächste Kriegsschauplatz wenigstens jenseits einer nahen Grenze liegt.

(Bilder: Thomas von der Osten-Sacken)

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch