Donnerstag, 16.05.2019 / 22:45 Uhr

Europäische Phrasen, syrische Realitäten

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Kleine Übersetzungshilfe für die Bewohnerinnen und Bewohner der Provinz Idlib in Syrien, die gerade versuchen, irgendwohin vor Fassbomben, mordenden Milizionären und Angriffen der russischen und syrischen Luftwaffe zu fliehen:

„Angesichts des weiter eskalierenden Syrienkriegs sind die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens ‚zutiefst besorgt‘. In den vergangenen Tagen habe ‚die Zivilbevölkerung in der Region unter schwerem Beschuss durch das syrische Regime und Russland gestanden‘. (…) Deutschland, Frankreich und Großbritannien erklärten weiter: ‚In den vergangenen Wochen sind der Gewalt über 120 Zivilisten zum Opfer gefallen. Luftangriffe auf dicht bevölkerte Gebiete, wahllose Bombenangriffe, der Einsatz von Fassbomben und gezielte Angriffe auf die zivile und humanitäre Infrastruktur, insbesondere auf Schulen und Gesundheitseinrichtungen, stellen eklatante Verletzungen des humanitären Völkerrechts dar.‘ Besonders beunruhigend sei, dass zumindest einige dieser Angriffe erfolgten, obwohl die Koordinaten weitergegeben worden waren, um die Sicherheit dieser Standorte zu gewährleisten.“

Im Klartext heißt das:

Liebe Syrerinnen und Syrer,

wir, die einst vollmundig die „Freunde Syriens“ gegründet haben, wollten Euch nur mitteilen, dass ihr aus Europa, wie schon seit Jahren, keine Unterstützung zu erwarten braucht.  Es wird einmal mehr blutig werden und wir hoffen, die Bilder werden nicht zu furchtbar. Ihr habt einfach 2011 einen Fehler gemacht, gegen Assad auf die Straße zu gehen und zu glauben, irgend eine ominöse Weltgemeinschaft würde Euch ernsthaft unterstützen. Wir zumindest hatten nie vor, uns mit dem Iran oder gar Russland anzulegen.

Dafür haben wir der Türkei einen Grenzzaun finanziert, damit Ihr nicht mehr fliehen könnt, denn Flüchtlinge aus Syrien stellen für uns Europäer ein Problem dar. Der Zaun ist jetzt fertig, Ihr müsst also in Syrien bleiben. Sicher, das ist nicht schön, aber so ist die Welt nun einmal. Findet Euch damit ab.

Sicher, in Syrien wurden Hunderttausende umgebracht, zu Tode gefoltert oder verschwanden einfach. Das alles wissen wir, ist ja minutiös dokumentiert. Aber mit solchen Realitäten muss man sich abfinden und sobald es dann in Idlib vorbei sein wird, werden wir in Gesprächen mit Damaskus auch ganz sicher die schlechte Lage der Menschenrechte thematisieren. Das sind wir schließlich der europäischen Wertegemeinschaft schuldig.

Und von nun an wissen anderswo Demonstranten gegen Regime, mit denen wir lieber Dialoge führen, immerhin, dass sie sich besser auf irgendwelche Aussagen von uns nicht verlassen sollten. Das müssen wir so sagen, auch wenn es nie so gemeint war.

Aber glaubt uns, schön finden wir das alles auch nicht und unser Mitgefühl habt Ihr.