Montag, 14.10.2019 / 08:17 Uhr

Robocop for President

Von
Bernd Beier, Tunis

 

 

Es ist der Abend des zweiten Durchgangs der Präsidentschaftswahl in Tunesien. Auf dem Weg In Richtung der Prachtmeile der Stadt, der Avenue Bourguiba, fangen plötzlich die Taxis an zu hupen wie wild. Auf den Stufen des Theaters in der Avenue quetschen sich Hunderte meist junger Leute zusammen, schwenken die tunesische Flagge, singen und brechen in Spechchöre aus. Die Straße ist für den Verkehr gesperrt, die Polizeipräsenz beträchtlich.

Das „Volk“ hat es mit seiner Wahl von Kais Saied der „Elite“ gezeigt.

Am Ende der Avenue, vor dem beleuchteten Uhrturm und nahe dem berüchtigten, mit Metallgittern abgesperrten Innenministerium, hat eine Menschenmenge die Straße in Besitz genommen, viele Familien mit vielen Kids, Alte und Junge. Hin und wieder singt die Menge die Nationalhymne. Feuerwerksraketen erhellen die Nacht. Nur eine schmale Gasse bleibt für hupende Autos. „Kais hat gewonnen“, sagt ein Mittzwanziger begeistert, sein neben ihm auf der Einfassung um den Uhrturm sitzender Freund nickt.

 

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(Bild: Lange her: Proteste auf der Avenue Habib Boughiba 2012. Quelle)

 

Kais, das ist Kais Saied, der Rechtsprofessor, auch bekannt als „Robocop“, wegen seiner eisernen Miene bei öffentlichen Auftritten, seiner trockenen Law-and-order-Rhetorik in klassischem Arabisch und seiner Schwäche für die Todesstrafe. Er hat keine Partei hinter sich, gilt als unbestechlich und hat vor allem von den Ergebnissen der Revolte von 2011 enttäuschte Jugendliche als Wahlkampfhelfer in den sozialen Medien hinter sich geschart. Mit etwa 75 Prozent der abgegebenen Stimmen hat er seinen Rivalen im zweiten Wahlgang, den Milliardär und TV-Unternehmer Nabil Karoui, vernichtend geschlagen. Der wurde drei Tage vor dem zweiten Wahlgang aus dem Knast entlassen, wo er im August unter dubiosen Umständen aufgrund eines seit längerem anhängigen Verfahrens wegen Geldwäsche und Korruption gelandet war. Beide präsentierten sich im Wahlkampf als Anti-System-Kandidaten.

 

Unter dem Uhrturm bildet sich ein Zug, der die Avenue Bourguiba hinunterläuft. Immer mehr Leute schließen sich ihm an. Rhythmisches Klatschen, Sprechchöre, das Singen der Nationalhymne, das gellende Yuyuyu von Frauen wechseln sich ab. Es ist eine enthusiastische Atmosphäre. An einer Ecke steht eine Handvoll älterer Bärtiger in langen weißen oder beigen Gewändern. „Allahu akbar“, ruft einer von ihnen immer wieder. „Allahu akbar takbir“, ergänzt ein junger schlaksiger Typ mit Haarknoten im Vorbeigehen sarkastisch und lacht. Das Hotel International gegenüber vom Theater ist mit Gittern abgesperrt, dahinter eine Armada von Polizeifahrzeugen und Cops mit Sturmgewehren. Alles unter Kontrolle.

 

Aber es ist Jahre her, dass an beiden Enden der Avenue, nahe der französischen Botschaft und vor dem Innenministerium, Panzer postiert waren. Doch noch vor wenigen Monaten hatte es zwei koordinierte jihadistische Selbstmordattentate im Zentrum von Tunis gegen die Ordnungskräfte gegeben.

 

An diesem Abend spielt all das keine Rolle, der Enthusiasmus überwiegt bei den Tausenden und Abertausenden in der Avenue Bourguiba. Das „Volk“ hat es mit seiner Wahl von Kais Saied der „Elite“ gezeigt. Was daraus wird, steht auf einem anderen Blatt.