Montag, 27.07.2020 / 09:17 Uhr

Kommt die Rettung aus China?

Von
Oliver M. Piecha

Ist China dabei den Nahen Osten zu übernehmen, oder hoffen bloß ein paar marode Regime auf eine Finanzspritze aus Peking?

 

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(Bildquelle: Iranian.com)

 

An China kommt man derzeit in den Nachrichten nicht vorbei: die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hong Kong, die Konfrontation mit den USA, und die brutale Unterdrückung der Uiguren machen Schlagzeilen; ob es Corona ist, der globale Expansionskurs Pekings, oder die Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von Lieferketten, um China scheint sich mittlerweile die Welt zu drehen.

Dabei wird es schwierig zu entscheiden, was hier noch Realität ist, und was schon gedankliche Unterwerfung in Folge eines Mythos von chinesischer Allmacht. Ein Beispiel für das Auseinanderklaffen von beeindruckenden Nachrichtenüberschriften und eher sperriger Realität bietet gerade der Nahe Osten – steigt hier China nun ganz groß ein? Übernehmen die Chinesen nun selbst diese verminte und ruinierte Region voller Konfliktherde im Handstreich?

Wendet sich China dem Nahen Osten zu?

Der New York Times wurde gerade der Entwurf eines iranisch-chinesischen Investitions- und Sicherheitspakts zugespielt. Der Iran bekomme eine Rettungsleine zugeworfen, liest man dort, und die USA würden herausgefordert. Und seit Wochen geht das Geraune um einen „östlichen Schwenk“ in der Region, angeblich steht China nämlich bereit, den bankrotten Libanon zu retten. In Foreign Policy konnte man lesen: „Einer der am stärksten verwestlichten Außenposten im Nahen Osten fällt auseinander – und sucht im Osten nach einer weichen Landung.“

Das wären nun in der Tat bemerkenswerte Nachrichten: Stellt sich die chinesische Führung mit einem Bündnisangebot an den Iran nun im Nahen Osten offensiv den USA entgegen? Und verdrängt sie mal eben so im Libanon jahrzehntelangen westlichen Einfluss? Als ein Land wohlgemerkt, dass sich bisher in die diffizilen Problemlagen des Nahen Ostens direkt politisch nicht eingemischt hat und hier auch keine historische Bezüge hat. Das klingt wundersam.

Die Realität des chinesischen Engagements im Iran ist dagegen bisher eher bescheiden, im Libanon gibt es überhaupt keine chinesischen Investitionen.

Eine erste Antwort auf die Frage nach dem Realitätsgehalt wäre: Als Propaganda macht das was her und lässt sich benutzen – und zwar von allen möglichen interessierten Seiten. Immerhin hat der amerikanische Außenminister Pompeo jüngst getwittert: „Wir beobachten, wie sich die Welt zusammenschließt, um die Bedrohung durch die Kommunistische Partei Chinas zu verstehen.“

Und diese Bedrohung ist eben allgegenwärtig, nun auch im Nahen Osten. Für die iranische Führung, die Hisbollah und die versammelte korrupte politische Elite des Libanon wiederum ist die Vision von Chinas Auftreten im Nahen Osten als Großmacht ein feuchter Traum.

Von Sanktionen, Bankrott und wirtschaftlicher Stagnation an die Wand gedrängt, stellt man sich den chinesischen Einfluss offenbar als so etwas wie ein Füllhorn vor, aus dem es Milliarden von Dollars, ganze Kraftwerke, Waffen und Fabriken regnet. Und das alles zum Nulltarif.

Auch für Peking machen sich die warnenden Analysen, es sei dabei, im Nahen Osten eine große Rolle zu übernehmen, bezahlt; dort kann man immerhin die Amerikaner ärgern und den Westen vorführen, wie mit den Abstimmungen im Sicherheitsrat, als China gemeinsam mit Russland die humanitäre Hilfe für Syrien blockierte.

Bislang bescheidenes Engagement

Die Realität des chinesischen Engagements im Iran ist dagegen bisher eher bescheiden, im Libanon gibt es überhaupt keine chinesischen Investitionen, und dass sie jemals getätigt werden sollten, ist eher unwahrscheinlich.

Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, von der die dysfunktionale libanesische Regierung abhängig ist, hat das ganze Elend  in einer Videobotschaft an seine Anhänger Mitte Juni pointiert formuliert: „Chinesische Unternehmen sind bereit, Geld zu geben, und zwar ohne die Komplikationen, über die wir im Libanon sprechen. Wir müssen ihnen kein Geld geben, sie werden Geld ins Land bringen.“

Selbstlosen Chinesen, die einfach so ihr Geld herbeitragen, um es im korrupten Libanon versenken, man darf an diesem aparten Bild wohl Zweifel hegen.

Allerdings besuchte der chinesische Botschafter publikumswirksam den libanesischen Regierungschef und ein angebliches Angebot Chinas machte die Runde, man wolle mit Kraftwerksbauten die marode Energieversorgung des Libanon neu aufbauen, einen Tunnel durch das Gebirge, um die Bekaaebene  – ein Kerngebiet der Hisbollah – mit der Küste zu verbinden, soll es angeblich noch obendrauf geben.

Im Libanon herrscht Hyperinflation, Staat und Gesellschaft kollabieren

Die Realität ist, wie gesagt prosaischer, damit sich Kraftwerksbauten rentieren, sollte zumindest geklärt sein, dass Stromrechnungen regulär bezahlt werden. Aber das ist noch das geringste Problem, denn angesichts der Krise im Libanon ist überhaupt die Frage, wie der libanesische Staat in der Zukunft aussehen könnte, wenn solche langfristigen Investitionen greifen, und ob es ihn dann überhaupt noch gibt.

Im Libanon herrscht Hyperinflation, Staat und Gesellschaft kollabieren, und die Verhandlungen über ein Nothilfepaket des Internationalen Währungsfonds über 10 Milliarden Dollar – denen eine ähnlich hohe Summe aus früheren Investitionszusagen folgen sollte – sind ausgesetzt worden. Die libanesische Regierung weigert sich, über Reformen zu verhandeln und den genauen Schuldenstand offen zu legen. Die Schätzungen über die wirklichen Schulden liegen im zweistelligen Milliardenbereich auseinander.

Zudem ist trotz einer desolaten Lage, in der nicht einmal mehr die Krankenhäuser funktionieren, das Hauptproblem vieler libanesischer Politiker ihre eigenen Konten zu retten und von einem geforderten Schuldenschnitt auszunehmen. Weder die Monarchien am Golf, noch die USA oder Frankreich als alte Schutzmacht sind gewillt, in diesem Konkurs Geld zu verbrennen.

Propagandistisches Getöse

Nein, die „weiche Landung“, von der in Foreign Policy zu lesen war, wird es für den Libanon nicht geben. Bei alldem geht es nur um propagandistisches Getöse. Man will seine eigenen Anhänger mit überirdischen Visionen vertrösten, und die Europäer und Amerikaner beim Herumschachern ein bisschen verschrecken. Von den vielen Milliarden Dollar, die die Chinesen in der letzten Dekade tatsächlich im Nahen Osten investiert haben, hat der Libanon praktisch im Gegensatz zu allen anderen Ländern überhaupt nichts abbekommen.

Die Ankündigung fiktiver Investitionen hat so etwa in Syrien die Rolle real getätigter Investitionen praktisch ersetzt.

Am meisten haben die Chinesen in den Vereinigten Arabischen Emiraten investiert, gefolgt von Saudi-Arabien. Ägypten hat etwas bekommen, der Irak und die geringen Investitionen in Syrien liegen alle vor dem Ausbruch des Krieges.

Auch in Bezug auf Syrien wurde in den vergangenen Jahren immer gerne gemunkelt, China wolle beim Aufbau die Rolle des Westens übernehmen. Womöglich würden die Chinesen das tatsächlich gerne tun – wenn denn in der Region endlich einmal Frieden herrschte und es stabile ökonomische Bedingungen für Investitionen gäbe. Die gibt es aber nicht, dafür stehen allein schon korrupte Regime, die weder Rechtssicherheit noch reguläre ökonomische Abläufe garantieren können.

Die Ankündigung fiktiver Investitionen hat so etwa in Syrien die Rolle real getätigter Investitionen praktisch ersetzt.

Unterschiedliche Traditionslinien

Mit dem potentiellen Iranisch-chinesischen Abkommen ist es auch so eine Sache; wirklich klar ist dabei nur eines, es wird tatsächlich über ein langfristiges Rahmenabkommen verhandelt, die Rede ist von 25 Jahren. Angeblich sollen 400 Milliarden Dollar über diesen Zeitraum investiert werden, die Rede ist von Flughäfen, Schnellbahnen, U-Bahnen, Ölfördereinrichtungen.

Mit einem Wort: Auch hier wieder ein Füllhorn. Was dabei bloße schöne Worte, vage Absichtserklärungen für fernste Zukünfte oder aber kurzfristig umsetzbare Investitionen sein mögen, ist kaum zu entscheiden. Über die jeweiligen Interessen beider Seiten kann man wirklich sicher nur folgendes sagen: China bezieht iranisches Öl und ist an einer sicheren und billigen Versorgung interessiert, während die Islamische Republik ökonomisch mit dem Rücken zur Wand steht und nach jedem Strohhalm greifen muss.

Die in ihrer Not erpressbar gewordenen Mullahs hätten zwar vermutlich alles Mögliche von chinesischer Seite Vorgelegte unterschrieben.

Die chinesischen Investitionen im Iran lagen dabei in den letzten zehn Jahren mit 16,5 Milliarden Dollar nur knapp fünf Milliarden Dollar über denen in Israel – mit fast 30 Milliarden Dollar  hat jedoch Saudi Arabien im gleichen Zeitraum mehr als die beiden zusammen abbekommen. Auch das ein Hinweis drauf, dass China zumindest bisher eher unideologisch oder vielmehr gewinnorientiert investiert hat.

Die Welt funktioniert eben nicht unbedingt so, wie Hassan Nasrallah das seinen Anhängern erzählt. China hat nämlich offenbar sehr konkrete und weitreichende Vorstellungen, was man für Investitionen im Iran als Gegenleistung haben möchte. Die Chinesen haben in den letzten Jahren eine eigene imperialistische Tradition entwickelt, bei der man Länder in Schuldenfallen laufen lässt, um dann die von einem selbst gebauten Infrastrukturprojekte in eigener Regie übernehmen zu können.

Der Iran wiederum hat nicht zuletzt durch die Staatsideologie der Islamischen Republik eine antiimperialistische Traditionslinie. Und hier sind die beiden künftigen Partner doch etwas unglücklich aneinandergeraten. Die in ihrer Not erpressbar gewordenen Mullahs hätten zwar vermutlich alles Mögliche von chinesischer Seite Vorgelegte unterschrieben, aber das hat erkennbar einigen Leuten auf iranischer Seite nicht gepasst.

Es liest sich so, als seien die entsprechenden Unterlagen der New York Times von iranischer Seite zugesteckt worden. Der ehemalige Präsident Ahmadinejad polterte jedenfalls gegen die angebliche Verletzung der iranischen Souveränität durch die Chinesen, aber auch der Sohn des Schahs meldete sich mahnend zu Wort, und vor der chinesischen Botschaft in Washington demonstrierten Exiliraner. Außenminister Scharif musste nun auch erklären, man werde keine handbreit Boden an China oder sonst jemanden abtreten.

Zur Posse wurde die Frage iranischer Souveränität mit einem Interview Mahmoud Ahmadis, einem Mitglied des Nationalen Sicherheitskomitees des iranischen Parlaments. Er plauderte freimütig aus, dass die Chinesen die Kontrolle über iranische Inseln im Persischen Golf gefordert hatten.

Kurz darauf meldet sich der Politiker mit einer Stellungnahe zurück, es habe sich bei den Äußerungen um seine persönliche Meinung und ein verkürztes Interview gehandelt, überhaupt habe er die Angelegenheit nunmehr studiert, und seine früheren Äußerungen seien keiner weiteren Aufmerksamkeit wert. Da hatte ihm wohl jemand von etwas weiter oben erklärt, dass man ein bisschen Geld aus China wirklich ziemlich dringend bräuchte.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch