Mittwoch, 29.12.2021 / 22:14 Uhr

Es braucht einen palästinensischen Frühling

Von
Gastbeitrag von Mohammed Altlooli

Bildquelle: FB-Seite "Free Gaza from Hamas"

Wollen die Palästinenser ihre Lebensbedingungen verbessern, müssen sie das Hamas-System und das System der Autonomiebehörde ändern, denen sie ihr Leid zu verdanken haben.

 

Etwa 93% der arabischen Bevölkerung Ost-Jerusalems würden es vorziehen, unter israelischer Souveränität zu leben, wie eine neue Umfrage des Palestine News Network ergab. Es wäre interessant, wenn solch eine Umfrage auch unter den Bewohnern des Gazastreifens und des Westjordanlandes durchgeführt werden würde, um deren Meinungen und Wünsche bezüglich der von ihnen angestrebten Regierungsform kennenzulernen.

Da das Palestine News Network solch eine Umfrage nicht zur Verfügung gestellt hat, muss ich mich für meine Einschätzungen auf meine Beziehungen zu Menschen stützen, die im Gazastreifen leben und mit denen ich immer noch in Kontakt stehe.

Die Positionen der Bewohner des Westjordanlandes sind zwar noch eher in Zeitungen und Medien zu finden als jene des Gazastreifens, aber ungefährlich ist es auch dort nicht, diese Positionen offen auszusprechen.

So wurde etwa Nizar Banat, ein politischer Aktivist, der gegen die Autorität des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas opponiert hatte, beschuldigt, den Geist der Bevölkerung zu verhöhnen, bevor er durch Sicherheitskräfte in Ramallah ermordet wurde, die sein Haus stürmten, ihn vor den Augen seiner Frau schlugen, ihn festnahmen und schließlich in ihren Ermittlungskellern töteten.

Die veröffentlichte Meinung genießt das Vertrauen der Bevölkerung nicht, solange sie nicht offen über die Repression gegen jede Opposition berichtet. Niemand in den Medien wagt es, Abbas zum Rücktritt aufzufordern – was nur bedingt verwunderlich ist, angesichts der Tatsache, dass man dies nicht tun kann ohne von den Sicherheitsdiensten der Palästinensischen Autonomiebehörde verhaftet und bestraft zu werden.

Mit dem Auftreten der Palästinensischen Autonomiebehörde unzufrieden zu sein, ist bloß solange in Ordnung, solange man dies nicht allzu öffentlich tut oder gar etwas unternimmt, um die Situation zu ändern.

Das korrupte islamische System in Gaza ist noch schlimmer: ein Regime, unter dem zwei Millionen Palästinenser leben und durch das sie den schrecklichsten Verhältnissen ausgesetzt sind: Stromausfällen und Wasserverschmutzung, Zerstörung der Infrastruktur und einer hohen Rate an extremer Armut.

Die Früchte des Arabischen Frühlings konnten nicht von der Bevölkerung geerntet werden, sondern sie wurden von den Regimen sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland an sich gerafft.

Unausgesprochener Wunsch …

Das Palestine News Network sollte auf die Ansichten der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland hören, die sich über eine Rückkehr der israelischen Verwaltung freuen würde.

Viele Palästinenser halten ihr politisches System für weniger wichtig als ihre persönlichen Probleme und ihre mit Füßen getretenen Träume. Da sie aber nicht in der Lage sind, es zu ändern, wünschen sie sich eine Rückkehr der israelischen Herrschaft, unter der es ihnen materiell besser ging.

Abu Iyad, in seinen Fünfzigern, lebt in der Stadt Beit Lahiya, östlich von Dschabaliya, direkt an der Grenze zwischen Gaza und Israel. Er ist der Meinung, dass die Mehrheit der Palästinenser die Rückkehr der israelischen Herrschaft herbeisehne und diese den palästinensischen Machthabern vorziehe; und dass er dies nicht bloß so dahersage.

Er erklärt, dass in den Tagen der israelischen Verwaltung des Gazastreifens die Menschen zwar mit Steinen auf die Armeekräfte losgingen, morgens aber nach Tel Aviv zur Arbeit fuhren. Israel sei den Rechten der Bevölkerung auf Elektrizität, Infrastruktur, sanitäre Einrichtungen und Bewegungsfreiheit verpflichtet gewesen, obwohl es – aus Sicherheitsgründen – Barrieren zwischen den Gouvernements des Gazastreifens gab.

Was den palästinensischen Bürger am meisten schmerzt, ist die Tatsache, dass er Ungerechtigkeit, Verarmung, Diebstahl, Tötung und Verhaftung durch seine – in den Diensten der Hamas stehenden – palästinensischen Landsleute ausgesetzt ist. Es sei nicht Israel, das den Menschen all das angetan hat und antut, sondern die Hamas und Autonomiebehörde von Mahmud Abbas.

… der sich eines Tags erfüllen möge

Das ist die Haltung, die die Menschen in Gaza in ihrem Herzen tragen, und die sie sich nicht zu äußern trauen, weil der Preis dafür Verhaftung oder Tod wäre. Vielmehr bleibt sie ein Wunsch, von dem sie hoffen, dass er sich eines Tages zu erfüllt.

Auch aus dem Westjordanland wird berichtet, dass jene Menschen, die durch ihre Arbeit in Israel eine Einkommensquelle finden, um ihr Leben verbessern, nicht auf die Hilfe der Palästinensischen Autonomiebehörde warten, die sich hauptsächlich auf ihre Gefolgsleute beschränkt. Auch sie leiden unter dem System, unter dem sie leben.

Der Arabische Frühling muss im Gazastreifen und im Westjordanland wieder aufblühen – und endgültig das System ändern, das all die Jahre das Leid der Bevölkerung verursacht hat.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch