Montag, 13.06.2022 / 13:37 Uhr

Weitere UN-Hilfslieferungen nach Idlib fraglich

Von
Gastbeitrag von Martina Paul

Bab al Salam Grenzübergang, Bildquelle: Wikimedia Commons

Im Jänner dieses Jahres beschloss der UNO-Sicherheitsrat die Verlängerung des Mandats bis Juli, um Hilfslieferungen in das von Islamisten gehaltene Gebiet zu ermöglichen. Wie es danach weitergehen wird, hängt von Russland ab.

 

Seit elf Jahren tobt in Syrien ein Bürgerkrieg, der an die zwölf Millionen Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben hat. Viele haben es ins Ausland geschafft, doch mindestens vier Millionen von ihnen kamen nur bis Idlib. Hier, im Nordwesten des Landes, leben sie in völlig überfüllten Flüchtlingslagern. Umgeben sind sie von Dschihadisten und Rebellen, denn die Provinz Idlib ist der einzige Landesteil, den der syrische Machthaber Baschar al-Assad noch nicht zurückgewinnen konnte.

Unter islamistischer Kontrolle

Idlib wird seit dem Jahr 2017 von einer islamistischen Miliz namens Haiat Tahrir al-Scham (HTS) beherrscht. Das »Komitee zur Befreiung der Levante« ist aus der Terrororganisation al-Qaida hervorgegangen und wird von Abu Muhammad al-Julani, einem ehemaligen al-Qaida-Kommandeur, angeführt.

Die Miliz wird, obwohl von der UNO als Terrororganisation gelistet, von der Türkei unterstützt, die Soldaten in der Provinz stationiert hat und humanitäre Hilfe leistet. Diese Hilfe ist nicht uneigennützig, denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist darauf bedacht, sich in Syrien so viel Einfluss wie möglich zu schaffen, um die fast vier Millionen von Flüchtlingen, die in der Türkei ausharren, wieder nach Syrien zurückschicken zu können. Dafür bietet sich die Provinz Idlib an, da sie direkt an der Grenze zur Türkei liegt.

Einziger Grenzübergang

In viel größerem Ausmaß als die Türkei versorgt die UNO seit 2014 die Millionen von Menschen, die hier gestrandet sind, mit Hilfsgütern und Lebensmitteln. Etwa achthundert Lkw schickt die UNO jeden Monat zu den Flüchtlingslagern. Um dorthin zu kommen, müssen sie den türkischen Grenzübergang Cilvegozu passieren, der in Syrien Bab al-Hawa genannt wird.

Dieser Grenzübergang ist der einzige erlaubte Durchgangspunkt für UN-Hilfsgüter, um nach Idlib zu kommen. Er liegt an der strategisch wichtigen Verbindungs- und Handelsstraße zwischen dem syrischen Aleppo und dem türkischen Antakya. In einem Bericht von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres vom Jänner dieses Jahres heißt es, dass dieser Grenzübergang »unerlässlich« ist für die Versorgung der vier Millionen Menschen, die hier in der Region leben.

Mandatsverlängerung?

Doch wie lange die UN-Hilfe bei den Bedürftigen noch ankommen wird, ist zurzeit ungewiss. Das UN-Mandat für die Versorgung gilt zwar noch bis zum 10. Juli, für eine Verlängerung ist jedoch eine Abstimmung im UN-Sicherheitsrat notwendig. In der Vergangenheit gingen diese Abstimmungen letzten Endes eher problemlos über die UN-Bühne, doch nun hat Russland wieder einmal gedroht, mittels Vetorecht die Erneuerung der Genehmigung für die Hilfslieferungen zu blockieren.

Russland möchte, als Verbündeter des syrischen Machthabers, dass die UN-Transporte nicht mehr über den von der HTS kontrollierten Grenzübergang Bab al-Hawa ins Land kommen, sondern über Gebiete, die von Baschar al-Assad beherrscht werden. Dadurch kämen allerdings wesentlich weniger Versorgungsmittel direkt zu den Vertriebenen, die jetzt in Idlib leben.

Leidtragende wären Flüchtlinge

Unmittelbar nach Präsentation dieses Vorschlags bzw. der russischen Drohung, die Erneuerung der Genehmigung zu blockieren, hagelte es an Protesten von allen Seiten. »Ich denke, es wird eine Katastrophe, wenn die Resolution nicht erneuert wird«, sagte Mark Cutts, ein hochrangiger UN-Beamter für humanitäre Hilfe. Linda Thomas-Greenfield, US-Gesandte bei den Vereinten Nationen, befürchtet, dass durch die Schließung des Grenzübergangs »das Leid noch verstärkt« wird.

Der syrische Rettungshelfer Ammar al-Selmo, ein Mitglied der Weißhelme, einer Gruppe, die sich vor allem für die Rettung von Zivilisten nach russischen Luftangriffen einsetzt, sagt: »Für dieses Mandat gibt es keine Alternative.« Sara Kayyali, Syrien-Forscherin bei Human Rights Watch, meinte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass es nur sehr wenige »brauchbare Alternativen zur grenzüberschreitenden Operation der UN« gebe.

Die russische Veto-Drohung wird von politischen Beobachtern als »Retourkutsche« für die gegen Russland verhängten Sanktionen wegen des Angriffs auf die Ukraine eingeschätzt. Ob die Menschen in Idlib auf die UNO-Hilfe weiter zählen können, hängt also einzig und allein von Wladimir Putin ab.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch