Auf einen Kaffee mit Stereo Total

»Wir hassen Perfektion«

Seite 3 – Lust am Analogen

Mit Lust arbeiten Stereo Total also mit analogen Aufnahmegeräten, schon die Technik sorgt dafür, dass alles etwas roher klingt. Gerade die Platten, deren Produktionsprozess chaotisch war, gefallen Göring besser als andere. »Man kann das hören.« Ist das das Menschliche darin? So weit würde das Duo nicht gehen.

Sie geben allerdings Handlungsanleitungen zur Menschwerdung: »Welcher Idiot hat mich geweckt / ich träum’ so schön in meinem Bett«, heißt es im Song »Cinémascope«, in dem sich auch diese Zeilen zu Ehren aller Tagträumerinnen und -träumer finden: »Die ganze Woche tu ich nichts / am Wochenende erhole ich mich.« In »Ich bin cool«, dem vielleicht besten Stück des Albums, scheitert jemand an der Verheißung, sich mit Hilfe von Waren in alles verwandeln zu können. »Brezel Says« ist eine freundliche Betrachtung des sich missverstanden fühlenden Künstlers und eine entzückende Anspielung auf »Candy Says« von The Velvet Underground. Auch in all den anderen Texten geht es immer wieder um Liebe, ums Scheitern, um Hoffnungen und Enttäuschungen, um die Illusionen, die Menschen sich selbst machen – das alles wie stets in einer Sprache, in deren ­Einfachheit viel Arbeit steckt.

Mit dieser alten Indie-Haltung, die dem Pop gegen seine kommerzielle Verwendbarkeit einige Aufmüpfigkeit entlocken will, sind sie doch auch reichlich pädagogisch, oder nicht? »Ich möchte nicht, dass unsere Band pädagogisch wirkt«, sagt Cactus, »und sie tut es dann natürlich doch. Vielleicht ist es schon Pädagogik, wenn junge Mädchen bei unseren Konzerten sind und dann sehen sie mich alte Schachtel da hinterm Schlagzeug und ich erlaube mir das. Dann ist das so.«

In dieser Art des Sich-Erlaubens, kann man die Haltung, die die Band seit 26 Jahren auszeichnet, sehr gut erkennen – es ist das »Wir lassen uns nichts verbieten«, das glückliche Kinder rufen, bevor sie zu Konsumenten und Fachidioten werden. »Es ist nicht leicht« – mit diesen Worten beginnt der Eröffnungssong von »Ah! Quel Cinéma!« Er heißt »Einfach«, und die Band stellt darin fest: »Es ist nicht leicht / einfach zu sein«. Sich seine Kunst einfach über so viele Jahre zu erlauben, ist noch schwerer. Doch Stereo Total fällt es anscheinend leicht.

Stereo Total: Ah! Quel Cinéma! (Tapete ­Records/Rough Trade)