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Mittwoch, 02.06.2021 / 09:20 Uhr

Keine Perspektive in Gaza

Von
Mohammed Altlooli

Bild: Simon Mannweiler / Wikimedia Commons

Der Krieg ist vorbei, für die Menschen in Gaza bleibt die Lage ohne Perspektive.

 

Der Krieg zwischen der Hamas und Israel ist vorbei, es herrscht ein Waffenstillstand und in den Medien wird kaum noch über die Lage der Menschen in Gaza berichtet. Sie aber sind diejenigen, die den Preis für diesen Wahnsinn bezahlen und seit Jahren bezahlen. Ich schreibe diesen Text, während ich in Deutschland sitze und die Menschen sich an dem schönen Wetter freuen. Aber ich kann mich nicht wirklich mit ihnen freuen, da ich an die schwierige Situation meiner Familie und Freunde in Gaza denke, die ich verlassen musste, weil die Hamas es mir nicht erlaubte weiter mit ihnen zu leben. Das ist das Schicksal von uns Flüchtlingen: Nicht nur fürchten wir jeden Tag, dass unser Asylsuchen abgelehnt wird, in Gedanken sind wir immer auch bei denen, die wir zurückgelassen haben.

Ich schreibe dies auch in der Hoffnung, dass sich vielleicht jemanden finde, der mir hilft, meiner Familie beizustehen, damit auch sie wein wenig Freude hat. Meine Familie besteht aus achtzehn Mitgliedern. Mein Vater wurde verletzt und sein Bein musste amputiert werden, als er Anfang der 90er Jahre in Israel arbeiten wollte, aber durch Kugeln der israelischen Armee verletzt wurde, was das Leben unserer einfachen Familie, die in einer kleinen Wohnung im Jabalia Flüchtlingslager lebt, stark beeinträchtigte.

Da ich in letzter Zeit einiges geschrieben habe, interessieren sich jetzt auch größere Zeitungen für meine Geschichte und das Schicksal derjenigen, die es wagen in Gaza gegen die Hamas ihre Stimme zu erheben. So wurde ich kürzlich für die Neue Zürcher Zeitung interviewt und konnte etwas über ihr Schicksal erzählen:

Die Familie von Mohammed al-Altlooli lebt beispielsweise mit achtzehn Personen in einem einfachen kleinen Haus im Norden des Gazastreifens. Der Vater, seine beiden Ehefrauen und ihre gemeinsamen Kinder bekommen wegen ihres Flüchtlingsstatus – der nur bei Palästinensern vererbt werden kann – Lebensmittelpakete mit Grundnahrungsmitteln, gesundheitliche Versorgung und Schulausbildung vom Uno-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA).

«Die Hamas hat uns in einen Krieg gestürzt, weil sie keine Lösung für die Probleme in Gaza hat»

Darüber hinaus versuchen sie sich mit traditionellen Stickereien und anderen Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. «Während der Luftangriffe hat sich meine Familie in einem Raum versammelt und auch dort geschlafen», sagt Altlooli. Sie hätten das Haus nur im Notfall verlassen, sich von möglichen Zielen der Israeli ferngehalten und sich in nichts eingemischt.

Zum Glück ist meine Mutter eine Künstlerin, die traditionelle palästinensische Folklore herstellt, um mit meinem Vater so die Ausgaben für den Haushalt zu teilen. Das ging früher einigermaßen, aber durch Ereignisse der letzten Monaten, die schon schwierige Situation durch Corona und nun den Krieg leidet meine Familie Not. Außerdem wirkt sich meine Aktivität negativ auf sie aus, ich gelte als erklärter Gegner der Hamas und darunter hat auch meine Familie zu leiden, denn sie bekommt jetzt keine Unterstützung von den Parteien mehr. Zwar haben sie ein Recht auf Essensrationen von der UNRWA, aber mit Linsen, Zucker und Mehl können sie nicht überleben. Es bedrückt mich, dass meine Familie, bestehend aus Studentinnen und Studenten, Schülerinnen und Schülern nicht weiß, wie sich in der nächsten Zeit über die Runden kommen kann und ich kann ihnen nicht helfen. Schlimmer noch, zum Teil müssen sie leiden, weil ich mich entschieden habe, nicht länger über das Unrecht, das den Menschen in Gaza angetan wird, zu schweigen.

Immer mehr Menschen denken an Flucht

In diesem Interview sage ich es offen und ich weiß, dass die Hamas es auch liest:

«Die Hamas steckt jeden, der widerspricht, ins Gefängnis, wo man beleidigt und geschlagen wird», (...) Oft sei er mit einem Drohanruf abends ins Bett gegangen und mit den Sirenen von Polizeiwagen vor seinem Haus morgens aufgewacht. Oppositionelle würden mit Gewalt zum Schweigen gebracht, so dass es immer weniger kritische Stimmen gebe.

Immer mehr Palästinenser wollten Gaza verlassen und nach Europa fliehen. Besonders jetzt, wo noch mehr zerstört sei und noch mehr nicht funktioniere, wachse die Wut auf die Hamas. Doch die Menschen unterdrückten diese Wut, weil sie sonst mit Waffen konfrontiert würden. «Nicht wenige wissen auch, wo die Tunnel sind, wagen aber aus Angst vor der Hamas nicht, etwas zu sagen.» Niemand will sich vorwerfen lassen, den Widerstand zu schwächen oder ein Spion Israels zu sein.

«Die Hamas hat uns in einen Krieg gestürzt, weil sie keine Lösung für die Probleme in Gaza hat», sagt Altlooli. Die Tragik besteht allerdings darin, dass die Palästinenser kaum politische Alternativen haben, selbst wenn nach fünfzehn Jahren tatsächlich erstmals wieder gewählt würde. Die rivalisierende Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, die im Westjordanland regiert, ist in viele Fraktionen zersplittert, sie gilt als zutiefst korrupt und politisch kaum weniger repressiv als die Hamas.

Schon nach dem Krieg 2014 haben sich einige Palästinenser im Gazastreifen, die vor den Trümmern ihrer Häuser standen, gewünscht, die Israeli würden zurückkommen und regieren. Immerhin funktionierte unter israelischer Besatzung die Infrastruktur, es gab ein gemeinsames Industriegebiet an der Grenze, und viele fanden in Israel Jobs. «Inzwischen ist der Wunsch, die Israeli sollten zurückkommen, fast schon zu einer populären Forderung geworden», erzählt Altlooli. Eine bizarre Bilanz nach fast fünfzehn Jahren Hamas-Herrschaft.

Jedesmal frage ich mich, ob ich so offen sprechen soll, wenn am Ende meine Familie darunter zu leiden hat. Auch so geht es vielen anderen Flüchtlingen, die ich inzwischen kennen gelernt habe und nur wenige Menschen hier in Europa können sich vorstellen, was es bedeutet, endlich in Freiheit zu sein und sich an dieser Freiheit nicht so freuen zu können, wie wir es erhofft hatten. Gäbe es diese Freiheit nicht, müsste ich mich nicht jedes mal fragen, ob ich besser schweige, damit meine Familie keine Probleme bekommt.

Ich würde ihnen so gerne anders helfen, aber als Flüchtling habe ich diese Möglichkeiten nicht. Ich mag es nicht um Hilfe zu bitten, auch in Gaza, als wir gegen die Hamas demonstrierten, haben wir um keine gebeten, aber meine Familie geht mir nicht aus dem Sinn. Wer eine Idee hat, wie man ihr irgendwie helfen kann, den bitte ich mich zu kontaktieren: mohammedaltaluli@gmail.com.

Ich hoffe sehr, bald anerkannt zu werden und dann endlich in der Lage zu sein, für mich und auch sie zu sorgen.

 

Donnerstag, 27.05.2021 / 10:19 Uhr

Botschaft aus Gaza: Keine weiteren Kriege!

Von
Mohammed Altlooli

In Gaza nach dem Krieg 2014, Bild: UN Photo/Shareef Sarhan

Sollte die Hamas wirklich so populär sein wie es scheint, nachdem sie die Gefühle der einfachen Leuten erregt, dann müsste sie jetzt zu einer Einigung mit Israel kommen, die den Gazastreifen nicht nur wieder zu dem Status zurückbringt, in dem er sich vor dem Krieg befand. Wieso stimmte die Hamas dann einem Waffenstillstand zu, wo doch keinerlei nationale Ziele der Palästinenser erreicht wurden, weder in Jerusalem, noch in Sheikh Jarrah noch was die Blockade Gazas betrifft? Reicht ihr die Popularität, der sie sich jetzt in der Westbank und Jerusalem erfreut, die allerdings auf Kosten der Menschen in Gaza erkauft wurde? Wir wollen klare Antworten, wie sie sich die Zukunft der Menschen in Gaza vorstellt! Wir wollen Resultate, von denen die Menschen in Gaza profitieren, nicht Erklärungen man habe einen Sieg errungen und wir wollen keine solchen Waffenstillstände.

Sprechen wir es aus: Benjamin Netanjahu und die Hamas sind die Verursacher all der Zerstörungen und des Leides, weil sie ihre Posten retten und ihre Reputation verbessern wollten.

Die Legitimität, die die Hamas versucht mit den Opfern von Menschen in Gaza zu erreichen, ist eine Lüge. Als wir unter dem Slogan „Wir wollen leben“ friedlich gegen sie demonstrierten und minimale Versorgung und Infrastruktur forderten, geschah nichts. Im Gegenteil erhöhte sie noch die Steuern trotz israelischer Blockade. Wofür? Für die „Waffen des Widerstandes“, für die die Hamas die Bevölkerung von Gaza zahlen lässt.

So gewann sie jetzt Jerusalem und die West Bank, aber verliert den Gazastreifen, den sie nur mit Waffen und Gewalt regiert. Man mag es von außen nicht sehen, aber es entspricht der Wahrheit. Gerade schrieb mir jemand: „Als die Menschen in Gaza auf die Straße gingen und den Waffenstillstand feierten, jubelten sie nicht irgend einem Sieg zu, sondern feierten das Ende des Sterbens, zerbombter Häuser und getöteter Kinder. Das brachte die Menschen auf die Straße, nicht Unterstützung der Hamas. Unsere Sache ist größer als ihre Führer.“

Warum haben palästinensische Führer wohl solche Angst vor der Bevölkerung, in deren Namen sie sprechen und sogar Kriege führen?

Das ist Botschaft aus Gaza, man muss sie nur verstehen, denn wird sie offen verkündet, droht schwere Repression: Wir wollen keine weiteren Kriege! Wir wollen Frieden und Gerechtigkeit. Wir wollen, dass die Gefangenen frei kommen, aus den israelischen Gefängnissen und den Gefängnissen der Hamas. Wir wollen nicht zurück zu der Zeit vor dem Krieg, sondern in eine bessere Zukunft.

Wie wäre es mit freien Wahlen, fragen viele Menschen in Gaza. Warum haben wir nicht die Möglichkeit über diese Politik, deren Preis wir zahlen, abzustimmen? Aber die Hamas hat Angst vor solchen Wahlen. Da ähnelt die Mahmoud Abbas, der auch gerade Wahlen abgesagt hat. Warum haben palästinensische Führer wohl solche Angst vor der Bevölkerung, in deren Namen sie sprechen und sogar Kriege führen? Wie anders sähe unser Kampf um Gerechtigkeit und Selbstbestimmung aus, wenn unsere Führer gewählt wären und für sich beanspruchen könnten, wirklich im Namen des Volkes zu sprechen?

Der Autor engagierte sich im "Gaza Youth Movement", musste aus dem Gazastreifen fliehen und lebt, nach längerem Aufenthalt in einem Flüchtlingslager in Griechenland, inzwischen als Asylbewerber in Deutschland. Kürzlich veröffentlichte er einen Brief an die wirklichen Freunde der Palästinenser

Sonntag, 23.05.2021 / 12:42 Uhr

Das Regime in Teheran ist ein Feind des palästinensischen Volkes

Von
Mohammed Altlooli
Demonstration

Keine Freunde, Demonstration in Teheran

 

Bild:
twitter

Der Preis, den Palästinenser für Waffen und Geld aus Teheran zahlen, ist sinnlos vergossenes Blut.

Es sollte der Öffentlichkeit klar sein, dass die militärische und finanzielle Unterstützung des Iran für die islamistischen Milizen in Gaza nur den Interessen Teherans folgen. Das Regime versucht angesichts amerikanischer Drohungen und Sanktionen überall Kräfte in der Region zu stärken, um sich so vor Angriffen zu schützen. Nachdem der Iran und auch die Hizbollah nicht in der Lage waren, angemessen auf die Tötung Qasim Soleimanis zu reagieren, weil sie einen Krieg mit Israel oder den USA fürchteten, unterstützen sie nun Organisationen um in ihrem Auftrag zu kämpfen und so im Nahen Osten ein Gleichgewicht des Schreckens zu erreichen.

Als Palästinenser müssen wir uns aber dagegen wehren für nicht-palästinensische Zwecke zu sterben – ja überhaupt getötet zu werden. Unser Konflikt und Kampf mit Israel zielt nicht auf seine Existenz. Wir bestehen auf unsere nationalen Rechte aber nicht mit dem Ziel, Israel zu vernichten, das erklärte Ziel der Hamas, zu dem sie ständig aufruft.

Das hat Präsident Mahmoud Abbas immer deutlich erklärt, auch wenn wir mit seiner Art der Regierung und Verwaltung sehr unzufrieden sind. An diesem Programm müssen festhalten und es so schnell wie möglich mit neuem Leben erfüllen, denn es ist das einzige, dass uns Sicherheit, Freiheit, unsere Rechte und eine Zukunft garantieren kann, nachdem die Hamas uns in drei tödliche Konflikte für die Interessen des Iran geführt hat, die so viel Leid und Zerstörung über uns gebracht haben.

Wir müssen, liebe palästinensischen Freunde, aufhören, Hamas und damit dem Iran die Treue zu halten. Wir müssen nach anderen Wegen suchen als die Hamas und selbst Abbas sie seit Jahren anbieten. Der Preis für die Waffen und das Geld, die wir dem Iran bezahlen, ist nämlich unser sinnlos vergossenes Blut.

Der Autor engagierte sich im "Gaza Youth Movement", musste aus dem Gazastreifen fliehen und lebt, nach längerem Aufenthalt in einem Flüchtlingslager in Griechenland, inzwischen als Asylbewerber in Deutschland. Kürzlich veröffentlichte er einen Brief an die wirklichen Freunde der Palästinenser

Dienstag, 18.05.2021 / 14:10 Uhr

A message to the true friends of the Palestinians

Von
Mohammed Altlooli

Source: Wikimedia Commons



Dear Friends of the Palestinian people,

I am writing to you in these terrible and dark times. Once again, bombs are raining down on Gaza, my tormented homeland, and I worry about the live and well-being of my family, friends and colleagues. Since a long time, people in Gaza are living in despair and poverty and are longing for a better future. 

We, the young generation who grew up without even knowing anything else, are the ones who must pay the price if nothing is going to change. I had to flee Gaza some time ago, because together with a group of others we opposed the rule of the Hamas regime. We did, what millions of other Arabs did across the region: We demanded more freedom, an end of corruption and violence. If you raise your voice against them, you face repression and even being put to prison. They fear us, the young generation, much more than their declared enemy Israel, because they know they have nothing to offer but destruction, pain and poverty.

We want both: To live in freedom in Gaza and to be without blockade and hardships from Israel. We are caught between a rock and a hard place: Suffering from an intolerant, repressive regime and from Israeli constriction. We have no air to breathe.

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Mohammad Altloooli in a Greek refugee camp


But we opposed the hateful propaganda of our rulers and sent a clear message to the Israeli people: We want to live in peace side by side, but as equals and not in a large prison. We want a common future with our Israeli neighbors and an end of war, killing and hate.

Jews and Arabs are not enemies

Tragically these hopes were smashed once again last week when a new war started between Hamas and the Israeli Army. We refuse to call this a war between Palestinians and Israelis, because even when I see the destruction in Gaza I do not feel any hatred against the people in Israel. I know many of them are living in fear and need to hide in shelters, many were killed and injured. This is not my war and it is not the war of us who are longing for a better future. We see how Arabs and Jews are now demonstrating in Haifa, Nazareth and other cities for peaceful coexistence and against hatred. Their slogan is: Jews and Arabs are not enemies. 

The people in Gaza who think like me cannot demonstrate, any protest would end in bloodshed and prison. But please know that even though we are taught hatred in our schools and listen to hateful propaganda, in our hearts many of us are with these demonstrations on the other side of the fence.

If you are a friend of the Palestinians please know, Hamas does not represent us, they like to speak in our name but they don’t do. We refuse that they are our voice. Our voice sounds different. It’s the voice of peace.

Then, we see demonstrations in Europe, where people call very horrible slogans against Jews and Israel. We hear the same hatred we hear in the propaganda channels of Hamas. Anyone who is a friend of us should not talk like this! We don’t want and deserve such friends! Since a very long time so many people claim they are our friends, but in reality they just hate Israel and the Jews. This is not only wrong and against our intentions and beliefs, it also harms the just cause of the Palestinian people: We want to live in peace, dignity and self-determination, side by side with the Israelis. We want justice and freedom. We don’t want war and destruction.

False Friends

How anyone can ever believe in our true intentions if such hateful slogans are shouted on the streets of Europe and the Middle East? This gives the wrong image about us.

So many of these people who are now shouting such slogans claim they are our friends, but they are false friends. They do harm to us and create a wrong image of us. We don’t want anti-Semites, Nazis and Israel haters as friends. We want peace, loving, noble people on our side who share our goals. We don’t want that Jews in Europe are scared of us, we want everyone to understand that there is only one future for all in the Middle East, a common future together in a peaceful and prosperous region.

If you are a real friend of us, please do us a big favor, step away from them, don’t let them talk in our names. Please spread our message of peace and justice. 

Maybe today this message is like a small plant, but we all can work together to let it grow and become a tree. We know even in our society we are few, but many changes started with few people. And we hope one day this tree will be big enough, so that we can all sit in the shadow of its leaves.

Please, demonstrate for us, please raise your voice. Please, demonstrate against the false and destructive politics of the Israeli government. But also please raise your voice against what Hamas is doing. Please stand on the side of the Palestinian people and our just cause.

But please, don’t do it with these false friends. 


 


 


 


 


 


 


 


 

Dienstag, 18.05.2021 / 12:37 Uhr

Ein Brief an die wirklichen Freunde der Palästinenser

Von
Gastbeitrag von Mohammed Altlooli

Bild: Wikimedia Commons

In diesem Brief wendet sich der Aktivist des 'Gaza Youth Movement" Mohammed Altlooli mit einer Botschaft für Frieden und Koexistenz an europäische Unterstützerinnen und Unterstützer der Palästinenser

 

Liebe Freunde des palästinensischen Volkes,

ich wende mich an Euch in diesen schrecklichen und dunklen Zeiten. Wieder einmal regnen Bomben auf Gaza, meine gequälte Heimat, und ich mache mir Sorgen um das Leben und das Wohlergehen meiner Familie, meiner Freunde und meiner Kollegen. Die Menschen in Gaza leben seit langem in Verzweiflung und Armut und sehnen sich nach einer besseren Zukunft.

Der Brief im englischen Original

Wir, die junge Generation, die aufgewachsen ist, ohne etwas anderes als diese Situation zu kennen, sind diejenigen, die auch den Preis zahlen werden, wenn sich nichts ändert. Ich selbst musste vor einiger Zeit aus Gaza fliehen, weil ich zusammen mit Gleichgesinnten gegen die Herrschaft des Hamas-Regimes protestierte. Wir haben das getan, was Millionen anderer Araber in der Region auch taten: Wir forderten mehr Freiheit und ein Ende von Korruption und Gewalt. Wenn man aber in Gaza seine Stimme gegen das Regime erhebt, wird man unterdrückt und sogar ins Gefängnis gesteckt. Sie fürchten uns, die junge Generation, viel mehr als ihren erklärten Feind Israel, weil sie wissen, dass sie uns nichts anderes zu bieten haben als Zerstörung, Schmerz und Armut.

 

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Mohammed Altlooli unterrichtet  im Flüchtlingslager von Leros

 

Wir wollen beides: In Gaza in Freiheit leben und nicht weiter unter der Blockade und Repressionen Israels leiden müssen. Aber unser Leben findet zwischen Hammer und Amboss statt: Wir leiden unter einem intoleranten, repressiven Regime auf der einen Seite und unter der israelischen Einschnürung auf der anderen. Wir haben keine Luft zum Atmen.

Trotzdem wir haben uns der hasserfüllten Propaganda unserer Herrscher widersetzt und als „Gaza Youth Movement“ die Botschaft an die Israelis gesendet: Wir wollen Seite an Seite mit Euch in Frieden leben, aber gleichberechtigt und nicht in einem großen Gefängnis. Wir wollen eine gemeinsame Zukunft mit unseren israelischen Nachbarn und ein Ende des Krieges, des Tötens und des Hasses.

Juden und Araber sind keine Feinde

Tragischerweise wurden diese Hoffnungen letzte Woche erneut zerstört, als der Krieg zwischen der Hamas und der israelischen Armee erneut ausbrach. Wir weigern uns, dies einen Krieg zwischen Palästinensern und Israelis zu nennen. Denn selbst wenn ich die Zerstörung in Gaza sehe, empfinde ich keinen Hass gegen die Bevölkerung Israels. Ich weiß, dass viele Israelis selbst in Angst leben und sich in Schutzräumen verstecken müssen, viele wurden getötet und verletzt. Das ist nicht mein Krieg, es ist nicht der Krieg derjenigen, die sich wie ich nach einer besseren Zukunft sehnen. Wir sehen die Bilder von Arabern und Juden, die in Haifa, Nazareth und woanders für ein friedliches Zusammenleben und gegen den Hass gerade demonstrieren. Ihr Motto lautet: Juden und Araber sind keine Feinde.

Die Menschen in Gaza, die wie ich denken, können aber nicht demonstrieren. Jeder Protest würde in Blutvergießen und im Gefängnis enden. Aber seien Sie bitte versichert: Obwohl uns in der Schule Hass beigebracht wird und wir so viel hasserfüllte Propaganda hören, in dieser Zeit sind viele von uns in unseren Herzen bei den Demonstrationen auf der anderen Seite des Zauns.

Die Hamas spricht nicht in unserem Namen

Wenn Ihr wirklich Freunde der Palästinenser seid, denkt bitte daran, dass die Hamas uns nicht vertritt; sie spricht gerne in unserem Namen, aber sie tut es in Wahrheit nicht. Wir lehnen es ab, dass sie unsere Stimme sein sollen. Unsere Stimme ist anders: es ist die Stimme des Friedens.

 

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Stimmen des Friedens, Bildquelle: Twitter

 

Und dann sehen wir die Demonstrationen in Europa, bei denen leider auch furchtbare Parolen gegen Juden und Israel gerufen werden. Wir hören auf einigen den selben Hass, den wir in den Propagandakanälen der Hamas hören. Wer unser wahrer Freund sein will, sollte nicht so reden! Wir wollen und verdienen solche Freunde nicht! Seit langer Zeit behaupten so viele Menschen, sie seien unsere Freunde, aber in Wirklichkeit geht es ihnen nur um den Hass auf Israel und die Juden. Das ist falsch: es widerspricht unseren Absichten und Überzeugungen und es schadet außerdem der gerechten Sache des palästinensischen Volkes. Wir wollen in Frieden, Würde und Selbstbestimmung Seite an Seite mit den Israelis leben. Wir wollen Gerechtigkeit und Freiheit. Wir wollen keinen Krieg und keine Zerstörung.

Wie kann jemand jemals unseren Absichten Glauben schenken, wenn solche hasserfüllten Parolen auf den Straßen Europas und des Nahen Ostens in unserem Namen gerufen werden? Das wirft ein falsches Bild auf uns.

Wir brauchen wirkliche Freunde

Viele die gerade solche Parolen rufen, behaupten, sie seien unsere Freunde, aber sie sind falsche Freunde. Sie schaden uns und lassen ein falsches Bild von uns entstehen. Wir wollen keine Antisemiten, Nazis und Israel-Hasser als Freunde. Wir brauchen friedliebende, progressive Menschen auf unserer Seite, die unsere Ziele teilen. Wir wollen nicht, dass Juden in Europa Angst vor uns haben. Wir wollen, dass jeder versteht, dass es im Nahen Osten nur eine Zukunft für alle geben kann, eine gemeinsame Zukunft in einer friedlichen und prosperierenden Region.

Wenn Ihr zu unseren wirklichen Freunden gehören wollt, tut uns bitte einen großen Gefallen und distanziert Euch von diesen Menschen, die Hass verbreiten, lasst nicht zu, dass auch sie in unseren Namen zu sprechen versuchen. Bitte verbreitet stattdessen unsere Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit.

Vielleicht ist diese Botschaft heute bloß eine zarte Pflanze. Wir alle können aber zusammenarbeiten, damit sie zu einem großen Baum zu wird. Wir wissen, dass es bei uns in Gaza noch nicht so viele gibt, die so denken wie wir, aber oft in der Vergangenheit wurden wichtige Veränderungen von einer kleinen Gruppe losgetreten. Und wir hoffen, dass dieser Baum eines Tages groß genug sein wird, damit wir alle unter seiner Krone Schatten finden.

Bitte demonstriert für uns, erhebt Eure Stimme. Bitte erhebt sie gegen die falsche und zerstörerische Politik der israelischen Regierung. Bitte erhebt Eure Stimme aber auch gegen das, was die Hamas anrichtet.

Bitte stellt Euch auf die Seite des palästinensischen Volkes und unserer gerechten Sache.

Aber bitte tut es nicht gemeinsam mit diesen falschen Freunden. 

Dieser Text wurde übersetzt von Yolanda Rubio

 

 

 

 

Frieden
An die Freunde der Palästinenser in Gaza

Ein Brief an die wirklichen Freunde der Palästinenser

In diesem Brief wendet sich der Aktivist des 'Gaza Youth Movement" Mohammed Altlooli mit einer Botschaft für Frieden und Koexistenz an europäische Unterstützerinnen und Unterstützer der Palästinenser Von mehr...
Freitag, 14.05.2021 / 12:36 Uhr

Gaza: Wir weigern uns Feinde zu sein

Von
Gastbeitrag von Mohammed Altlooli

Demonstration in Haifa: Refusing to be enemies, Bild: Ahiya Raved

Bild:
Twitter

Mohammed al Altlooli engagierte sich, solange er noch im Gazastreifen lebte, im „Gaza Youth Movement“ gegen den diktatorischen Regierungsstil der Hamas und für eine friedliche Koexistenz mit Israel. Wie so viele andere Anhänger dieser Bewegung musste er fliehen, hielt sich einige Zeit in Israel auf und floh dann nach Griechenland, wo er mithalf, die Flüchtlingsselbsthilfsorganisation „Leros Refugee Youth Group“ zu gründen. Seit vergangenem Herbst lebt er in Deutschland. In diesem Beitrag plädiert er erneut für Frieden und Koexistenz.

 

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Der Autor in Leros, Bildquelle: Leros Refugee Youth Group

 

Leider ist das alte Sprichwort wahr, dass Menschen, diejenigen lieben, die ihnen phantastische Geschichten und Illusionen erzählen. Wer die Wahrheit sagt, wird ungerne gehört.

So war es auch nicht leicht in der palästinensischen Gesellschaft in Gaza, in der ich aufwuchs und meine Jugend verbrachte. Wir versuchten, ein neues Denken zu fördern, neue Ideen über die Ursachen von der Misere, in der wir lebten, zu verbreiten. Denn die herrschenden Parteien mobilisieren mit ihren Medien und ihrer Propaganda die Menschen, verbreiten eine Kultur des Hasses und unterdrücken die Freiheiten aller anderen. Sie schaffen Feindschaft und Misstrauen zwischen den Menschen und jeder, der ihnen nicht folgt, steht unter Verdacht. Das war unsere Realität in Gaza und jederzeit konnten wir für das, was wir sagten, verhaftet und eingesperrt werden.

Und genau vor dieser Entscheidung habe auch ich gestanden: Sollte ich in die Diaspora gehen und Gaza verlassen oder mich verhaften und in einem der vielen Gefängnisse demütigen lassen? Ich entschied mich zu gehen und floh nach Griechenland. Ausgerechnet dort, weit weg von meiner Heimat, traf ich eine junge israelische Journalistin und wir arbeiten zusammen in Leros, um den anderen Flüchtlingen zu helfen. Es war ein ganz besonderes Erlebnis für uns beide, so Seite an Seite zu arbeiten und sich dabei kennenzulernen. Wir taten in Griechenland, was in unserer beider Heimat so nicht möglich gewesen wäre und lernten dort genau die Koexistenz kennen, von der wir zu Hause geträumt hatten. Ich schrieb über dieses Erlebnis und bekam Drohungen aus dem Gazastreifen, von der Hamas und auch einigen Leuten aus dem Flüchtlingslager. Selbst in Griechenland mussten sie diese Ideen mit allen Mittel bekämpfen, denn es sind diese Ideen, die sie wirklich bedrohen. Davor haben sie Angst und einmal mehr siegte die Ideologie und ihre Phantasmen: Ich musste auch Griechenland verlassen und bin nach Deutschland gegangen.

Es waren nur wenige, die mich damals bedrohten, aber immer ist die Gewalt auf ihrer Seite. Viele andere teilten unsere Hoffnung und unsere Träume. Nur verfügen sie weder über die Waffen, noch die Medien noch die großen Erzählungen und Phantasien, die man im Nahen Osten seit Jahrzehnten zu hören bekommt und die sich in den Köpfen festgesetzt haben. In diesen Erzählungen geht es nicht um Koexistenz und Frieden, sondern Krieg, Sieg und Vernichtung des Feindes.

Während ich dies schreibe, sterben Menschen in Gaza von israelischen Raketen oder verlieren ihre Häuser und Menschen in Israel sterben durch Raketen der Hamas. Die Sprache der Gewalt hat erneut die Oberhand gewonnen. Aber die anderen Stimmen gibt es weiter und es sind die, auf die man hören sollte, während selbst die Menschen, die lieber den großen Illusionen glauben schenken, den Preis zahlen.

Sie zahlen den Preis mit ihren Leben für Politiker, denen es darum geht, alles zu tun, damit es nicht zu Frieden und Koexistenz kommt. Und in Gaza stehen die Menschen vor der Frage: Sollen wir, notfalls gemeinsam, mit der Hamas gegen israelische Bomben demonstrieren oder standfest uns gegen das korrupte Hamas-Regime stellen?

In der Zwischenzeit bleibt mir nicht anderes, als den Tod von Kindern und Zivilisten in Gaza und Israel zu betrauern und zu hoffen, dass es schnell zu einem Ende des Krieges kommt.

In Gedanken bin ich bei all den Juden und Arabern in Israel, die dieser Tage auf die Straße gehen, um für eine friedliches Miteinander und gegen Hass und Gewalt dem Slogan "Jews and Arabs – refusing to be enemies" demonstrieren.