Klassekampen im hohen Norden

Norwegen: Nach dem konservativen Wahlsieg muß sich Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik mit einer Minderheitsregierung begnügen

Als Ende letzter Woche nach beinahe 25 Jahren die norwegische Christliche Volkspartei (KrF ) erstmals wieder die Regierung übernahm, zeigte sich der neue Staatsminister Kjell Magne Bondevik gleichzeitig "stolz und ein bißchen ängstlich", denn die Erwartungen der Norweger an seine Amtszeit sind hoch. Selbst 68 Prozent der Anhänger der bei der Wahl unterlegenen sozialdemokratischen Arbeiderpartiet (AP) glauben, daß der ehemalige Priester ein guter Staatschef werden wird.

Bondevik wird mit einer Koalition aus drei Parteien regieren: Die konservative Zentrumspartei, die Venstre, die zwar übersetzt "Links" heißt, aber eher den Liberalen zugerechnet werden kann, und die christdemokratische KrF nahmen schon kurz nach den Wahlen Verhandlungen auf.

Die umstrittenen Themen wie Abtreibung oder die rechtliche Stellung homosexueller Paare wurden dabei allerdings ausgeklammert. Bondevik erklärte zwar, die Politik werde sich fortan am "christlichen und nationalen Kulturerbe" des Landes orientieren, aber: "Die Zentrumspolitik unterscheidet sich nur in Details von der der abgewählten Regierung", stellte das Dagbladet daraufhin fest. Die Mitte-Rechts-Koalition will die Unterstützung für junge Familien ebenso wie die Mindestrenten anheben.Weiter planen die drei Regierungsparteien eine liberalere Flüchtlingspolitik und die Aufstockung der Gelder für die Entwicklungshilfe. Eine weitere Neuerung gibt es: Eine Kommission wird eingesetzt, die eine moralische Bestandsaufnahme des Landes vornehmen soll : "Wenn man die Struktur einer Gesellschaft nicht verändern kann, diskutiert man eben die Werte, die ihr zugrunde liegen", kommentierte Dagbladet den zu erwartenden Tugendterror.

Durch die knappen Mehrheitsverhältnisse (die Regierung verfügt nur über 42 der insgesamt 165 Mandate) wird das Parlament (Storting) zum wichtigen Machtfaktor in der norwegischen Politik, die Regierung Bondevik hält man deshalb schon jetzt für die schwächste der Nachkriegszeit. Die Oppositionsparteien - die konservative H¿yre, die rechtsextreme Fremskrittspartiet und die AP - haben zwar die Tolerierung der Regierung angekündigt, aber de facto verfügen H¿yre und AP im Parlament über eine Mehrheit. Die Arbeiderpartiet hat ihre Parlaments-Arbeit in der Zwischenzeit neu organisiert und erstmals in der norwegischen Parlamentsgeschichte ein Schattenkabinett aufgestellt, das den neuen Amtsinhabern ihren Job erschweren soll.

Der abgelöste Finanzminister Gudmund Restad und die Finanzexpertin Hill-Marta Solberg sollen zum Beispiel den bisherigen wirtschaftspolitischen Kurs der AP im Parlament weiterführen. Sie hoffen, die Regierung dadurch zwingen zu können, Unterstützung bei H¿yre und der rechtsextremen Fremskrittspartiet zu suchen. Dies, so die Strategie der Opposition, wäre der politische Bankrott der Regierung.

Jens Stoltenberg wird neuer Vorsitzender des Energie- und Umweltausschusses im Storting. Er soll die Pläne der Regierung, Gaskraftwerke zu schließen und das Tempo der norwegischen Ölgewinnung zu reduzieren, stoppen. HŒkon Blankenburg, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses, soll den Außenminister Knut Volleb3/4k und dessen Europa-Politik kontrollieren. Man hofft, durch konsequente Opposition die Geschäfte der Regierung zu stören. Ziel ist es, vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen.

Spannungen innerhalb der Regierungsparteien sind vorrangig in der Europa-Politik zu erwarten, dafür hat die Opposition schon nach wenigen Tagen gesorgt. Die Zentrumspartei lehnt das Schengener Abkommen grundsätzlich ab, alle Kabinettsmitglieder - mit Ausnahme des Außenministers Knut Volleb3/4k - sind entschiedene Gegner der EU.

AP und H¿yre wollen jedoch den bisherigen Pro-Europa-Kurs fortsetzen. Der Ankündigung der Regierung, die nach dem Amsterdamer Gipfel notwendig gewordenen Verhandlungen zum Schengen-Abkommen um einige Monate zu verschieben, folgte prompt das parlamentarische Veto. Die Regierung mußte sich daraufhin dem Majoritätswillen beugen und erklären, daß sie zu weiteren Verhandlungen bereit sei - an ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung hat sich allerdings nichts geändert.

Die Linke kämpft in der Zwischenzeit mit völlig anderen Problemen. Im Klassekampen, dem Sprachrohr der AKP/ML, der Kommunistischen Arbeiter-Partei, wurde vor einigen Wochen die Chefredaktion entlassen. Das Konzept des neuen Redaktionsleiters Jon Michelet sieht vor, die Sportberichterstattung zu erweitern und namentlich gekennzeichnete Artikel einzuführen. Daraufhin trat die Redaktion der Tageszeitung in einen zweistündigen Streik, anschließend erklärte die Hälfte der Beschäftigten, bei nächster Gelegenheit zu kündigen.