Spielbergs Burgtheater

"Es ist nichts fertig. Kein Loch gestopft" - sagt der Hauptdarsteller, als die Ratten den Menschen das Regime abnehmen, um die Erde endgültig zu zerstören. Später sagt er dasselbe noch mal: "Die vielen Rechnungen nicht beglichen, Aktenzeichen ungelöst." Der Mann ist Filmkünstler und einer melancholischen Resignation verfallen: Eigentlich wollte er noch die Gentechnologie bekämpfen, gegen die Armut auf der Welt angehen, die Atomwaffen beseitigen, die Umweltzerstörung stoppen und überhaupt dazu beitragen, daß das Menschengeschlecht noch ein wenig auf der Erde verweilen darf.

Der ganze Unfug, den die esoterische Zivilisationskritik des Hoimar von Ditfurth, Konrad Lorenz, Franz Alt, des DKP-Nachwuchses vom Marxistischen Studentenbund seinerseits in die Welt und an die Stelle der Gesellschaftskritik setzte, kommt in der Verfilmung des Grass-Romans zu neuen Ehren - der Atomtod bedroht uns alle. Auch der Gegenentwurf paßt: "Mir träumte" sagt der Videokünstler als Ich-Erzähler, "ich müsse Abschied nehmen von den Wörtern Knospe, Blüte, Frucht und von den Zeiten des Jahres."

Der obligatorisch-idiotische Vergleich zwischen literarischer Vorlage und Film muß hier schon deshalb entfallen, weil ich das Buch nie gelesen habe, dafür kann der Vergleich zwischen dem, was Grass derzeit dauernd im Interview erzählt und dem, was Regisseur Martin Buchhorn erzählt, ohne weiteres gezogen werden: Das deckt sich hundertprozentig. Grass, der bereits als Wahlkämpfer an der Seite Willy Brandts stets für "evolutionäre, reformerische, sozialdemokratische Weitsicht" (taz) plädierte, geht zur Zeit überall damit hausieren, daß er wenig Hoffnung hat, die Menschheit könne die selbstverschuldete Apokalypse noch abwenden. Daß er das dauernd sagt, ist nicht schlimm, aber langweilig. Und weil der Regisseur sein Freund ist und offenbar so etwas wie eine Hommage an das Geburtstagskind plante, wird das mit der selbstverschuldeten Apokalypse im Film unentwegt zitiert. Das ist langweilig und schlimm, weil Freund Buchholz auch jener Anstrengung noch aus dem Weg geht, die Freundespflicht gewesen wäre: Die ästhetische Inszenierung des Zitats ist selbst wieder Zitat, jede Anmutung von Absurdität, jeder Schockeffekt stammt aus dem Archiv. Ein bißchen Wiener Burgtheater, dauernd marschieren SA-Formationen durchs Bild, Bullen verprügeln Punker. Ein bißchen Spielberg, wenn miserabel animierte Produkte der Gentechnik - "Rattenschweine" - durchs Gelände flitzen. Ein bißchen Schlingensief, die Ratte hält ihr von Giftgas verätztes Hinterteil ins Bild, die Wunde pulsiert im Rhythmus ihres Herzschlags.

Die Lakonie, mit der das Filmpersonal den "großen Knall" hinnimmt, spielt auf Achternbusch an, ebenfalls ohne jedes Recht, denn letzterer hat die Apokalypse nie mit dem Atomtod in Verbindung gebracht, sondern eher mit jener debilen Gelassenheit, die die permanente Katastrophe des katholischen Landlebens in der individuellen Psyche hervorruft. So spiegelt der aus lauter Mißverständnissen zusammengesetzte Film dann bloß die tragikomische Verfassung der sozialdemokratischen Emotion: Niemand hört auf uns - das ist das Ende.